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Siegmund von Hausegger
Natursymphonie

Zeit der Unermesslichkeit


Von Dr. Markus Gärtner

Es ist kein Zufall, dass im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert die „Natur“ auch in der symphonischen Musik eine Rolle spielt. Sie fungierte als Schlagwort einer Bewegung, die sich gegen die fortschreitende Industrialisierung aussprach, das Elend der Großstädte hinter sich lassen und im Naturerlebnis den Menschen wieder zu sich selbst führen wollte. Dabei gaben sich Lebensreform, Vegetarismus und FKK-Kultur (zunächst) progressiv, während auf der anderen Seite Agrarromantik und tiefsitzender Kulturpessimismus mehr als nur konservative Züge trugen. Die Idee jedoch, das Wunder der Natur zu erleben und dieses Erlebnis auch weiter zu kommunizieren, überwölbte verschiedene politische Orientierungen und künstlerische Lager. So auch in der Musik.

„Wie ein Naturlaut“ schleicht sich der Ton in Mahlers 1. Symphonie an den Zuhörer heran; die Fanfaren der Zivilisation tönen nur von Ferne. Richard Strauss verbindet seine Natureindrücke, die er in der Alpensymphonie musikalisch schildert, mit philosophischen Reflexionen über Nietzsches „Antichristen“. Siegmund von Hauseggers Natursymphonie aus dem Jahr 1911, die mit dieser Aufnahme auf dem Hause cpo erstmals auf Tonträger vorliegt, steht an klanglicher Opulenz der Straussschen Tondichtung nicht nach, übertrifft sie sogar durch den Einsatz einer Konzertorgel und eines Schlusschores noch an Volumen und Farbigkeit. Die Werke stehen sich zweifellos nahe – wie auch ihre Schöpfer durch gemeinsame Tätigkeit im Allgemeinen Deutschen Musikverein bekannt miteinander waren. Dennoch unterscheiden sich beide Kompositionen in wesentlichen Punkten.

Während Strauss den Hörer sozusagen an die Hand nimmt, ihn via Programm, Tonmalerei und Motivtransformationstechnik durch den Ablauf seiner Komposition führt, setzt Hausegger bei gleichem Sujet (Alpen) im Gegenteil auf Verschleierung. Er möchte den Hörer nicht verstandesmäßig, sondern auf der reinen Gefühlsebene ansprechen. Und wenn bereits bei Strauss Motive eher als Gemeinplätze denn als Individualprägungen auftreten, um in möglichst vielen musikalischen Situationen gleich gut einsetzbar zu bleiben, wollen sich die Hauseggerschen Motivformationen gar nicht erst aus der Urmasse des Vormotivischen erheben. Daran ändert auch der Fanfarenbeginn nichts, denn dieser zunächst recht kantige Tonverlauf verschwindet umgehend im Klangmeer der sich verflüssigenden Strukturen. Hauseggers Prinzip ist es dabei, es dem Rezipienten weitgehend unmöglich zu machen, die Musik analytisch zu hören. Der Komponist hebt, besonders in den ersten beiden Sätzen, den Ablaufcharakter der Zeitkunst Musik auf und entlässt den Hörer in eine auf- und abschwellende Klangflut – und in die eigenen Erlebnisse beim Hören, gelenkt nur durch den Titel „Natursymphonie“. Doch auch im Schlusssatz wird Hausegger nicht wirklich deutlicher und lässt den Chor einen Hymnus auf das Schöpfertum singen, das bei ihm jedoch – im Gegensatz zu Strauss – christlich orientiert bleibt. Der abschließende Satz des Hymnus kann für die ganze Symphonie als Leitbild gelten: „Du zählst nicht mehr, berechnest keine Zeit / Und jeder Schritt ist Unermesslichkeit.“

Mit ihrem riesigen Materialaufwand und ihrer himmelwärts jubelnden Apotheose hinterlässt die „Natursymphonie“ den unangenehmen Nachgeschmack der Übertreibung. Sicher, die Problemstellung teilt Hausegger mit prominenteren symphonischen Beispielen (wie u. a. bei Mahler beobachtbar). Dennoch stimmt das hochgetriebene Pathos in Verbindung mit einer Absage an die Verstandestätigkeit doch sehr nachdenklich. Denn Hausegger bewegt sich damit exakt im Zeitgeist der letzten Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, welcher den Jubel auf die Natur fast nahtlos in die Kriegbegeisterung von 1914 übergehen ließ.

Diese Bedenken mindern in keiner Weise den Verdienst Ari Rasilainens, mit dem WDR Sinfonieorchester Köln ein Stück völlig unbekannter deutscher Musikkultur erhellt zu haben. Siegmund von Hausegger, der als Organisator des Musiklebens über drei deutsche Staaten hinweg in der Musikologie durchaus, wenn auch – eingedenk seiner Rolle unter den Nationalsozialisten – problembeladen präsent war, kann nun auch als Komponist besser eingeordnet werden. Aufnahmetechnisch befriedigt diese SACD leider nicht voll. Zu metallisch klingen Blechbläser und Becken. Gerade in Hinblick auf Hauseggers Ästhetik ist das nicht vorteilhaft, da diese doch auf Klang den allergrößten Wert legt.

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Siegmund von Hausegger:
Natursymphonie für großes Orchester
und Schlusschor


1. Gehalten und mit Dehnung – schnell (18:99)
2. Langsam und gedehnt (19:34)
3. Stürmisch bewegt (7:40)
4. Sehr breit – mit größter Kraft (10:52)

WDR Rundfunkchor Köln
WDR Sinfonieorchester Köln
Leitung: Ari Rasilainen



CPO 7178470 (im Vertrieb von jpc)


Weitere Informationen
www.jpc.de





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