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Philippe Jaroussky - Ensemble Atarserse
La vanitá del mondo


Traurig schön

Von Susanne Westerholt

Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Der Jahresbeginn 2021 ist, bei allem vorsichtigen Optimismus, bestimmt von Nachdenklichkeit, und für manchen waren die vorangegangenen Weihnachtstage ein trauriges Fest. Was könnte da helfen? Musik! Sie vermag zu trösten, wo Worte nicht ausreichen.

Dass dies keine Plattitüde ist, beweist die neueste CD von Philippe Jaroussky mit dem Ensemble Artaserse. Jaroussky, der heute Anfang 40 ist, blickt auf eine bisher glänzende Karriere als Countertenor zurück; er gilt zu Recht als einer der besten Sänger seines Fachs. Dabei war es bis vor einiger Zeit überhaupt nicht selbstverständlich, als Countertenor Karriere machen zu können; als zu "speziell" und zu ungewöhnlich galt dieses Gesangsfach lange Zeit. Der viel zu früh verstorbenen Klaus Nomi gilt als einer der Vorreiter unter den Countertenören. Quasi zum Durchbruch verhalf dem ursprünglichen Außenseiter-Fach Andreas Scholl. Unterdessen erfreuen sich Countertenöre wachsender Beliebtheit. Davon zeugen die Karrieren etwa von Franco Fagioli, Alex Potter oder Jakub Józef Orliński, die derzeit weltweit äußerst gefragt sind.

Der Franzose Philippe Jaroussky seinerseits gilt als DER Überflieger seines Fachs schlechthin, und zwar weil er über eine unbeschreiblich luzide, ja engelhafte Stimme und eine stupende Technik verfügt. Völlig verdient hat er in der Vergangenheit schon mehrere ECHO Klassik-Preise gewonnen.

Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass Jaroussky in der hier zu besprechenden CD keine sprühenden Barockopernarien vorträgt, sondern eben Arien aus Oratorien, und zwar aus dem Italien des 17. und 18. Jahrhunderts. Aufgrund des coronabedingten Lockdown mussten die Aufnahmen auf den Juni 2020 verschoben werden. Jaroussky erklärt im sorgfältig aufbereiteten und schön gestalteten Booklet, dass sich der Titel der CD La vanità del mondo explizit auf die Coronakrise bezieht.

Nein, Corona ist nicht die Pest. Und doch erinnert die CD entfernt an ein literarisches Werk: Il Decamerone von Giovanni Boccaccio. Darin entfliehen zur Zeit der Pest in Florenz im 14. Jahrhundert mehrere Personen aus der Stadt in ein Landhaus und beginnen dort sich Geschichten zu erzählen. Die vorliegende CD wechselt zwischen nachdenklich, ja traurig stimmenden und "spritzig" lebendigen Arien, eben gerade so als würde man sich in einer angeregten Runde Geschichten erzählen.

Um es vorweg zu nehmen: Die gesamte CD ist auf hohem künstlerischem Niveau angesiedelt, purer Hörgenuss also. Vorneweg das Ensemble Artaserse, das 2002 von Philippe Jaroussky gegründet wurde; es begleitet einfühlsam und mit sattem Timbre. Dabei gibt es durchaus Höhepunkte: Herausragend interpretiert Jaroussky etwa das Dormi, fulmine di guerra von Allessandro Scarlatti: schlicht, schnörkellos und mit großer Anmut. Und erstaunlich voll klingt seine Stimme im Furioso: in Tuona il Ciel von Benedetto Marcello braust Jaroussky wütend auf und zeigt sich hier für einmal gar nicht engelhaft.

Als einziger Schönheitsfehler ist anzumerken, dass Jaroussky in ganz tiefen Lagen nicht souverän, sondern unsicher klingt, vor allem in der Arie Contro l'empio s'impugni la spada von Antonio Caldara. Für Interessierte: derart tiefe Lagen sind eine Spezialität des argentinischen Countertenors Franco Fagioli, der über einen Stimmumfang von sage und schreibe drei Oktaven verfügt. Nein, Jaroussky hat andere Qualitäten, und zwar in hohen Lagen, ob wütend oder engelhaft: einfach traumhaft, und ja: durchaus tröstend in dieser schweren Zeit. Eine CD, die allen ans Herz gelegt sei.

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Cover

Philippe Jaroussky - Ensemble Atarserse
La vanitá del mondo


Philippe Jaroussky, Countertenor
Ensemble Atarserse

1. P. Torri : "Perché più franco" (aus "Abramo") 6:20
2. A. Scarlatti : "Ardea di fiamma impura" (aus "La Giuditta") 1:30
3. A. Scarlatti: "Dormi, o fulmine di guerra" (aus "La Giuditta") 5:50
4. Fortunato Chelleri : "Odi, Mosè mio fido" (aus "Dio sul Sinai") 2:26
5. Fortunato Chelleri: "Caderà, perirà" (aus "Dio sul Sinai") 3:43
6. Georg Friedrich Händel : "Lascia la spina, cogli la rosa" Aus ( "Il trionfo del Tempo e del Disinganno") 5:31
7. Antonio Caldara : "Contro l'empio s'impugni la spada" (aus "Assalonne") 3:23
8. Antonio Maria Bononcini: "Bacio l'ombre e le catene" (aus "La decollazione di San Giovanni Battista") 6:00
9. Antonio Maria Bononcini : Sinfonia (aus "La decollazione di San Giovanni Battista") 3 :45
10. Pietro Torri : "Esiliatevi pene funeste" (aus "La vanità del mondo") 3:11
11. Nicola Fago: "Ohimè, d'armi e cavalli" (aus "Il faraone sommerso") 1:10
12. Nicola Fago: "Forz'è pur nel proprio sangue" (aus "Il faraone sommerso" 6:19
13. Antonio Caldara: "Ferma, ascolta e festeggia" (aus "Santa Ferma") 0:34
14. Antonio Caldara: "Amar senza penar" (aus "Santa Ferma") 3:37
15. Johann Adolph Hasse: "Sì, solo a te mio dio" (aus "La conversione di Sant'Agostino") 3:40
16. Johann Adolphe Hasse : "Il rimorso opprime il seno" (aus "La conversione di Sant'Agostino") 5:43
17. Benedetto Marcello : "Tuona il Ciel" (aus: "La Giuditta") 2:36
18. Antonio Caldara : "È morto il mio Gesù" (aus: "Morte e sepultura di Christo") 7:15


Gesamtspielzeit: 73:10


Warner Classics/Erato 0190295179298


Weitere Informationen
www.warnerclassics.com/artist/philippe-jaroussky




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