Von Christoph Wurzel
Hier dürfte
ein neuer Stern aufgegangen sein: Samuel Mariño, Jahrgang 1993, stammt
aus Venezuela, Opern-Debut 2018 bei den Händelfestspielen in Halle als
Alessandro in Händels Berenice.
Das Programm seines umjubelten Konzerts im Oktober 2019 ebenfalls in
Halle mit dem Händelfestspielorchester unter Michael Hofstetter liegt
nun festgehalten auf einer CD vor.
Mariño ist
kein Counter wie Andere, er ist Sopranist und steigt in einer dieser
Arien mühelos in die eisigen Höhen des dreigestrichenen C hinauf.
Derartige Vokalartistik hat Händel in seiner Oper Atalanta dem Sopran-Kastraten
Gioacchino Conti, genannt Giziello, in die Arie "Non sarà poco" des
Meleagro in die Kehle geschrieben. Mühelos liefert auch Samuel Mariño
dieses Prunkstück ab. Charles Burney würde über ihn dasselbe schreiben
wie seinerzeit über Giziellos Sangeskunst: neu, anmutig und
herzergreifend. Letzteres gelingt Mariño vor allem auch in den
lyrischen Arien wie dem Arioso Meleagros aus Atalanta "Care selve", einem
Naturidyll, ähnlich dem Larghetto-Arioso "Ombra mai fu" aus Serse, mit dem dieses Stück an
sinnlicher Klanglichkeit und melodiöser Sensibilität locker
konkurrieren kann.
Aber die
Platte bietet nicht die allseits bekannten Schlager aus Händels Feder,
sondern eher Raritäten wie die Alessandro-Arie aus Händels Berenice, Regina di Egitto "Che
sarà quando amante accarezza", in der Mariño die Stimme wie ein
Vogel trällern und vor Freude übermütig Purzelbaum schlagen lässt.
Erneut schraubt er sie virtuos in die Höhe, dass es ein Vergnügen ist.
Seine Virtuosität und Agilität in den Koloraturkaskaden sind wirklich
atemberaubend, die Phrasierung flexibel und elegant, die Tongebung
makellos - kurz technisch bewegt sich Mariño auf höchstem Niveau.
Neben den fünf
Händel-Arien finden sich auf der Scheibe acht Ausschnitte aus
italienischen Opern von Gluck, diese zum Teil sogar als
Ersteinspielungen auf CD wie die titelgebende Arie "Care pupille" des
Oronte aus Il Tigrane, deren
Notenmaterial ansonsten größtenteils verschollen ist. In dieser Arie,
einem Meisterstück musikalischer Kampfeslust, kann Mariño seine
großartige Emphase zeigen. Ebenfalls um eine Ersteinspielung handelt es
sich bei der Arie "Tornate sereni", in der das Händelfestspielorchester
Halle unter Michael Hofstetter seine Bläserfarben wundervoll ausspielen
kann. Hier sind es vor allem Oboe und Fagott.
In den
Ausschnitten aus Glucks Antigono
zeigt sich der kernige und klangschöne Glanz des ganzen Orchesters in
aller Fülle als alleiniger Akteur in den drei Sätzen der Sinfonia. In
diesem Werk, das 1755, also sieben Jahre vor seiner Reformoper Orfeo ed Euridice, entstand, hat
Gluck für die Rolle der Berenice ein großes Recitativo accompagnato mit
anschließender Arie geschrieben. Das achtminütige Stück stellt den
absoluten Höhepunkt dieser Platte dar. Hier kann Mariño sein stupendes
Talent zur dramatischen Gestaltung einer Szene beweisen. In reichen
vokalen Farben macht er das Gefühlschaos Berenices klangsinnlich
spürbar, während das Orchester die wechselnde Stimmung der Figur mit
reichem instrumentalem Kolorit ergänzt. Wenn Berenice von ihrem
erwarteten Übergang ins Reich der Schatten singt, grundieren die
Violinen col legno fahl und fast tonlos ihre todessehnsüchtigen
Gedanken.
Gerade die
Stücke aus den Gluck-Opern machen den besonderen Repertoirewert dieser
CD aus und lohnen die Anschaffung. Mag diese männliche Sopranstimme für
manche auch ungewohnt sein, weil ihr jede tiefe Grundierung fehlt, so
strahlt sie doch in der Höhe umso heller. Und wirkt sie mitunter auch
kühl, so verfügt Samuel Mariño doch auch über warme und lyrische Farben.
Diese Debut-CD verheißt
ganz sicher, dass dieser junge Sänger seine Karriere mühelos machen wird.