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Dmitri Schostakowitsch / Leos Janacek
Violinkonzerte

Suche nach Unverwechselbarkeit


Von Markus Bruderreck

In einem Interview hat die junge lettische Geigerin Baiba Skride über ein Konzert berichtet, das zu den schönsten zählte, dass sie jemals gegeben hat. Es war in Moskau und auf dem Programm stand Dmitri Schostakowitschs erstes Violinkonzert. In einem Saal zu spielen, in dem der große russische Komponist so viele seiner Werke uraufgeführt hat, berührte Baiba Skride derart, dass sie noch Stunden nach diesem Ereignis mit niemandem reden konnte. Seit ihrem zwölften Lebensjahr hat die 1981 in Riga geborene Geigerin zu diesem Werk ein besonders intensives Verhältnis. Nun hat Baiba Skride dieses Stück, eine Herausforderung an jeden Geiger, als Hauptwerk für ihre neue CD gewählt. Nach CD mit Einspielungen von Solosonaten von Ysaye, Bartók und Bach sowie Aufmahmen von Konzerten von Michael Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart ist diese neue Veröffentlichung bereits die dritte Produktion von Baiba Skride für das Label „SonyClassical“.

Nicht jeden Tag kann man beobachten, dass Juroren von Musikwettbewerben in spontanen Beifall ausbrechen. Von Baiba Skrides Spiel jedoch waren die Richter des bedeutenden belgischen „Königin Elisabeth“-Wettbewerbes derart hingerissen, dass sie ihrer Beigeisterung auf diese Weise Ausdruck verliehen haben. Mit ihrer fulminanten Interpretation des Violinkonzertes von Peter Tschaikowsky fiel vor fünf Jahren der Startschuss zu Baiba Skrides internationaler Karriere. Aber auch schon vor diesem wichtigen Ereignis hatte die junge Künstlerin einfach eine Menge Glück. Hineingeboren in eine Musikerfamilie, war der Weg zur Geige nicht weit. Baiba und ihre beiden Schwestern rissen sich geradezu um das Instrument. Klavier und Ballettunterricht blieben am Ende Nebensache, und schon mit drei Jahren stand für sie fest: Mein Instrument ist die Geige. Ein anderer Glücksfaktor in Baiba Skrides Leben ist die Tatsache, dass sie schon früh ihre musikalischen Talente erproben konnte, denn die rund 90 Musikschulen in Lettland sind für alle Bürger frei und kostenlos zugänglich. Die richtigen Lehrer gefunden zu haben, sei ebenfalls ein erfreulicher Zufall gewesen, meint Baiba Skride. Etwa Petru Munteanu, der sie später an der Musikhochschule in Rostock unterrichtete. Seit ihrem Sieg in Brüssel liest sich Baiba Skrides Lebenslauf wie der vieler anderer erfolgreicher Solistinnen, die heute die musikalische Szene beherrschen. Wobei die Konkurrenz an jungen Geigerinnen zurzeit bekanntlich ja sehr groß ist, ob sie nun Mirijam Contzen heißen oder Isabel Faust, Hillary Hahn oder Julia Fischer. Alle haben künstlerisch etwas zu sagen und suchen nach dem Quäntchen, dass sie unverwechselbar macht. Baiba Skride startet in diesem Wettbewerb mit einem besonders charaktervollen Geigenton. Ihre Stradivari aus dem Jahre 1725 sorgt für eine eher dunkle Färbung der Klänge. Dazu treten emotionale Tiefe und eine herbe Süße im Ton, die typisch für sie ist.

Das Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch, 1955 vollendet und von David Oistrach uraufgeführt, ist ein Werk, das musikalische Extreme auslotet. Unendliche, brütende Melodien stehen Sätzen gegenüber, die sich in grimmigem Übermut überschlagen, wie etwa das Scherzo oder die abschließende Burleske. Als Interpret muss man in dieser Musik ganz bei sich selbst sein und erzählen wollen von der Trauer des Stückes, sich gleichzeitig aber auch mit Vehemenz in den verzweifelten Humor stürzen. Baiba Skride reizt musikalisch aus, was das Stück an Gegensätzlichkeiten bereithält. Eine überzeugende Leistung, obwohl natürlich auch noch höhere geigerische Kategorien existieren, etwa die, in der David Oistrach spielt, der Widmungsträger dieses Konzertes. Ein Blick auf und ein Vergleich mit der soeben erschienenen Einspielung mit Daniel Hope und Maxim Schostakowitsch könnte auch erhellendes zu Tage liefern (kann aber hier nicht geleistet werden). Sicher also existieren musikalisch noch überzeugendere Einspielungen. Und schade auch, dass durch die Aufnahmetechnik dieses Live-Mitschnitts aus der Münchener Philharmonie das Orchester zuweilen in den Hintergrund tritt und nur wenig wirklich lebendiger Dialog zwischen der Solistin und den Orchestermusikern entsteht. Das erst 27-jährige, finnische Dirigiertalent Mikko Franck hat hier, so scheint es, eine recht solide, tüchtige Arbeit abgeliefert. Ob das aber für eine herausragende CD ausreicht, muss jeder Musikliebhaber selbst entscheiden. Vor allem aber unterstreicht es nochmals die Politik des Labels Sony, sich um die Begleitung ihrer Stars weniger zu kümmern als um die Solisten, die auf den Aufnahmen immer sehr weit im Vordergrund stehen.

Auf ihrer neuen CD hat die Geigerin Baiba Skride neben dem bereits recht häufig aufgenommenen Schostakowitsch-Werk noch eine Rarität beigefügt. Wanderung einer Seele hat Leos Janáèek etwas geheimnisvoll sein Violinkonzert genannt, das nie wirklich fertig gestellt wurde. Entworfen parallel zur 1927 begonnenen Oper Aus einem Totenhaus, diente die Partitur dem Komponisten später nur noch als motivischer Steinbruch. Erst in den achtziger Jahren machten sich zwei tschechische Musikforscher daran, dieses Werk zu rekonstruieren. Das Ergebnis des 1988 in Brünn uraufgeführten Werkes: Ein gut zwölf Minuten langer Einzelsatz mit höchst origineller, wenn auch sehr disparat wirkender Musik. Ist das Wort „Violinkonzert“ hier wirklich angebracht? Ein Punkt, über den man diskutieren könnte.

Baiba Skride erweist sich hier als die rechte Interpretin dieses sperrigen Stückes. Marek Janowski und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin sind kompetente Begleiter. Wie schon im Schostakowitsch-Konzert lohnt auch hier die Begegnung mit einer Geigerin, die mit emotionaler Tiefe überzeugt und mit einem Ton, dem falscher Glanz abgeht, der dafür aber umso wärmer mattgolden schimmert. Von ihren zahlreichen Konkurrentinnen hat Baiba Skride sich mit ihrer bei „SonyClassical“ erschienenen CD zweifellos ein kleines Stück abgesetzt. Und es sind wohl gerade Einspielungen wie die Wanderung einer Seele, die zur Schärfung des eigenen künstlerischen Profils viel beitragen können. Man mag ihr Glück wünschen. Denn scharf bläst der Wind der Konkurrenz, und hart sind die Gesetze, die aus guten Geigerinnen Stars machen können.

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Baiba Skride. Violin Concertos

Dmitri Schostakowitsch:
Violinkonzert Nr. 1 a-moll, op. 77
Münchener Philharmoniker
Ltg.: Mikko Franck

Leos Janacek
Violinkonzert “Wanderung einer Seele”
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Ltg.: Marek Janowski

Sony Classical 82876731462


Weitere Informationen
http://www.sonyclassical.de/baibaskride/index.html






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