Von Christoph Wurzel
Agnes
Zimmermann ist es ergangen wie so vielen komponierenden Frauen. Zu
Lebzeiten waren sie ge- und berühmt, dann wurden sie vergessen. Clara
Schumann ist eine von Wenigen, deren Ruhm nicht ganz verblasste. Sie
war bereits legendär als pianistisches und zugleich komponierendes
Wunderkind und blieb es bis ins hohe Alter hinein als berufene
Interpretin der Werke ihres Mannes Robert wie auch des klassisch
romantischen Repertoires überhaupt. Mit Clara Schumann verband Agnes
Zimmermann nicht allein dieses Doppelprofil als komponierende
Pianistin, sondern auch eine künstlerische Zusammenarbeit bis hin zur
privaten Freundschaft mit der 28 Jahre älteren Schumann-Witwe.
Gemeinsam führten sie an zwei Klavieren neben Werken von Schumann und
Brahms auch ihre eigenen Kompositionen auf.
Überhaupt
glich sich das Repertoire der beiden Künstlerinnen beinahe bis aufs
Haar. Agnes Zimmermann war nach ihrem Studium an der Royal Acadamy of
Music rasch zu einer anerkannten Interpretin der Klavierwerke
Beethovens, Chopins und Robert Schumanns geworden. Auch widmete sie
sich intensiv den Werken Bachs und - damals noch ungewöhnlich -
Domenico Scarlattis und Jean Philippe Rameaus. Geboren 1847 in Köln und
bereits in jungen Jahren mit den Eltern nach London übergesiedelt,
beschränkte sich ihr pianistisches Wirken im Wesentlichen auf die
Londoner Musikszene. Ihr vielbeachtetes Debut als Konzertpianistin
hatte sie 1863 im berühmten Kristallpalast mit Beethovens 5. Klavierkonzert gegeben. Regelmäßig
trat sie bei den Londoner Popular Concerts auf. Konzertreisen führten
sie aber auch mehrfach nach Deutschland, wovon sich allerdings nur
wenige Zeugnisse erhalten haben. Anders als über ihr Wirken in England,
das dort in hervorragenden Kritiken gewürdigt wurde. Besonders
hervorgehoben wurde ihre Werktreue bei der Interpretation, eine
glänzende Anschlagskunst und ihre künstlerische Wahrhaftigkeit jenseits
aller Effekthascherei. Nach ihren Tod 1925 in London lobte die Royal
Academy über mehrere Jahre hinweg sogar einen "Agnes Zimmermann Prize"
für Klavierspiel aus.
Der Nachwelt
blieb nicht viel von ihrer Kunst. Ihre zahlreichen Klavier- und
Kammermusikwerke und darüberhinaus auch eine erhebliche Anzahl
Vokalmusik wurden zwar gedruckt ebenso wie die von ihr herausgegebenen
Sammlungen der Klaviermusik von Mozart, Beethoven und Schumann. Doch
sowohl über diese Ausgaben wie auch ihre eigenen Kompositionen war die
Zeit hinweggegangen. Sie waren zu sehr dem klassisch-romantischen
Formenkanon verpflichtet. Trotzdem verdient es großer Aufmerksamkeit,
dass nun als erste Einspielung von Zimmermanns Musik überhaupt ihre 3 Violinsonaten auf CD erhältlich
sind. Die beiden britischen Musiker Mathilde Milwidsky (Violine) und
Sam Haywood (Klavier) haben sich Zimmermanns Musik mit spürbarer
Hingabe gewidmet und die drei Sonaten mustergültig interpretiert.
Agnes
Zimmermann hatte von ihrem Lehrer an der Royal Academy, dem
renommierten Pianisten und Komponisten George Alexander Macfarren das
Handwerk der klassischen Sonatenform gründlich studiert und, man merkt
es den Kompositionen deutlich an, tief verinnerlicht. Neben exzellenter
Formbeherrschung zeichnen sich die 3 Sonaten aber auch durch eine
besonders reiche und, wie es die zeitgenössische Kritik anmerkte,
"charmante" Melodieerfindung aus. Violine und Klavier sind stets
gleichberechtigt, was einen so bedeutenden Solisten wie Joseph Joachim
so sehr überzeugte, dass er Zimmermanns 1. Sonate mit der Komponistin am
Klavier zur Uraufführung brachte. Für die Uraufführung der beiden
folgenden Sonaten gewann Zimmermann ebenfalls eine zu der Zeit berühmte
Interpretin, die englische Geigerin Wilma Norman-Neruda, Ehefrau des
britischen Musikmäzens Charles Hallè, der in Manchester das nach ihm
benannte Orchester gründete, noch heute einer der führenden Klangkörper
in England.
Die drei
Sonaten, sämtlich in Moll, unterscheiden sich deutlich in ihrem
Charakter. Die erste mit 21 Jahren komponierte Sonate strahlt
jugendliche Frische und temperamentvolle Kraft aus, was die beiden
Musiker mit großer Spielfreude und technisch brillant umzusetzen
verstehen. Dem Geigenpart verleiht Mathilde Milwidsky in den tiefen
Lagen einen satten, samtigen Klang wie den einer Bratsche. Die weiten
melodischen Bögen lässt sie wunderschön schwingen. Das Scherzo atmet
spielerische Leichtigkeit und in schönem Kontrast dazu im Trio eine
etwas verschattete Nachdenklichkeit - ganz wie vorgeschrieben
"grazioso" gespielt. Gefühlvoll, doch nicht sentimental gestalten
Geigerin und Pianist das tief melodische Andante tranquillo und legen
in das Finale dem Allegro vivace eine große Portion tänzerischer
Vitalität hinein. Als das Werk einer selbstbewussten Komponistin kommt
die Sonate in dieser Interpretation aufs Schönste zur Wirkung.
Von den drei
Sonaten ist die 1875 entstandene zweite in a-Moll sicherlich die
romantischste. Im ersten Satz glänzt die Musik in gedankenschwerer,
tragischer Grundstimmung mit fast orchestraler Klangfülle. In
einer nahezu an Beethoven erinnernde Komplexität hat Agnes Zimmermann
diesen Sonatensatz meisterlich, aber keineswegs schulmeisterlich
durchgeführt und Mathilde Milwidsky und Sam Haywood lassen diese
Strukturen transparent werden, indem sie den Fluss betonen und nicht
die Form. Virtuos führen sie die interessante
Figuration im Scherzo aus. Der schwelgerischen, fast hymnischen Melodie
des Andante cantabile verleihen sie in subtil ausdifferenzierter Dynamik
emotionale Tiefe. An solchen Stellen spürt man besonders die große
Einsatzbereitschaft der beiden Solisten für diese Musik.
Die dritte
Sonate in g-Moll von 1879 verrät am deutlichsten die musikalischen
Vorbilder, an denen sich Agnes Zimmermann orientierte, beeinflusst von
den Kompositionen, die sie in ihren Konzerten interpretierte. Der Autor
des zwar sehr ausführlichen, aber leider nur in Englisch beigefügten
Booklets wird nicht müde, die Anklänge in Zimmermanns Musik an
Komponisten wie Brahms, Mendelssohn oder Chopin hervorzuheben. Das
wirkt etwas uncharmant, weil ihre Musik durchaus hohen Eigenwert
besitzt und für sich selbst Geltung beanspruchen kann. Dass im Scherzo
der 3. Sonate deutlich der Stil von Chopins Mazurken durchschimmert, ist schon
allein der ingeniösen Melodie Zimmermanns wegen kein Mangel und erklärt
sich zudem aus der Mode der Zeit. Agnes Zimmermann ist sicherlich keine
Neutönerin gewesen, als Interpretin wie als Komponisten steht sie tief
in der klassisch-romantischen Tradition. So sind ihre Sonaten weniger
durch einen ausdrücklichen Personalstil geprägt. Aber sie sind gut
komponiert und inspirierend in ihrer Art.
Allein
deswegen ist diese CD eine Repertoire-Bereicherung, die durch die
engagierte Interpretation der beiden Solisten nochmals unterstrichen
wird.