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Simon Rattle / Peter West
Die Revolution der Klänge
Musik im 20. Jahrhundert (Folgen 1-3)




Faszinierende Einführung in die Musik des 20. Jahrhunderts

Von Stefan Schmöe


Die Revolution der Klänge heißt die vorliegende 7-teilige Einführung in die Musik des 20. Jahrhunderts, aber aussagekräftiger als die deutsche Übersetzung ist der originale Titel Leaving home: Kein Umsturz, aber ein Aufbruch weg vom Vertrautem, hin zu ungewissen Ufern. Für breite Teile des Publikums bedeutete das (und bedeutet immer noch), sich auf neue und ungewohnte Klänge einstellen zu müssen, und Vorbehalte gegen „moderne“ Musik sind nach wie vor greifbar. Wie Simon Rattle hier charismatisch Lust auf Neues macht, gehört zum allerbesten seiner Art. Aufgenommen wurde die Serie 1996 mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra für das Fernsehen, und die ersten drei Folgen (die weiteren sollen in den kommenden Monaten erscheinen) sind bei Arthaus Musik auf DVD veröffentlicht.

Jede Folge ist einem fest umrissenen Thema gewidmet. Die erste Folge „Tanz auf dem Vulkan“ befasst sich mit den Wurzel der Moderne. Ausgehend von Wagners Tristan und Isolde zeigt Rattle die Auflösung der Tonalität in den frühen Werken Arnold Schönbergs bis hin zur Zwölftonmusik bei Anton Webern. Musikalische Entwicklungen sind bei Rattle aber nie gelöst vom historisch-gesellschaftlichen Kontext, und so betrachtet er Mahlers 7. Symphonie und Richard Strauss' Elektra unter dem Blickwinkel von Freuds Psychoanalyse – musikalische Seismogramme im gefährlich untergangsfreudigen Wien des frühen 20. Jahrhunderts.

Folge zwei untersucht Bedeutung und Entwicklung des Rhythmus als Gestaltungsmittel. Ist der Tristan harmonisch das Scharnier zwischen Romantik und Moderne, so beginnt für Rattle mit Strawinskys Sacre du Printemps musikalisch das 20. Jahrhundert. Offener als in der ersten Folge zeigt Rattle sehr unterschiedliche Entwicklungen auf. Verschwimmende Strukturen wie im Finalsatz von Mahlers Lied von der Erde stehen neben Varéses Ionisation und Conlon Nancarrows automatisch ablaufende Piano Rolls für mechanisches Klavier. Ähnlich breit ist das Spektrum in der dritten Folge Klangfarben, in der Rattle zwar einen Schwerpunkt auf der Musik des Impressionismus setzt, von dort aus aber die Bedeutung von Klangfarben bei Pierre Boulez und Toru Takemitsu verständlich macht.

Kongenial ist die filmische Umsetzung dieses musikpädagogischen Programms gelungen. Historische Filmausschnitte verdeutlichen den Zeitbezug der Musik und verwurzeln diese in ihrem geistesgeschichtlichen Umfeld. Auch die erfreulich umfangreichen Musikbeispiele sind mit Bildern unterlegt – meist mit suggestiven Aufnahmen, die den Charakter unterstreichen. Das sind Naturaufnahmen (etwa zu Debussys Prelude à l'après-midi d'un faune oder Ravels Daphnis et Chloé, Spielszenen wie ein im Wald tanzendes Mädchen zu Strawinskys Sacre, Details aus Jugendstil-Gemälden oder Computer-Animationen (zu Takemitsus Dream Window. Regisseur Peter West gelingt es, die Grenze zum (nahe liegenden) Kitsch zu meiden, nicht zuletzt dadurch, dass immer auch Bilder des Orchesters während der Aufnahme eingespielt werden. Wie etwa Felicity Palmer in Großaufnahme als Klytemnästra bei der (konzertanten) Einspielung der Elektra-Szene gezeigt wird, macht eindrucksvoll die selbstquälerische Zerissenheit dieser Musik deutlich. Mit dieser Abfolge von Filmsequenzen gelingt es eindrucksvoll, den außermusikalischen Kontext von Musik zu umreißen, ohne dass sich deshalb der Eindruck eines Videoclips einstellt.

Mit jeweils 50 Minuten haben die einzelnen Folgen keineswegs DVD-Länge. Der inhaltlichen Schwerpunkte wegen ist es trotzdem richtig, jede Folge separat auf eine DVD zu pressen. „Aufgefüllt“ werden die somit nur halbvollen Datenträger mit vollständigen Tonaufnahmen ausgewählter Werke, die zuvor besprochen wurden: Bergs Violinkonzert und Schönbergs Verklärter Nacht als Ergänzung zur ersten Folge, Messiaens opulente Turangalila-Symphonie als luxeriöse Komplettierung der zweiten und Debussys Jeux als (etwas knauserig kurzes) Beispiel für Klangfarben in der dritten Folge. Diese Audio-Aufnahmen sind einigermaßen sinnvoll mit Standbildern unterlegt; die Informationen über die Ausführenden dagegen sind denkbar knapp. Bei Jeux und der Turangalila-Symphonie handelt es sich um (bei EMI erschienenen) Aufnahmen des City of Birmingham Symphony Orchestra unter der Leitung von Simon Rattle; zu den Bonus-Aufnahmen der ersten Folge erfährt man nur, dass sie nicht von Rattle sind – eingespielt sind wohl bei Naxos erschienene Aufnahmen des Ulster Orchestra unter der Leitung von Takuo Yuasa (Verklärte Nacht) bzw. des Niederländischen Radio-Symphonie-Orchesters unter der Leitung von Eri Klaas mit der Solistin Rebecca Hirsch (Berg-Konzert).

Ein kluges Konzept, eine hervorragende filmische Umsetzung, die Beigeisterungsfähigkeit von Simon Rattle, die sich auf den Zuschauer überträgt – in dieser Produktion passt eines zum anderen. Dank der DVD-Edition der Serie kann man nun auch Musikbeispiele mehrfach hören und zwischen Beispielen springen, was klare Vorteile des Mediums gegenüber der Fernsehausstrahlung sind. Damit gehört Die Revolution der Klänge zum Besten, was in letzter Zeit auf dem DVD-Markt erschienen ist. Bis Weihnachten sollen alle Folgen erschienen sein – die Gesamtausgabe darf dann auf den Wunschzetteln von Musikliebhabern ganz oben stehen.


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Die Revolution der Klänge
Musik im 20. Jahrhundert

vorgestellt von Sir Simon Rattle
Regie: Peter West

Sprachen: Deutsch, Englisch



Folge 1: Tanz auf dem Vulkan
Musikbeispiele von R. Wagner, A. Schönberg, G. Mahler, R. Strauss, A. Webern und A. Berg

Felicity Palmer, Mezzosopran
Gidon Kremer, Violine
City of Birmingham Symphony Orchestra
Ltg.: Sir Simon Rattle

Zusatz (nur Audio):
Arnold Schönberg: Verklärte Nacht
Ulster Orchestra, Ltg.: Takuo Yuasa
Alban Berg: Violinkonzert
Rebecca Hirsch, Violine
Niederl. Radio-Symphonie-Orchester,
Ltg.: Eri Klaas

ARTHAUS Musik 102 032




Folge 2: Rhythmus
Musikbeispiele von I. Strawinsky, E. Varèse, G. Ligeti, S. Reich, P. Boulez, O. Messiaen, G. Mahler und C. Nancarrow

Anne Sophie von Otter, Mezzosopran
Peter Donohoe, Klavier u.a.
City of Birmingham Symphony Orchestra
Ltg.: Sir Simon Rattle

Zusatz (nur Audio):
Olivier Messiaen: Turangalila-Symphonie
City of Birmingham Symphony Orchestra
Ltg.: Sir Simon Rattle

ARTHAUS Musik 102 034




Folge 3: Klangfarbe
Musikbeispiele von C. Debussy, I. Strawinsky, A. Schönberg, P. Boulez, O. Messiaen, T. Takemitsu und M. Ravel

City of Birmingham Symphony Orchestra
Ltg.: Sir Simon Rattle

Zusatz (nur Audio):
Claude Debussy: Jeux
City of Birmingham Symphony Orchestra
Ltg.: Sir Simon Rattle

ARTHAUS Musik 102 036

www.arthaus-musik.com


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