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Wolfgang A. Mozart
Requiem und frühe Symphonien


Joseph Haydn
Die Schöpfung


Mozart und Haydn neu durchdacht


Von Claus Huth

Am 6. Dezember des vergangenen Jahres feierte Nikolaus Harnoncourt seinen 75. Geburtstag, und über 50 Jahre besteht inzwischen sein Ensemble Concentus Musicus Wien – Anlass genug, die vergangenen Neuerscheinungen dieser Zusammenarbeit zu beleuchten.

Die Wiener Klassik bildete über all die Jahre hindurch einen permanenten Arbeits- und Repertoireschwerpunkt des Concentus Musicus, und auch Harnoncourt, als Dirigent inzwischen auch mit einer vorzüglichen Bartok-Aufnahme am Markt, kommt mit schöner Regelmäßigkeit auf die Werke etwa von Mozart und Haydn zurück: Zwei der hier aufgenommenen Werke liegen bereits in Einspielungen mit ihm vor, nämlich Haydns Schöpfung und Mozarts Requiem. Da Harnoncourt nie dogmatisch auf einem Standpunkt beruht, sondern immer ein Denker und Sucher war und ist, der stets neue Wege sucht und neu gewonnene Erfahrungen einfließen lässt, stellen beide Neuaufnahmen keine simplen Reproduktionen der älteren Aufnahmen dar, sondern zeigen auf, dass sich die Sicht eines Künstlers über die Jahre hin vertieft und auch ändern kann. Nicht zuletzt dieser Aspekt macht die erneuten Einspielungen interessant, auch wenn man bereits die älteren Editionen der Werke unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt bereits kennt.

Insbesondere bei Mozarts Requiem lässt sich feststellen, wie Harnoncourt seine Sicht verfeinert und vertieft hat. Das übermäßig Harsche der älteren Einspielung ist einem runderen, wenngleich immer noch klar konturierten, niemals verschwommenen Klangideal gewichen. Die tief bewegende Aussage des Fragmentes, das Harnoncourt in der von Franz Xaver Süssmayr komplettierten und von Franz Beyer revidierten Fassung live im Großen Musikvereinssaal in Wien aufgenommen hat, vermittelt sich noch direkter, unmittelbarer. Die Wahl des Arnold Schönberg-Chores, den Erwin Ortner höchst zuverlässig einstudiert hat, erweist sich als glücklicher als die des Wiener Staatsopernchores in der älteren Aufnahme. Die neue Produktion ist auch eine Demonstration dessen, was ein Chor aus der vermeintlich so bekannten Musik herausholen kann. Die Deklamation ist tadellos, die Stimmgruppen untereinander ausgewogen und insbesondere in den Fugen stets aufs Genauste durchhörbar: Wer Mozarts Requiem als Chorist einmal einstudiert, wird in dieser Aufnahme dadurch einen guten Leitfaden finden.
Das Solistenensemble besticht durch eine außergewöhnliche Homogenität, und ganz deutlich wird in jedem Moment der Aufnahme eines: Alle Beteiligten, vom Solosänger bis zum Orchestermusiker wissen ganz genau um den religiösen Gehalt dessen, was sie da singen. Harnoncourt ist es immer ein Anliegen, die Inhalte der gespielten Stücke allen Musikern zu vermitteln, und dieses Mozart-Requiem ist der tönende Beweis dafür, was dabei herauskommen kann. Wann hat man den Kontrast im „Confutatis“ zwischen dem herausfahrenden, drängenden Beginn und der anschließenden flehenden Bitte des „Salva me“ so sinnfällig gehört? Wann je wurde das Erzittern bei „Quantus tremor est venturus“ im „Dies irae“ so deutlich musikalisch umgesetzt? Wann zuletzt konnte das „Lacrimosa“ zu Tränen rühren? Harnoncourt ist eine Einspielung gelungen, die zu den ganz großen Einspielungen von Mozarts unvollendeter Totenmesse gezählt werden muss. Lobenswert ist die Initiative, auf der nicht gerade reichlich bespielten, klangtechnisch gut gelungenen Hybrid-SACD (abspielbar auf jedem SACD- und CD-Player) ein Faksimile des Original-Manuskripts Mozarts als CD-ROM-Track für den heimischen Computer beizugeben: So kann jeder nachverfolgen, was hier eigentlich von Mozart ist und was nicht.

Haydns Schöpfung, etwa sieben Monate vor dem Mozart-Requiem im März 2003 ebenfalls live aufgenommen, hinterlässt einen etwas gemischteren Eindruck. Einerseits ist die Leistung des Concentus Musicus in dieser farbenreichen, manchmal regelrecht plakativen Partitur hervorragend: Das Ensemble hat in den 50 Jahren seines Bestehens sein Klangbild kontinuierlich verfeinert, und die lange Zusammenarbeit mit Harnoncourt garantiert, dass das Ensemble hochsensibel auf die kleinsten Vorgaben des Dirigenten reagieren kann, ohne dass einzelne Musiker – namentlich die hervorragenden Holzbläser – ihre individuellen Stärken und Charaktere zurücknehmen müssten. Hört man die Einleitung, die „Vorstellung des Chaos“, so ist man auf der Stelle gebannt von der Präsenz und dem Farbenreichtum des Orchesters, und die mitgeschnittenen Aufführungen sind voller sprechender Details, die einen immer wieder überrascht und gebannt aufhorchen lassen.

Gottfried van Swieten hat Haydn das Libretto nach Miltons „Paradise lost“ geschrieben, und diese Perspektive des verlorenen Paradieses ist es, mit der Harnoncourt auf Haydns Musik schaut: Nicht der überschwängliche Jubel steht im Vordergrund, sondern eine leicht wehmütige Rückschau auf das, was einmal war und nie mehr so sein wird. Das ist ein spannender Ansatz, der die Aufnahme hörenswert macht. Dass Harnoncourt in der Phrasierung Wortbetonungen stets folgt, gehört ebenfalls zu den Stärken der Aufnahme – plötzlich ist das abschließende „Amen“ tatsächlich auf der ersten Silbe korrekterweise viel stärker betont als auf der letzten, so dass die Dissonanz auf der Silbe „A-“ viel stärker ist als die abschließende Konsonanz auf „-men“, wodurch allerdings der gewohnte gloriose Abschluss subtil verweigert wird. Das geht freilich in Harnoncourts Konzept logisch auf. Ein wenig merkwürdig sind die überlangen Pausen, die der Dirigent bisweilen zwischen Rezitativen und anschließenden illustrierenden Orchesterpassagen entstehen lässt. Gerade wenn er im Beiheft von der spannenden Erzählung Haydns schreibt, der wir alle wie Kinder mit roten Ohren folgen, ist es seltsam, dass an solchen Stellen die Spannung so ausgebremst wird. Dann aber folgen so überlegen gestaltete Arien wie die „Auf starkem Fittiche schwinget sich“ oder „Rollend in schäumenden Wellen“, in denen die sprechende Artikulation des Orchesters tatsächlich dazu führt, dass man mit roten Ohren zuhört, und die Kuriosität ist schnell wieder vergessen.

Nun wird in der Schöpfung auch gesungen, und da kommen die etwas negativeren Eindrücke ins Spiel: Der im Mozart-Requiem so überzeugende Arnold Schönberg Chor kann an diese Leistung nicht heranreichen. Bisweilen zu dick scheint der Chorklang in den Fugensätzen, in denen sich die natürlich wirkende Durchhörbarkeit der Mozart-Requiem-Aufnahme nicht einstellen wollen, zu schwerfällig reagiert das Kollektiv auch etwa im „Die Himmel erzählen“ oder im „Vollendet ist das große Werk“ auf die Vorgaben des Dirigenten – das ist schade, da in anderen Passagen durchaus nicht schlecht gesungen wird.

Dorothea Röschmann überstrahlt das Solistentrio mit ihrer in allen Lagen sicher geführten Stimme, während Michael Schade mit den tiefliegenden Passagen seiner Partie überraschenderweise hadert: Vergleicht man seine Leistung in Gardiners Aufnahme von 1995 mit der hier Vorliegenden, muss man wohl konstatieren, dass er nicht seine besten Tage erwischt hatte, als die Aufnahmen mit Harnoncourt anstanden, oder aber, dass seine Stimme in den letzten Jahren ernstlich gelitten hat. Letzteres wäre in Anbetracht des schönen Stimmmaterials ausgesprochen bedauerlich. Der Bariton Christian Gerhaher hat keine Probleme mit der Partie des Raphael, die er überlegen und mit Nachdruck gestaltet. Im dritten Teil muss er sich als Adam allerdings der Ausstrahlung seiner Eva (Dorothea Röschmann) geschlagen geben. Dennoch: Gerhaher kann man sicher eine beachtliche Karriere vorraussagen, er ist einer der momentan interessantesten deutschsprachigen Sänger. Insgesamt ist diese „Schöpfung“ eine Aufnahme, die vom Ansatz her eine spannende Alternative zur gängigen Sicht auf Haydns „Schöpfung“ bietet, wegen vokaler Defizite aber nicht an den hervorragenden Eindruck des Mozart-Requiems heranreichen kann.

Ganz dem Concentus Musicus Wien vorbehalten sind die schon 1999/2000 – also noch vor dem Wechsel Harnoncourts vom Label Teldec/Warner zur BMG/deutschen harmonia mundi – aufgenommenen frühen Mozart-Sinfonien. 11 Sinfonien aus den Jahren zwischen 1764 und 1772 liegen auf den Pulten des Concentus Musicus, und keine ist darunter, bei der man nicht das Gefühl hätte, dass ihr nicht Gerechtigkeit widerfahren würde. Harnoncourt und seine Musiker geben mit spürbarer Begeisterung ein Plädoyer für die Musik des jungen Mozart ab, das gänzlich frei ist vom „Wunderkind“-Image – auch wenn man immer wieder staunt, dass eine solch reiche Musik einem so jungen Knaben einfallen konnte! Harnoncourt verzichtet darauf, ein Continuo mitspielen zu lassen und stellt die Farbigkeit der Instrumentierung und die prägnanten Charaktere in den Vordergrund. Gleichzeitig liest er die Musik des jungen Mozarts durch die Brille eines altersweisen Mannes, und zeigt sich selbst im Beiheft überrascht, wie viel in diesem Sinfonien zu finden ist: „Man hört einen Witz gepaart mit „Weisheit“, als wüsste er schon Bescheid im menschlichen Leben, als könnte er aus Erfahrung erzählen.“

Und in der Tat, so wie Harnoncourt und der Concentus diese Musik interpretieren, kann man ihr nur gespannt, gebannt und immer wieder überrascht zuhören. Über die Qualitäten des Orchesters muss man eigentlich nichts weiter sagen, aber in dieser Studio-Aufnahme kommt vieles noch einmal aufs Schönste zur Geltung: Der berückende Streicherklang etwa (man höre das Andante von K.43!) oder die kecken Holzbläser, die ihren historischen Instrumenten eine ungeheure Vielfalt an Klängen entlocken, die Fähigkeit, aufeinander zu hören und spontan zu reagieren, der hörbare Spaß in den zupackenden und manchmal auch etwas derben Kehraus-Sätzen... Schöner kann man die Qualitäten dieses Orchesters nicht erleben, und das macht auch schon gespannt auf die anstehende Veröffentlichung der „Pariser“ Sinfonien Joseph Haydns.

Harnoncourt lässt Kontraste beherzt ausspielen, geizt nicht mit Witz und Komik, versteht es aber auch, die langsamen Sätze ausmusizieren zu lassen. Von Hetze und Eile, die man Aufführungen „in historischer Aufführungspraxis“ oft vorschnell nachsagt, ist nichts zu spüren. So erhält jede der Sinfonien ihr eigenes, ganz spezifisches Gesicht, und man kommt nie auf die Idee, dass das ja alles gleich klingen würde (noch ein oft gehörtes Vorurteil, diesmal gegenüber Mozart).

Als Bonus zu dieser (wie die „Schöpfung“) in Form eines „Pappbuches“ verpackten Aufnahme haben Nikolaus Harnoncourt und zwei seiner Enkelkinder, Maximilian und Laya, eine Lesung von Briefen von Leopold, Wolfgang und Nannerl Mozart aufgenommen: Nikolaus Harnoncourt mit viel Charme, Laya mit kindlich naiver Neugierde und Maximilian mit bemerkenswertem Schalk im Nacken. Kurze Auszüge der Brieflesung, die als Extra-CD beiliegt, sind als Auflockerung zwischen den Sinfonien eingestreut. Wer diese Unterbrechung nicht mag, kann sie einfach überspringen. Zudem gibt es die Aufnahme der Sinfonien auch als 2-CD-Set, auf dem ausschließlich der musikalische Anteil enthalten ist. In welcher Form auch immer: Harnoncourts Aufnahme dieser frühen Sinfonien Mozarts ist eine reine Freude.


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Wolfgang Amadeus Mozart
Requiem in d-moll K. 626
(Fassung Süssmayr/Beyer)

Christine Schäfer (Sopran)
Bernarda Fink (Alt)
Kurt Streit (Tenor)
Gerald Finley (Bass)

Arnold Schönberg Chor
Erwin Ortner (Choreinstudierung)

Concentus Musicus Wien
Dirigent: Nikolaus Harnoncourt

Label: deutsche harmonia mundi/BMG
Aufnahmedatum: 27.11. – 1.12.2003 (live)
Aufnahmeort: Großer Musikvereinssaal Wien

Spielzeit: 50:15





Wolfgang Amadeus Mozart
Frühe Sinfonien
(K.16, K.19, K.19a, K.22, K.42a,
K.43, K.45, K.45a, K.45b, K.48, K.73/75a)

(inkl Bonus-CD:
Briefe der Familie Mozart,
gelesen von Nikolaus, Maximilian
und Laya Harnoncourt)

Concentus Musicus Wien
Dirigent: Nikolaus Harnoncourt

deutsche harmonia mundi/BMG Classics
Aufnahmedatum: 4.-7.12. 2003
Aufnahmeort: 12/1999, 12/2000 (Sinfonien),
7.-8.11.2003, 13.4.2004 (Briefe)

Spielzeit: 230 min (mit Briefen),
150 min (ohne Briefe)







Joseph Haydn
Die Schöpfung
Oratorium Hob. XXI:2

Dorothea Röschmann (Gabriel, Eva)
Michael Schade (Uriel)
Christian Gerhaher (Raphael, Adam)

Arnold Schönberg Chor
Erwin Ortner (Choreinstudierung)

Concentus Musicus Wien
Dirigent: Nikolaus Harnoncourt

Label: deutsche harmonia mundi/BMG
Aufnahmedatum: 26.-30.3.2003 (live)
Aufnahmeort: Musikvereinssaal, Wien

Spielzeit: 107 min




Weitere Informationen
BMG Classics
Nikolaus Harnoncourt







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