Online CDs
Klassik
Homepage  zurück  e-mail  Impressum



Christian Tetzlaff - DSO Berlin - Robin Ticcati
Beethoven - Sibelius
Violin Concertos


Beethoven im Sauseschritt

Von Susanne Westerholt

Zu Beginn eine kleine Anekdote: Ein Indianer bittet einen weißen Amerikaner, ihn in seinem Auto ein Stück weit mitzunehmen. Nachdem sie so eine Weile gefahren sind, sagt der Indianer zum Weißen, er möge doch kurz anhalten. Erstaunt fragt der Weisse nach dem Grund. Der Indianer erwidert, es gehe so rasch, seine Seele komme nicht nach...

Damit sind wir bereits mitten drin: in Christian Tetzlaffs Interpretation von Beethovens Violinkonzert mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Robin Ticciati - erschienen pünktlich zum Auftakt des Beethoven-Jahres. Zwar sind auch Hegel und Hölderlin im Jahr 1770 geboren. Doch Beethoven scheint seine beiden Zeitgenossen derzeit in der öffentlichen Wahrnehmung zu überstrahlen. Genauso ergeht es dem Violinkonzert von Sibelius, das ebenfalls für die vorliegende CD eingespielt wurde. Dabei kann sich diese Interpretation hören lassen.

Dazu muss man wissen, dass beide Violinkonzerte äusserst anspruchsvoll sind. Gar keine Frage: es braucht nebst viel Können auch Mut und Selbstbewusstsein, um das einzuspielen. Hinzu kommt, dass für Beethovens Violinkonzert eine als legendär geltende Referenzinterpretation existiert, nämlich diejenige mit Anne-Sophie Mutter mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan. Das macht die Aufgabe wahrlich nicht leichter!

Es mag vielleicht ein wenig fies sein, aber es ist eben gerade diese Referenzinterpretation mit Anne-Sophie Mutter, mit der man zwangsläufig vergleicht. Und, na ja. Es ist ganz wie in der obigen Anekdote: Die Seele bleibt bei diesem raschen Tempo weitgehend auf der Strecke. Christian Tetzlaff erwähnt die Metronomangaben des Beethoven-Schülers Carl Czerny und verweist auf den Charakter des Werks selber. Damit hat er zwar nicht Unrecht. Und auch die heutige Aufführungspraxis der allgemein rascheren Tempi spricht für die vorliegende Interpretation. Allerdings: Spätestens im dritten Satz, dem "Rondo. Allegro" beschleicht einen einfach das ungute Gefühl, dass das Tempo zu schnell gewählt ist. Nicht, dass Tetzlaff damit überfördert wäre: der erfahrene Solist mit Jahrgang 1966 spielt souverän, kraftvoll und technisch brillant. Aber das rasche Tempo geht auf Kosten des Innigen, des Lyrischen. Das gilt für den Solisten und das Orchester gleichermassen. Man mag darüber streiten, wie es Beethoven denn gerne gehabt hätte bezüglich des Tempos. Klar ist jedenfalls, dass das Tempo den Charakter des gesamten Violinkonzerts erheblich mitbestimmt.

Damit hier kein Missverständnis entsteht: Christian Tetzlaff gilt als einer der interessantesten zeitgenössischen Geiger. Er verfügt über ein äussert breites Repertoire und beweist immer wieder viel Mut und Risikobereitschaft im Spiel, was bewundernswert ist und Respekt verdient. So ist es auch nicht selbstverständlich, gemeinsam mit dem Violinkonzert von Beethoven dasjenige von Sibelius aufzunehmen. Denn die beiden Werke sind von ihrem Charakter her von Grund auf verschieden.

Allerdings gibt es auch Gemeinsamkeiten: beide Komponisten schrieben je nur ein einziges Violinkonzert, und beide Werke hatten es zunächst schwer bei Publikum und Kritik. Während Beethovens Violinkonzert eigentlich erst mit dem Geiger Joseph Joachim und damit nach dem Tod des Komponisten seinen eigentlichen Durchbruch feierte, erlitt Sibelius mit seinem Violinkonzert zunächst Schiffbruch. Erst im zweiten Anlauf in einer Neufassung aus dem Jahr 1905 wurde das Werk einigermassen wohlwollend aufgenommen. Seinen Durchbruch hatte es allerdings erst Jahrzehnte später, als es unter anderen von David Oistrach aufgeführt wurde.

Mit Sibelius assoziiert man sofort dessen Sinfonische Dichtung Finlandia. Sein Violinkonzert in d-moll gehört ebenfalls zu Sibelius' bekannteren Werken, der übrigens selber Geige spielte, was man, so Christian Tetzlaff, dem Werk auch anhört. Es gilt als technisch äusserst anspruchsvoll. Tetzlaff zeigt auch hier eine klasse Leistung und beweist damit einmal mehr, dass er zu den besten zeitgenössischen Violinisten zählt. Aber auch das Deutsche Sinfonie-Orchester Berlin besticht hier unter Robin Ticciati mit präzisem Timing und mit einer starken klanglichen Präsenz. Der gebürtige Brite wurde unter anderen von Sir Simon Rattle gefördert und gilt zu Recht als aufgehender Stern am "Dirigentenhimmel".

Die vorliegende Sibelius-Interpretation ist deshalb absolut empfehlenswert. Bei Beethoven hingegen bevorzugen wir die Interpretation von Anne-Sophie Mutter, Czernys Metronomangaben und aktueller Zeitgeist hin oder her. Auf die Gefahr hin, als altmodisch zu gelten: Aber wenn die Seele beim Hören nicht mehr mitkommt, dann hilft die beste technische Brillanz nicht weiter.

Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Cover

Beethoven - Sibelius
Violin Concertos

Christian Tetzlaff, Violine
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Robin Ticciati, Dirigent


Ludwig van Beethoven (1770-1827):
Violinkonzert D-Dur Op. 61 (1806)
1. I Allegro ma non troppo 22:45
2. II Larghetto 8:24
3. III Rondo. Allegro 8:48

Jean Sibelius (1865-1957)
Violinkonzert in d-moll Op. 47 (1905)
4. I Allegro moderato 15:05
5. II Adagio di molto 9:15
6. III Allegro, ma non tanto 6:48

Gesamtspielzeit: 71:08


ausführende Produzenten:
Reijo Kiilunen (Ondine)
Rainer Pöllmann (Deutschlandfunk Kultur) Tonmeister: Christoph Franke
Toningenieur: Henri Thaon

Aufgenommen am 30. und 31. Oktober 2018 (Sibelius) im Grossen Sendesaal, Haus des Rundfunks Berlin sowie am 16. und 17. November 2018 (Beethoven, live-Aufnahme) in der Philharmonie Berlin

Label: Ondine ODE 1334-2
Bestellnr.: CVS016



Weitere Informationen
www.christian-tetzlaff.de
www.dso-berlin.de




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage KLassik-Startseite E-Mail Impressum

© 2020 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: cds@omm.de

- Fine -