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verschiedene Sampler mit neuen Wegen zur klassischen Musik

Zurück zum Thema!

Klassische Musik muss nicht lang sein: Ein paar Ansätze, Mozart und Beethoven zeitgemäß zu verkaufen

Von Stefan Schmöe

Was wäre Musik schön, wäre sie nicht (meistens) lang und kompliziert. Hielten die Meister des Barock ihr Publikum noch mit einem hübschen Menuett, einer knappen Gavotte oder einem gediegenen Air von begrenzter Dauer bei Laune (Abseitigkeiten wie die Kunst der Fuge oder Bachs sperrige Violinpartiten wollen wir an dieser Stelle diskret beiseite lassen), so hatte mit der Erfindung des Sonatenhauptsatzes der Spaß ein Ende: Quälende Durchführungsmusiken á la Beethoven oder Mahlers nicht enden wollende Lärmorgien schlagen dem nach Harmonie dürstenden Musikfreund schwer auf den Magen. Von Schönberg ganz zu schweigen; Zwölftonmusik an sich ist unter diesem Gesichtspunkt schon beinahe völkerrechtlich bedenklich.

Zurück zum Thema! heißt da das Motto der Stunde, weg mit der Durchführung! Weil der analytisch in die Abgründe klassischer Musik hineinhörende CD-Käufer eine aussterbende, zumindest aber zahlenmäßig rückläufige Spezies bildet, drängen die Klassiklabel in die sich öffnenden kommerziellen und pädagogischen Nischen. Allen voran hat die mächtige Universal Group mit ihrem Aushängeschild Deutsche Grammophon die Zeichen der Zeit und die Nöte des modernen Menschen erkannt: Der braucht keine kompletten Sonaten und Symphonien, der will nach einem stressigen Tag im globalisierten Management die erholsame Essenz klassischer Musik ungetrübt genießen. Außerdem ist die Trennung von E- und U-Musik sowieso out, also wird poppig modern der DJ auf die ollen Scheiben von Karl Böhm, Ferenc Fricsay & Co. losgelassen: The Classical Mix Album, gerade ist die zweite Folge auf den Markt geworfen, heißt das Ergebnis, flankiert von einem „Klassik-Club“, der „Yellow Lounge“, die man virtuell unter www.yellowlounge.de besuchen kann.

Aber Wunschkonzert-CDs gab es ja schon immer, wollen Sie gerade einwerfen? Jaaaa, aber hier haben sich die Macher der Yellow Lounge etwas ganz besonderes einfallen lassen: Nahtlos laufen die (Bruch-)Stücke der großen Meister ineinander, und wer nicht ganz genau hinhört, ist schnell überrascht, wie er unmerklich vom Nussknacker in die West Side Story,, von dort in Saint-Saens' Aquarium und weiter in eine Bach-Sonate gelangt. Nicht nur entfallen die lästigen Pausen, auch emotional nur aufwändig zu bewältigende Stimmungswechsel werden einem erspart. Und am Konzept wird kontinuierlich gefeilt: „Und die Titelauswahl trägt der Entwicklung unseres DJs Rechnung“ erklärt man uns in der Pressemitteilung.

Stellt die „Yellow Lounge“ immerhin die Möglichkeit in Aussicht, ganz real einen Live-Termin zu besuchen, also das Musikerlebnis mit einem Minimum an Anstrengung zu verbinden, so bietetle classique abstrait, ebenfalls aus dem Hause Universal (in Zusammenarbeit mit Klassikradio), „classical music fort he couch culture“: Eine Synthese von klassischer Musik, New-Age-Klängern und Vogelgezwitscher. „machen sie eine pause, trinken sie eine tasse tee, schließen sie ihre augen, lauschen sie und entspannen sie sich…“ schlägt der Produzent in stressbereinigter Ortographie vor. Unter www.abstrait.net kann man mehr über die Hintergründe des offenbar unvermeidlichen Begleitvereins – hier ist es ein „chillout club“ – erfahren. Ich persönlich hatte bei so viel Gedudel nach dem Anhören der CD Couch und Entspannung nötig. Freunde esotherischer Filmmusik (denn danach klingt's) haben vielleicht mehr Spaß daran.

Wer es mehr aktiv mag, für den hat die Universal noch einen weiteren Club bereit: Den Kochsalon im nicht vorrangig für die Pflege klassischer Musik bekannten Hamburger Stadtteil St. Pauli (aber der Kochsalon könnte eigentlich überall stehen). Die zugehörige CD Gar! Klassiker… beginnt mit einem unsäglichen Dialog von „tex“ und „rocko“, um dann, durch coole Kochkultur in Stimmung gebracht, einen Querschnitt durch die großen Klaviereinspielungen, die in den Kellern der Universal lagern, anzubieten. Was das Kochen mit Debussy zu tun hat, erschloss sich mir nicht, aber die hübsche Aufmachung mit attraktiven Rezepten („Huhn in Cola-Soße“, – mag jemand von einem Selbstversuch berichten? Oder die Redakteure des OMM zu einer Kostprobe einladen?) bringt den totalen Crossover von Popkultur und Klassik – diese CD kann man jedem jung gebliebenen Musikfreund schenken, denn sie ist in ihrer peppigen Aufmachung ja so was von absolut unspießig. Anhören kann man sie im Prinzip auch, die Aufnahmen sind erlesen und ohne Gewitter, rauschende Bäche oder singende Vögel zusammengestellt – ein Who is who der Klaviermusik. Das Intro von tex und rocko und den pathetischen Ausklang „Ich mag Chopin“ (Jacques Palminger) sollte man zuvor wegprogrammieren.

Ist den großen, aber darbenden Gesellschaften Deutsche Grammophon, Decca, Polydor und Phillips , die in den bisher genannten CDs häppchenweise alte Einspielungen frisch aufbereiten, der kommerzielle Erfolg vorrangig, so darf man Herrn Dr. Gerhard K. Englert in der Tat ein hehres pädagogisches Ansinnen unterstellen. Als „Edutainment“ bezeichnet der Medienunternehmer seine Hörbuchreihe Der Klassik(ver)führer, für die er Ausschnitte aus allerlei überwiegend bekannten Musikstücken zusammengestellt und kommentiert hat. Wolfgang Schmidt, Bayreuths Siegfried vom Dienst, verliest spröde die Kurztexte, die in der Regel auf die „besondere Schönheit“ des folgenden Stückes hinweisen. Die jüngst erschienene zweite CD hat zwar laut Booklet „Anregungen begeisterter Hörer berücksichtigt“, ist im Textteil aber ebenso holprig und geradezu erschütternd unoriginell wie erste. Auf Schlagworte reduzierte Bildungshäppchen garnieren die musikalischen Sahnestückchen der Musikgeschichte. Aber lassen wir den Autor selbst zu Wort kommen: „Der Weg zur Klassik also nicht als akademische Veranstaltung für Eingeweihte, sondern in einer Sprache, die ankommt und die man versteht, sozusagen nach dem Motto: von mir zu Dir“. Wer dann doch nicht auf Du und Du mit Herrn Dr. Englert zu stehen vermag, dem ist wohl nicht zu helfen: „Mit anderen Worten: Wer sich von dieser Musik nicht verführen lässt, der ist für die Klassik sowieso verloren.“

Vielleicht muss man den der Klassik verlustig gehenden Hörer aber schon viel früher gewinnen. Holen wir ihn also da ab, wo er gerade stehen kann: Im Kinderzimmer. Das Label famiro nimmt das ganz wörtlich und gibt eine Reihe „Musik im Kinderzimmer“, kurz: MIK, heraus – gerade ist die neueste, inzwischen 5. Folge der Reihe Gute Laune erschienen. Herausgeber und Pianist Rudolf Ramming stellt „die Musik selbst mit ihren vielen verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten und ihrem schöpferischen Einfluss auf die kindliche Entwicklung“ programmatisch in den Mittelpunkt. Geeignet ist die CD nach seiner Aussage für Kinder ab einem Jahr, und darauf hört man Klavierminiaturen aus allen Epochen – von Ausschnitten aus dem Jugendalbum Max Regers über Schumanns Album für die Jugend, Poulencs Album des Six bis zu Bachs Französischer Suite. Kindgerecht? Für Einjährige? Meine leisen Zweifel beantwortet die nette Dame vom herausgebenden Label so hinreißend, dass wir auch sie hier zu Wort kommen lassen wollen: „Andererseits haben wir schon von vielen dankbaren Müttern ebensolche Zuschriften bekommen, die uns versichern wie gut ihr Kind z.B. mit der "kleinen Nachtmusik" einschlafen kann. Es kann sich quasi nur noch um Stunden handeln, dass ich die ersten, mit Dankestränen benetzten Briefe in den Händen halte, die von einer Flut "Guter Laune" sprechen... Und jetzt mal ehrlich: Zwischen all dem Zeug, was so rumschwirrt in bundesdeutschen Kinderzimmern macht sich unser MIK doch eigentlich ganz gut. Kein Mitgeklatsche, kein Rumgereime... zur ersten Kontaktaufnahme mit Klassik eigentlich nicht übel, also wenigstens das müssen Sie uns zugestehen!“ Klassik unter dem Aspekt der Akustikmüllvermeidung? Auch ein Ansatz, wir gestehen das gerne zu. Als Jugendliche können die Kids dann bei Dr. Englert nachhören, was für ein Musikstück sie beim Einschlafen immer vor sich hin gesummt haben, und sind dann bestens gerüstet für diverse Koch-, Chill-Out- und Klassikclubs. Und haben, wir geben die Hoffnung nicht auf, eines Tages vielleicht sogar den Mut, sich von der Schicksalssymphonie mehr als das „Tatatataaa“ anzuhören.


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(Veröffentlichung vorbehalten)
Cover
Yellow Lounge
The Classical Mix Album vol. 2
2003 Universal Classics
Info unter www.yellowlounge.de




Cover
le classique abstrait
by raphael morionneau
2002 Universal Classics
Info unter www.abstrait.net




Cover
Gar! Klassiker
2002 Universal Classics
Info unter www.kochsalon.de




Cover
Der Klassik(ver)führer, Band 2
Dr. Gerhard K. Englert (Hrsg.)
2002 Filmkunst-Musikverlag, München
und Auricula GmbH




Cover
Gute Laune
Fröhliche Klaviermusik für Kinder
Rudolf Ramming, Konzeption und Klavier
in der Reihe Musik im Kinderzimmer
2002 famiro


Da capo al Fine

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