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Steingartenstille


Das Haiku ist eine denkbar knappe japanische Gedichtsform, die in der Regel aus drei Zeilen mit fünf, sieben und fünf Silben besteht. Man muss diese Form der Lyrik im Kontext der japanischen Kultur betrachten, will man dieser Poesie gerecht werden: Einen schlichter Dreizeiler wie

Herbsttage rollten
wie Perlen einer Kette,
deren Band zeriss.


könnte man sonst leicht für banale Pennälerlyrik halten. Der 1910 in Berlin geborene Günther Klinge wagt sich auf gefährliches Terrain, wenn er in Deutschland und in deutscher Sprache täglich Haiku dichtet. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das Haiku stellt eine höchst komplexe Form dar, und Günther Klinge ist vermutlich ein Meister des Haiku. Nur lässt sich ungewollt Schund damit treiben, wenn man allzu unbedarft an diese Gattung heran geht. Der kluge Leser ahnt bereits: Die Haiku-Vertonungen dieser CD werden dieser Gefahr nicht immer Herr.

Für eine so knappe Gedichtsform eine adäquate musikalische Umsetzung zu finden, dass bleibt auch nach Anhören der CD ein ungelöstes Problem. Am ehesten ist dies Wilfried Hiller im zweiten der Servietten-Haikus (so genannt, weil Klinge sie beim gemeinsamen Essen mit Hiller auf einer Serviette notierte) gelungen: Eine absteigende Skala von 34 Harfentönen bildet eine musikalische Perlenkette, die dem Bild des Haiku (es handelt sich um das oben zitierte) entspricht. Hiller bedient sich einer aparten, aber sehr konventionellen Tonsprache, die gefälligen Wohlklang zum Ziel hat. Das mag den Texten angemessen sein, aber es macht aus dem Haiku eine delikate Süßigkeit: Eine leicht exotische Delikatesse.

Einigen seiner (noch sehr jungen) Schülern hat Hiller Klinges Sammelband Steingartenstille ans Herz gelegt, und die haben daraus kleine Liederzyklen gestaltet. Aber ob Minas Borboudakis hübsch, aber arg plakativ im Marimbaphon das Fallen der Schneeflocken nachzeichnet oder Antje Uhle in postimpressionistischer Manier das Spiel der Wellen tonmalerisch nachzeichnet - das hört sich nett an, aber es ist nicht übermäßig originell, und es ist natürlich auch eine recht "europäische" Sicht. Der Sprung über die Kulturen hinweg findet nicht statt: Japanoiserien als elegantes Dekor.

Den interessantesten Zugang findet Markus Zahnhausen erstaunlicherweise, indem er gerade nicht die Kürze der Vorlage hervor hebt, sondern das Versschema schlicht ignoriert und die Gedichtszeilen stark dehnt. Aus den Miniaturen werden sieben "Szenen", die sich eindeutig in die europäische Tradition stellen (aber auch japanische Elemente aufgreifen) - und dadurch überzeugender sind als die Versuche, asiatisches Kolorit zu zaubern. Die Form des Haiku wird bei ihm quasi aufgelöst, steht nur noch im Hintergrund, und dadurch kann sich seine Musik mit eigenen Qualitäten behaupten - und auch die Haiku, die hier einmal nicht lediglich als Stimmungsbild herhalten müssen.


Von Stefan Schmöe






Cover

Steingartenstille
Vertonte Haiku
nach Texten von Günther Klinge

Winfried Hiller (*1941):
Servietten-Haiku (1998)
für Sopran und Instrumente

Susanne Bernhard, Sopran
Christine Gruber, Harfe
Sonja Korkeala, Violine
Richard Obermayer, Klarinette
Martin Ruhland, Schlagzeug



Minas Borboudakis (1974):
Steingartenstille (1995)
12 haiku für Sopran, Flöte und Schlagzeug

Susanne Bernhard, Sopran
Kozue Sato, Flöte
Jens Hilse, Schlagzeug



Antje Uhle (*1973):
Der Geist der Stille (1995/96)
für Altstime, Violine, Violoncello und Klavier

Martina Koppelstetter, Alt
Trio con brio:
Hildegard Senninger, Violine
Sabina Lehmann, Cello
Brigitte Braitsch, Klavier


Markus Zahnhausen (*1965):
Klingende Zeit (1998)

Sieben Szenen für Bariton,
Blockflöte, Violoncello und Klavier

Simon Pauly, Bariton
Markus Zahnhausen, Blockflöte
Ryuchi Rainer Suzuki, Violoncello
Andreas Skouras, Klavier


Co-Produktion mit dem Bayerischen Rundfunk
aufgenommen 1998

Traurige Tropen
TRTR 007




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