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Cecilia Bartoli
Farinelli


Bitte mehr davon!

Von Susanne Westerholt

"One God, one Farinelli!" Diese Worte soll eine Lady Rich anlässlich einer Londoner Opernaufführung zu Farinellis Darbietung gesagt haben. Ein Publikum in Ekstase? Das ist offenbar nicht erst seit den Beatles ein Phänomen.

Farinelli. Der Name steht nicht nur für den wohl besten Kastraten-Sänger, den es je gab, sondern den Ausnahmesänger umgab außerdem eine Aura des Überirdischen. Dieser Magie konnten sich die Zeitgenossen Farinellis offenbar kaum entziehen.

Carlo Broschi, genannt Farinelli, wurde Anfang des 18. Jahrhunderts in Andria, im Königreich Neapel geboren. Er war Schüler von Nicola Porpora, der zu Farinellis Zeit als einer der besten Gesangslehrer überhaupt galt und in Neapel unterrichtete. Von Neapel aus startete der junge und hochbegabte Farinelli seine Karriere. Er sang in Bologna, Venedig und Wien, wo ihm der römisch-deutsche Kaiser Karl VI. der Überlieferung nach den Ratschlag gab, mehr Einfachheit in seinen Gesang zu legen. Farinelli setzte diesen um und entfernte sich mehr und mehr vom spektakulären Virtuosentum. Stattdessen gewannen seine Arien an emotionalem Tiefgang, an Schlichtheit und Innigkeit.

Weitere Stationen in Farinellis Karriere waren Turin, London - wo er drei Jahre lang blieb - und schliesslich Madrid. Hier verpflichtete er sich vertraglich, dem an Depression erkrankten König Philipp V. täglich privat vorzusingen und gänzlich auf öffentliche Auftritte zu verzichten. Ca. 20 Jahre lang tat er dies schließlich! Damit zog sich Farinelli überraschend früh von der Öffentlichkeit zurück, was seinen Kultstatus wohl noch beflügelt hat. Seinen Lebensabend verbrachte Farinelli in Bologna.

Was war nun das Besondere an Farinellis Gesang? Aus den Quellen geht hervor, dass Farinelli über eine sagenhafte Gesangs- und Atemtechnik verfügte, die vermutlich auf die Ausbildung bei Porpora zurückgeht. Farinellis Stimme hatte einen Ambitus vom kleinen c bis zum dreigestrichenen d - das sind mehr als drei Oktaven! Er konnte Phrasen extrem lange singen, scheinbar ohne dabei Atem zu holen. Ausserdem war er in der Lage, schwierige Intervallsprünge mit absoluter Treffsicherheit und Leichtigkeit zu meistern und scheinbar unendlich viele Noten in eine Phrase zu "packen", ohne dabei ins Stocken zu geraten. Kurz gesagt: ein Genie von einem Sänger, gepaart mit einer Stimme, die vom berühmten Flötisten und Komponisten Johann Joachim Quantz als durchdringende, volle, satte, helle und wohlmodulierte Sopranstimme beschrieben wurde. Die technische Brillanz ist aus den Opernarien ersichtlich, die extra für Farinelli geschrieben worden sind. Es braucht viel Selbstvertrauen und natürlich auch enormes Können, um sich an solche Musikliteratur heranzuwagen.

Cecilia Bartoli hat es getan und legt auf ihrer neuesten CD eindrückliche Interpretationen solcher Farinelli-Arien vor. Komponiert wurden sie von Nicola Porpora, Johann Adolph Hasse, Geminiano Giacomelli, Antonio Caldara und Riccardo Broschi - dem Bruder von Farinelli. Bereits vor ein paar Jahren hat sich Cecilia Bartoli schon einmal, und zwar mit dem CD-Projekt Sacrificium, mit Musik für Kastraten auseinandergesetzt. Diesmal aber geht es ausschliesslich um Farinelli.

Bartoli beeindruckt von Beginn weg: das technisch schwindelerregend schwierige Nell'attendere mio bene aus der Oper Polifemo von Porpora meistert sie bravourös. Wem das zu virtuos ist: Chi non sente al mio dolore aus La Merope von Broschi ist eine langsamere Arie mit viel emotionalem Tiefgang. Auch hier überzeugt Bartoli mit Ausdrucksstärke und einem warmen Timbre.

Das eigentliche Highlight der CD kommt aber ganz zum Schluss: das berühmte Alto Giove, wieder aus Polifemo von Porpora. Es lohnt sich, die CD allein schon deswegen zu kaufen. Bartoli ist hier eine meisterhafte Interpretation gelungen. Das heißt nicht, dass es nicht auch andere hinreissende Interpretationen dieser Arie gibt, etwa die des Countertenors Philippe Jaroussky, die ebenfalls ausserordentlich ist. Es sind eben ganz einfach zwei unterschiedliche Stimmen. Jedenfalls ist die Interpretation von Bartoli so, dass man nicht genug davon hören kann; besser geht es eigentlich kaum. Dazu begleitet das preisgekrönte Orchester Il Giardino Armonico unter der Leitung von Giovanni Antonini auf den historischen Instrumenten phantastisch: Präzise im Timing, voll im Klang und sehr rhythmisch.

Noch ein Wort zum vieldiskutierten Bart: Bartoli posiert auf dem CD-Cover mit angeklebtem Bart. Warum nicht? Sie spielt offensichtlich mit den Rollen und den Geschlechtern und nimmt damit quasi den Ball auf. Denn Frauen konnten noch im 18. Jahrhundert männliche Rollen singen, soweit es die Stimme zuliess, und Kastraten etwa sangen auch Frauenrollen. Es ist ein Spiel der Verwandlung zwischen Rollen und Geschlecht. Aber auch wem die Idee mit dem Bart nicht gefällt: Diese CD gehört unbedingt in die Sammlung eines jeden Opernfans.

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Cover

Cecilia Bartoli
Farinelli

Cecilia Bartoli, Mezzosopran
Il Giardino Armonico
Giovanni Antonioni, Dirigent


1. Nell' attendere mio bene aus Polifemo (Porpora) 5:11
2. Vaghi amori, grazie amate aus La festa d' Imeneo (Porpora) 9:20
3. Morte col fiero aspetto aus Marc'Antonio e Cleopatra (Hasse) 3:37
4. Lontan dal solo e caro…Lusingato dalla speme aus Polifemo (Porpora) 8:18
5. Chi non sente al mio dolore aus La Merope (Broschi) 8:00
6. Come nave in ria tempesta aus Semiramide regina dell'Assiria (Porpora) 5:04
7. Mancare o Dio mi sento aus Adriano in Siria (Giacomelli) 9:37
8. Si, traditor tu sei aus La Merope (Broschi) 6:04
9. Questi al cor fin'ora ignoti aus La morte d'Abel(Caldara) 5:03
10. Signor, la tua speranza…A Dio trono, impero a Dio aus Marc'Antonio e Cleopatra (Hasse) 5:53
11. Alto Giove aus Polifemo (Porpora) 9:22


Gesamtspielzeit: 75:29


Aufgenommen in: Le Rosey Concert Hall, Rolle, Schweiz, Januar 2017 und Dorothea Porsche Saal, Odeïon, Salzburg, August 2019


Decca 485 0214



Weitere Informationen
www.ceciliabartoli.com
www.deccaclassics.com




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