Julius Röntgen
Cellosonatas Vol. 3
Musik wie ein tanninreicher Bordeaux
Von Markus Gärtner
Dass
er am Leipziger Konservatorium ausgebildet wurde, kann man zweifellos
hören. Julius Röntgen (1855-1932), mit ca. 650 Kompositionen schon rein
zahlenmäßig der gewichtigste Komponist der Niederlande, lernte bei Carl
Reinecke sowie Moritz Hauptmann und übte sich im Violinspiel unter der
Ägide von Ferdinand David. In München nahm er weiteren Unterricht bei
Franz Lachner, wurde von Franz Liszt gefördert, logierte bei Heinrich
und Elisabeth von Herzogenberg, lernte dort Ethel Smyth und Johannes
Brahms kennen. An Verbindungen hat es Röntgen wahrlich nicht gemangelt.
1878 ging er nach Amsterdam und gestaltete das Musikleben der Metropole
ab diesem Zeitpunkt entscheidend mit. In seinen späteren Jahren trat er
noch einmal als Duopartner von Bronislaw Huberman und Pablo Casals
hervor und experimentierte, neuen Möglichkeiten höchst aufgeschlossen
„als improvisierender Klavierbegleiter von Stummfilmen und hinterlieβ
auch Aufnahmen für das Pianola-Verfahren, die heute auf CD zugänglich
sind.“ (Klaus Zehnder-Tischendorf: Niederländisches Epigonentum oder
ein eigener Weg? Zum 150. Geburtstag von Julius Röntgen)
Keineswegs also lässt sich Röntgen als Brahms-Epigone marginalisieren.
Vielmehr schließt er über die Bekanntschaft mit Debussys Musik zur
moderneren Richtung seiner Zeit auf, ohne sich ihr vollkommen
auszuliefern. Zwar klingen seine Leipziger Wurzeln ganz ohrenfällig
durch, doch sie dominieren nicht den Gesamteindruck.
Nachvollzogen werden kann
dies auf der bereits dritten Folge von Röntgens Cellosonaten, die
soeben bei Ars Produktion erschienen sind. Das Künstlerehepaar Jean
Decroos (Cello) und Danièle Dechenne (Klavier) widmen sich seit 2003
dem umfangsreichen Korpus dieser Gattung. Zunächst standen diejenigen
Werke Röntgens im Vordergrund, die dieser Pablo Casals gewidmet hatte
(FCD 368429). Eine zweite Folge ohne thematischen Fokus erschien 2006
(ARS 38439). Auf der nun vorliegenden Vol. 3 (ARS 38469) wird einmal
mehr ein zeitlich breit angelegtes Programm musiziert: die 11. und 13.
Sonate aus den 1930er Jahren gesellen sich zum Gattungserstling von
1872. Das macht vielfältige Vergleiche möglich, welche indes darin
kulminieren, dass Röntgens Stil schon in seiner Frühzeit nahezu
vollständig vorlag und nur noch feinere Ergänzungen erhielt. Röntgen
bevorzugt die „kleine“ dreisätzige Sonatenform (was sich auch an
Spieldauern ablesen lässt) und nur bei Nr. 13 nimmt er als zusätzlichen
Bestandteil eine „Burleske“ mit auf. Genau hier zeigt sich dann aber
eindringlich der französische Einfluss, denn dieser hochinteressante
Satz entwickelt sich aus parallel geführten Quinten. Insgesamt arbeitet
der Komponist mit kräftigen Farben und bedient sich dabei einer reichen
thematischen Erfindung, die jedoch an keiner Stelle populär wirkt. Der
oftmals auf Röntgen angewandte, denunzierend gemeinte Ausdruck des
„Musikantischen“ trifft hier gerade nicht.
Jean Decroos Spielweise des
Cellos, extrem nah am Mikrophon aufgenommen, versucht keinesfalls, den
Hörer mit Geschmeidigkeit um den Finger zu wickeln. Sein Zugang zu
Röntgens Musik ist ein kantiger, manchmal näselnder Klang, der die
bewegten Sätze dominiert und auch in den verhaltenen Momenten der Werke
keine Wohligkeit erzeugt, dabei aufgewühlten Ausdruck oftmals über
Intonationsgenauigkeit stellt. So etwas muss man mögen – hier wird
tanninreicher Bordeaux ausgeschenkt, der trotz Jahren der Alterung
seinen rustikalen Kern nicht verloren hat. Tatsache ist, dass man
Röntgens Musik so interpretieren kann, ohne sie zu verzerren. Andere
Denkarten wären möglich – und sind teilweise bereits realisiert worden.
Dass die Herbheit vorliegender Interpretation dem Röntgenschen Ton in
die Hände spielt, lässt sich indes nicht leugnen.
Jean Decroos verstarb am
27. April dieses Jahres nach einem Konzert. So ist diese letzte
Aufnahme zu seinem Vermächtnis geworden. Das Projekt der
Gesamteinspielung von Julius Röntgens Cellosonaten bleibt unvollendet.
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Julius Röntgen (1855–1932)
Cellosonatas
Vol.1: …a tribute to Pablo Casals
Sonate e-moll (1906)
Sonate g-moll (1905)
Sonate h-moll op. 56 (1907)
EAN: 4011407974296
Bestell-Nr.: FCD 368 429
Spieldauer: 61:10
Vol. 2:
Sonate Nr. 10 c-moll (1927)
Sonate Nr. 7 fis-moll (1917)
Sonate Nr. 2 a-moll op.41 (1901)
EAN: 4260052384398
Bestell-Nr.: ARS 38 439
Spieldauer: 52:06
Vol. 3:
Sonate Nr. 13 cis-moll (1931)
Sonate für Violoncell solo (1928)
Sonate Nr. 11 d-moll (1930)
Sonate Nr. 1 B-dur op. 3 (1872)
EAN: 4260052384695
Bestell-Nr.: ARS 38 469
Spieldauer: 73:51
Jean Decroos, Cello
Danièle Dechenne, Klavier
Weitere Informationen unter:
http://www.ars-produktion.de/
http://www.die-tonkunst.de/dtk-archiv/pdf/...
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