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Vagn Holmboe
String Quartets Vol. 1

Nightingale String Quartet


Feines aus dem Norden

Von Christoph Wurzel / Julia Severinsen

Musik aus Dänemark ist hierzulande weitgehend eine terra incognita. Wenn überhaupt, dann wird die  Rezeption der Musik von Komponisten unseres nördlichen Nachbarlandes dominiert von Carl Nielsen (1865 - 1931), dessen spätromantische Werke sich immer noch am besten in unsere Konzertprogramme einfügen lassen. Der zeitgenössische dänische Komponist Per Nørgård (geb. 1932) mag vor allem als Träger des renommierten Siemens Musikpreises von 2016 noch einigermaßen bekannt sein, wenngleich seine Werke, die sich jeder stilistischen Schublade entziehen, hier nur sehr vereinzelt einmal in Konzerten zu finden sind; ganz zu schweigen von seinen Opern.

Zwischen beiden steht Vagn Holmboe (1909-1996), zwar kein direkter Schüler, aber seinerseits doch beeinflusst von Nielsen und andererseits Lehrer von  Nørgård. Obwohl Holmboes Werkkatalog rund 200 Werke aller Gattungen umfasst, taucht sein Name im deutschen Konzertbetrieb nahezu nicht auf. Auch in einschlägigen Lexica (außer der MGG)  ist er kaum zu finden, dabei wird er in Skandinavien als Komponist hoch geschätzt. Und zwar zu Recht, wie die Aufnahme von dreien seiner insgesamt 22 Streichquartette beweist, die nun vom Nightingale String Quartet als Volume 1 einer geplanten Gesamteinspielung beim Label DACAPO vorgelegt wurde.

Nightingale String Quartet Kopenhagen
Gunvor Sihm, Violine
Josefine Dalsgaard, Violine
Marie Louise Broholt Jensen, Viola
Louisa Schwab, Violoncello

Allein die Auswahl dieser drei Streichquartette, den beiden frühen Nr. 1 und Nr. 3 aus dem Jahre 1949 und der Nr. 15 von 1978, vermittelt einen Eindruck von der Vielfalt der musikalischen Möglichkeiten Holmboes. Zwar zeigt sich in dieser Zeitspanne von ca. 30 Jahren keine grundlegende Weiterentwicklung seiner Kompositionsweise, sondern eher eine Verfeinerung der Tonsprache und eine noch größere Ausdruckstiefe. Holmboe experimentiert nicht mit der musikalischen Form, sondern der Reichtum seiner Musik zeigt sich in den vielgestaltigen Varianten seiner musikalischen Gedankenentwicklung. Formal knüpft Holmboe an das tradierte Muster des Streichquartetts an, inhaltlich aber geht er in seiner Verarbeitung der musikalischen Motive einen ganz eigenen Weg. Seine Motive verarbeitet Holmboe nicht in der gewohnten Art einer Durchführung, sondern in der von ihm so bezeichneten Weise der Metamorphose. Ausgehend vom motivischen Kern blühen die musikalischen Gedanken in oft weit gespannten Verwandlungen gleichsam organisch auf, ohne allerdings die Musik aus der Form geraten zu lassen. So bildet die Imitation eines Rufs der Seemöve, ein halbtaktiges markantes Motiv gleich zu Beginn, den Keim des 1.Satzes im 15. Streichquartett. Es durchzieht als rhythmischer Orientierungspunkt den ganzen Satz, während die musikalischen Gedanken dieses Motiv umkreisen. In solchen Motiven oder melodischen Elementen sieht Holmboe den Ansatzpunkt, deren Potential zu erkunden und ihren Kern sich entwickeln zu lassen. Aus der Ergiebigkeit solcher Prozesses speisen sich die einzelnen Sätze seiner Streichquartette.

Diese Kompositionsweise eines frei fließenden Gedankenstroms lässt Holmboes Musik höchst interessant und abwechslungsreich erscheinen, sie verführt beim Hören zu spannungsvoller Konzentration. Beeindruckend ist aber auch an den drei hier vorgestellten Streichquartetten deren Vielfalt im musikalischen Ausdruck, vom Brio eines feurigen Allegro über eine gemessene Chaconne bis hin zum tief versonnenen Adagio und dies auf kleinem Raum. Holmboes Musiksprache basiert auf freier Tonalität, kennt aber besonders an expressiven Stellen auch schroffe Dissonanzen, hartes col-legno-Spiel oder subtil eingesetze Glissandi. Sie wirkt nicht avantgardistisch, aber gleichsam zeitlos modern.
Erklärtermaßen fühlt sich Holmboe von Béla Bartók beeinflusst und hat sich selbst auch Studien der rumänischen und ungarischen Volksmusik gewidmet. So sind die beiden Werke aus dem Jahre 1949 hörbar von Bartóks musikalischem Idiom geprägt. In seinem 1. Streichquartett knüpft Holmboe "in memoriam Béla Bartók" bewusst an dessen letztes Streichquartett (Nr. 6) an, indem er den 1. Satz genau wie Bartók mit einer langen Bratschen-Kantilene beginnen lässt, die er dann mit der Ausdrucksbezeichnung "affettuoso"  in der beschriebenen Technik auch unter Verwendung balkanischer Rhythmik zu einem vielgestaltigen Satz ausbaut, der auch den anderen Instrumenten mit Varianten der Ausgangsmelodie reiche solistische Entfaltungsmöglichkeiten bietet.

Die vier Musikerinnen des in Kopenhagen ansässigen Nightingale Quartet sind offenkundig mit Holmboes Musik bestens vertraut. Intensiv loten sie die Feinheiten der musikalischen Gedankengänge aus, mit viel Gespür für spannungsvolle Dynamik und in beredter Artikulation. Aparte Klangeffekte, subtiles Pianospiel und Wohlklang in der Tongebung etwa zeichnen vor allem die langsamen Sätze aus, wie das Adagio im 1. Quartett. Zugute kommt den vier Solistinnen besonders bei dieser speziellen Kompositionsweise ihre hohe Kunst des bruchlosen und aufmerksamen Zusammenspiels, das elegante Aufnehmen und Abgeben der musikalischen Gedanken. Schöner könnte man diese Musik nicht interpretieren.

 

Fazit:

Holmboes Streichquartette sind eine Empfehlung für Entdeckungsfreudige in der Kammermusik. Man wird zudem reich belohnt durch das exzellente Spiel der vier Musikerinnen des Nightingale Quartet.

 

 
 
 
 
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Vagn Holmboe
String Quartets Vol.1

Nightingale String Quartet
Gunvor Sihm, Violine
Josefine Dalsgaard, Violine
Marie Louise Broholt Jensen, Viola
Louisa Schwab, Violoncello

Streichquartett Nr.1 op. 46 (1949)
Streichquartett Nr.3 op. 48 (1949)
Streichquartett Nr. 15 op.135 (1978)

Gesamtspielzeit: 67:10
Aufnahmen: Kopenhagen 2017/2018
Veröffentlicht: Jan. 202
1
beim Label DACAPO
Booklet: dänisch/englisch

www.dacapo-records.dk



https://www.nightingalestringquartet.com




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