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Michael Spyres:
A Fool For Love


Eine neue Tenorhoffnung, zweifellos

Von Thomas Tillmann

Gleich vorweg: Michael Spyres' erste Solo-CD, die dieser Tage bei der kalifornischen Firma Delos erschienen ist, ist zweifellos eine bemerkenswerte Visitenkarte eines vielseitigen, vielversprechenden Tenors, der den Status des Geheimtipps bereits hinter sich gelassen hat und nach seinem Debüt am Teatro San Carlo in Neapel und diversen Auftritten beim Rossini-Festival in Bad Wildbad schon wichtige Engagements an ersten Häusern wie der Deutschen Oper Berlin, der Mailänder Scala oder dem Royal Opera House Covent Garden absolviert hat respektive unmittelbar vor sich hat; im Dezember war er unter der Leitung von Sir John Eliot Gardiner in Aufführungen der Neunten Sinfonie von Beethoven in Hamburg, Hannover und München zu hören. Dass bei diesem ersten Recital vor allem in interpretatorischer Hinsicht manches noch etwas allgemein, pauschal und unfertig im Ausdruck klingt, ist nachvollziehbar und wird sich sicher bei größerer Bühnenerfahrung verändern.

Bei "Ah! mes amis ... Pour mon âme" (und einigen anderen Titeln) wird man nicht um einen Vergleich mit Juan Diego Flórez herumkommen, der in den letzten Jahren als Tonio in der ganzen Welt Begeisterungsstürme hervorgerufen und Standards gesetzt hat. Schwierigkeiten hat der Amerikaner mit der Bravourarie nicht, auch die gefürchteten Cs in alto sitzen und kommen leicht, aber bei dem Peruaner klingt das alles noch selbstverständlicher, charmanter, eleganter und runder im Ton. Tom Rakewells "Here I Stand" aus Strawinskis "The Rake's Progress" singt Spyres mit frischem Ton, die Wiedergabe der Arie profitiert davon, dass hier ein native speaker am Werke ist (wobei ihm auch die vier anderen Sprachen nicht besonders schwer fallen, die er für dieses Recital benötigt). In "Cessa di più resistere", jener Arie, die auf Drängen von Rockwell Blake heute wieder häufiger in Rossinis Il barbiere di Siviglia zu hören ist, beweist Michael Spyres große Geläufigkeit, man freut sich über einige sehr schön gesungene elegische Phrasen und dann über ausgedehnte Auszierungen der Gesangslinie, über gute Triller, Vorschläge, Skalen, wobei manche Passage doch etwas überladen wirkt und die Ausführung dann etwas an Präzision verliert. Auch hier finde ich Flórez' Tenor aber sinnlicher, farbenreicher, strahlender - und hier befinden wir uns im Bereich des persönlichen Geschmacks, natürlich -, die Verzierungen weniger "showy" präsentiert, das Singen insgesamt beseelter, Inhalt der Arie und Charakter der Figur besser und vielschichtiger erfasst.

Mit gutem Legato und empfindsamem Ton bewältigt der Künstler Nemorinos "Una furtiva lagrima", präsentiert gekonnt wundervolle messa di voce- und voix-mixte-Effekte, aber auch hier fehlt es der Stimme für mein Empfinden an Farbenreichtum, an Schattierungsmöglichkeiten, an Durchdringung des gesungenen Wortes. Auf der berühmten Klangbühne und in der Vorstellung des Hörers entsteht bei vielen Titeln keine wirklich scharf konturierte Figur, was aber natürlich zum (vielleicht aus diesem Grund entwickelten?) Konzept des Recitals passt, das alle 14 Arien einer Person zuweist (Spyres möchte "a fanciful musical story of a typical war-torn couple" und "their struggle to cope with the raptures and ravages of this intangible enigma called love" präsentieren und hegt die im mehr als zwanzig Seiten starken, aber nur in englischer Sprache verfassten Booklet formulierte Hoffnung "to accompagny one such lovelorn hero on his journey down the path of love, with all of its joys and sorrows", und zudem wünscht er sich, dass "his journey resonate in your own heart" und "help you to feel anew the precarious paradoxes of this most precious of human emotions", na ja). Und so teilt sich auch die Befindlichkeit Werthers in einem sehr solide gesungenen "Pourquoi me réveiller" nicht in dem Maße mit, wie man es bei anderen Interpreten erlebt.

Eine Stärke des Amerikaners könnten Mozartrollen sein, den Tamino hat er in Berlin und Liège gesungen, hier bewältigt er mit seinem leichten, hellen, lyrischen Tenor tadellos und mit eleganter Linie und Tongebung Don Ottavios "Il mio tesoro", während er im sphärischen "Je crois entendre encore" aus den Pêcheurs de perles die Vorzüge seiner Kopfstimme und ein weiteres Mal Voix-mixte-Qualitäten unter Beweis stellt, wenn auch nicht ganz unangestrengt, aber auch das singen nichtsdestotrotz aktuell sicher nicht viele Sänger wie Michael Spyres.

Die Arie des Rosenkavalier-Sängers hört man selten auf Recitals, die Forteacuti derselben klingen etwas angestrengt, und hier sind leider auch das Moscow Chamber Orchestra of the Pavel Slobodkin Center for the Arts und sein Dirigent Constantine Orbelian, die sich ansonsten im sicher nicht gewohnten Opernrepertoire als durchaus verlässliche, aber nicht gerade kongeniale Partner des Tenors erweisen, am wenigsten in ihrem Element. Offensichtlich wird aber auch eine grundsätzliche Schwäche der Stimme: Crescendi enden meistens im Bereich eines Mezzoforte, unumgängliche Töne im Forte klingen weniger attraktiv, die Stimme wirkt dann älter und reifer. Etwas verspannt klingt auch der Spitzenton des Rodolfo in Che gelida manina, sehr leichtgewichtig und nicht wirklich gefährlich kommt der Verführer in La donna è mobile daher (es geht doch nicht darum, dass er mit Gilda bei einem Bankett heimlich am Weinglas seiner Eltern nippt), der Künstler zeigt auch wenig Variation in den Strophen. Spannende, auch zupackendere Momente hat er im Rezitativ der großen Szene des Edgardo aus Lucia di Lammermoor, die Partie wird er im Februar an der Minnesota Opera geben, wobei am Ende der Arie die Grenzen der Stimme einmal mehr hörbar werden.

Mit großem Geschmack und Empfindsamkeit und in der Originalsprache serviert Michael Spyres Lenkis Arie aus Eugen Onegin, nicht zuletzt ein Tribut an den Aufnahmeort und das ihn begleitende Orchester. Natürlich kann der vielseitige Tenor auch Federicos "È la solita storia" aus Cileas L'Arlesiana im Studio singen, da hört man Feinheiten, die einem tenore di grazia natürlich leichter fallen als einem tenore robusto, dem dafür aber eben auch eine ungleich größere farbliche Palette zur Verfügung steht (und beim Schlusston hatte ich den Eindruck, dass die Technik ein wenig nachgeholfen hat). Auch bei Sou-Chongs als "Bonus" ins Programm aufgenommene "Dein ist mein ganzes Herz", in Andrew Paul Jacksons Bookleteinführung zurecht als Tauber-Song bezeichnet, möchte man keinen leichtstimmigen Jungen hören, sondern ein gestandenes Mannsbild, das um seine verlorene Liebe trauert und das sich in den gern unterschätzten langen Lehárphrasen gegen das hier sehr wuchtige Orchester hätte durchsetzen können. Angesichts des inhaltlichen Konzepts wäre es übrigens ein schöner Einfall gewesen, den zweiten Refrain wie in der Operette im Präteritum zu singen. Und warum nicht überhaupt stattdessen Rossillons Romanze "Wie eine Rosenknopse", die zur Stimme weitaus besser gepasst hätte und die man ebenso als Reminiszenz an die ersten Tage der jungen Liebe hätte einbauen können.

Bei aller Bewunderung: Irgendwie musste ich nach mehrfachem Anhören des Recitals an Restaurants mit zu umfangreicher Speisekarte denken, man fragt sich, was denn die eigentliche Stärke des Hauses ist, und ist ein bisschen traurig, dass vieles gleich schmeckt, das angeboten wird. Eine große Bandbreite ist an sich kein Gütezeichen für einen Sänger, sondern eher eine Gefahr. Man möchte Spyres daher raten, eher behutsam ein Kernrepertoire zu pflegen als überall in der Welt jedes Engagement anzunehmen, bei dem ein Tenor gesucht wird, und vor allem nicht zu früh zu schwere Rollen zu akzeptieren, nur weil eine Arie aus einem beliebigen Werk im Konzert gut funktioniert. Wie groß der musikalische Appetit des Amerikaners ist, zeigen die vielen bei youtube verfügbaren Titel: Neben Händel und Mozart wagt er sich auch bereits an Rossinis Arnold, an Meyerbeers Raoul, an Verdis Rodolfo (Luisa Miller), Alfredo und sogar Otello heran (im Duett mit der unverwüstlichen Elizabeth Connell!), an Puccinis Des Grieux und Calaf; eine aktuelle Repertoireliste findet man leider auf der Homepage des Sängers (www.michaelspyres.com) nicht.


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Cover

Michael Spyres
A Fool For Love
Tenor Arias


Arien aus La fille du régiment, The Rake's Progress, Il barbiere di Siviglia, L'elisir d'amore, Don Giovanni, Les pêcheurs de perles, Werther, Der Rosenkavalier, La Bohème, Rigoletto, Lucia di Lammermoor, Eugen Onegin, L'Arlesiana & Das Land des Lächelns

Moscow Chamber Orchestra
of the Pavel Slobodkin Center for the Arts
Dirigent: Constantine Oreblian

Aufnahme:
Moskau, Pavel Slobodkin Center for the Arts,
November 2010


Delos DE 3414
www.michaelspyres.com









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