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Einblicke in das Schaffen Bohuslav Martinus

Jenseits der Theorie


Wer ist Bohuslav Martinu? Nicht viele Kenner der zeitgenössischen Musik hätten auf diese Frage mehr als eine oberflächliche Antwort. Naxos gebührt ein Lob, diesen außerhalb seiner tschechischen Heimat nur unzureichend gewürdigten Komponisten ins Gedächtnis zurückgerufen zu haben.

Geboren am 8.12.1890 in Policka (Böhmen) und gestorben am 28. August 1959 im schweizerischen Liestal gehörte Martinu zu der Generation von Musikern, die eine - nicht nur musikalische - Übergangsepoche zu fassen suchten. Er gilt als einer der letzten "böhmischen Musikanten"; ihm galten Inspiration, Phantasie und Spielfreude mehr als theoretische Erwägung. In diesem Umfeld hatte es der in der Tradition Smetanas und Dvoraks stehende Musiker jedoch schwer, die ihm zustehende Anerkennung zu finden.

Martinu ist zeit seines Lebens kein Freund der Lehrmeinungen. Seinen ersten Geigenunterricht erhält er mit sieben Jahren vom ortsansässigen Schneider, der nebenbei auch Musikunterricht gibt. Dieser erkennt das Talent des Jungen und hält ihn schon früh zum Komponieren an. Die drei Reiter - die früheste Komposition von Martinu, die erhalten bleibt - komponiert er 1902 mit zwölf Jahren. Mit fünfzehn Jahren erregt er mit einem öffentlichen Konzert in seinem Heimatort Aufsehen; mit sechzehn Jahren geht er nach Prag und schafft dort die Aufnahme ins Konservatorium als Violinist. Als Komponist bleibt er jedoch Autodidakt und aufgrund seines mangelnden Fleisses im Umgang mit der Violine wird er vom Konservatorium gewiesen. Seine Kompositionsstudien betreibt Martinu jedoch mit hohem Ernst und grossem Engagement.

1918 wird er Mitglied der Tschechischen Philharmonie in der zweiten Geige. Dadurch lernt er die Werke von Janacek, Debussy, Ravel, Stravinsky, Dukas und Roussel kennen. Auch die Tourneen des Orchesters erweitern seinen Horizont beträchtlich. Zum Zeitpunkt des Eintritts hat Martinu jedoch mit über hundert Werken verschiedenster Art bereits als fleissiger Komponist von sich reden gemacht. 1922 kehrt er ans Konservatorium zurück, um bei Suk zu studieren; 1923 ermöglicht ihm ein Reisestipendium der Regierung den Aufenthalt in Paris, um bei Roussel seine kompositorischen Fähigkeiten zu erweitern und Ravel, Stravinsky, Milhaud und Honnegger persönlich kennen zu lernen.

Martinu leidet jedoch auch an den Zeitläuften. Der Einmarsch deutscher Truppen in Paris zwingt ihn zur Emmigration in die USA. Aus dem böhmischen Musikanten wird ein Wanderer zwischen den Welten, der sein Leben in der Schweiz beendet, ohne seine Heimat wiedergesehen zu haben. Martinu versucht auch mit Hilfe der Musik, das, was um ihn herum passiert, zu verarbeiten; es existieren Stücke, die reale Geschehnisse verarbeiten: sei es ein Fußballspiel, der Atlantikflug Lindberghs oder ein Memorial für die Opfer von Lidice. In allen seinen Ansätzen bleibt Martinu jedoch der böhmische Musikant, bedrängt von den zahlreichen Stiländerungen seiner Zeit und als "Stilloser" nie einer der tonangebenden Theorien zugehörig.

Doch auch Martinu hat eine Entwicklung durchgemacht; die drei Stücke der CD dokumentieren sein Erwachsenwerden. Es bleibt mir jedoch ein Rätsel, warum der geneigte Hörer seinen CD-Spieler programmieren muss, um eine meiner Ansicht nach sinnvolle Entdeckungsfahrt durch das Schaffen Martinus zu unternehmen. Aber es scheint mir das einzig größere Manko der CD zu sein, dass bei der Platzierung der Stücke die chronologische Reihenfolge nicht eingehalten wurde.

Die drei Reiter (1902)
Das spätromantisches Frühwerk mit drei ineinander übergehenden Sätzen wirkt in seiner Anlage fast sinfonisch und erinnert an sinfonische Malereien Dvoraks, Liszts oder Smetanas.

Streichquartett Nr.1 (1918)
Das heute als erstes Streichquartett benannte Streichquartett Nr.1 von 1918 ist das erste erhalten gebliebene Stück, das formal den Kriterien eines Streichquartetts genügt. Es ist zugleich Martinus längstes Streichquartett. Auch hier finden sich akustische Anleihen anderer Komponisten, jedoch nicht kopiert, sondern verarbeitet und eine Einordnung ermöglichend in einen Entwicklunsprozess. Es ist ein überraschendes Werk, dass zwischen Spätromantik und Expressionismus liegt und den Übergang plastisch in Töne fasst. Auch wenn es dadurch - und durch die Länge - etwas sperrig wirkt, hat mit diesem Stück doch die seltene Möglichkeit, einem Komponisten bei der Verarbeitung eines musikalischen Paradigmenwechsels über die Schulter zu schauen.

Streichquartett Nr.2 (1925)
Mit dem Streichquartett Nr.2 tritt uns ein anderer Martinu entgegen: ein durch Konservatorium und Paris-Aufenthalt gereifter, erwachsener Martinu, der seinen Stil gefunden hat. Die Verarbeitung volksmusikalischer Elemente geschieht nun nach eigenem Stil und mit einer besonderen Verbindung von musikalischem "Komponierwitz" und Tiefgang. Dieses Stück muss man mit anderen Maßstäben messen als man sie vielleicht an ein Brahms'sches Streichquartett anlegen würde; Anspruch und Tiefgang müssen nicht immer mit nordischem Ernst verbunden sein.

Das Martinu-Quartett wird seiner Aufgabe in dieser Einspielung mehr als gerecht. Erscheint mir das Fassen Martinus Kompositionsstil als solches bereits ein schwieriger Akt zu sein, so hat das Quartett die Eigenheiten des Entwicklungsprozesses anhand der drei Stücke soweit herausgearbeitet, dass alle Elemente Martinu'scher Melodik und Methodik in dieser Einspielung fassbar werden. Trotz artistischer Fingerfertigkeit wirken die Interpretationen nie bemüht - und wenn ich bei der Aufnahme dabei gewesen wäre, hätte ich die Musiker bestimmt bei der Arbeit lächeln sehen. Diese CD ist vielleicht nicht das passende Geschenk für den Bach- oder Brahmsverehrer; aber jeder, der musikalisch über den Tellerrand schauen möchte oder Martinu noch nicht schätzen gelernt hat, sollte sich dieses Werk einmal näher anschauen.

Von Michael Gutmann




Cover

Bohuslav Martinu
Streichquartett Nr.1
Streichquartett Nr.2
Die drei Reiter / Tri jezdci


Martinu Quartett:

Lubomir Havlak
Petr Macecek
Jan Jisa
Jitka Vlasankova

Naxos
8.553782
1 CD



Da capo al Fine

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