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Gustavo III

Libretto von Antonio Somma
Musik von Giuseppe Verdi

Eine Rekonstruktion der Originalpartitur
von Philip Gossett und Ilaria Narici

Edition: Casa Ricordi -
Warner Chappell Music Scandinavia AB


In italienischer Sprache


Zurück zum Original?

Von Thomas Tillmann


Im Herbst 1857 hatten Verdi und sein Librettist Antonio Somma begonnen, eine Oper auf das Sujet von Gustavo III. zu schreiben, die in der Karnevalssaison 1858 am Teatro San Carlo in Neapel aufgeführt werden sollte, aber an den Einwänden der Zensur gegen die im Jahre 1792 erfolgte Ermordung eines schwedischen Monarchen scheiterte. Nachdem das Autorenteam zugestimmt hatte, den Ort der Handlung unter dem neuen Titel Una vendetta in dominò vom schwedischen Königs- an den kleinen Herzogshof von Stettin zu verlegen, musste es nach dem Mordversuch Felice Orsinis an Napoleon III. in Paris erfahren, dass das Werk auch in der abgeänderten Fassung nicht zur Uraufführung kommen würde (auf den Vorschlag der neapolitanischen Zensoren, das Libretto unter dem Titel Adelia degli Adimari im mittelalterlichen Florenz anzusiedeln und anstelle des Maskenballs ein maskenloses Bankett stattfinden zu lassen, ließ sich Verdi nicht ein). Der Komponist versuchte nunmehr sein Glück in Rom, wo er nach zähen Verhandlungen einen Kompromiss erreichte: Falls er die Handlung nach außerhalb Europas verlegte, konnte er die Figuren und die Handlung beibehalten. Verdi selber schlug Somma Nordamerika zur Zeit der englischen Herrschaft vor, und der Komponist erhielt am 11. September 1858 die Genehmigung für das neue Textbuch mit dem Titel Un ballo in maschera. Nach weiteren Änderungen, die Verdi akzeptierte, weil er seine neue Oper unbedingt aufgeführt sehen wollte, fand die Uraufführung am 17. Februar 1859 statt.

Philipp Gossett und Ilaria Narici haben sich anlässlich der Feiern zum hundersten Todestag des Komponisten nun an eine kritische Bearbeitung der Oper gemacht, die sie im Booklet wortreich rechtfertigen und mit den dramaturgischen Problemen begründen, die Ballo in seiner heutigen Form aufweise: "Das Boston der Kolonialzeit war nicht leicht mit Maskenbällen zu assoziieren ... Oscar, eine Figur, die Verdi überaus liebte, war nur an einem europäischen Hof möglich, der die Atmosphäre eines Frankreich Ludwig XIV. atmete. Auch ein Cancan à la Offenbach ("Dunque, signori, aspettovi"), um den heimlichen Besuch in Ulricas Spelunke zu feiern, drückt schwerlich den Geist einer für die Hexenprozesse von Salem bekannten Zivilisation aus. Weit davon entfernt, ein Beispiel für Lokalkolorit zu sein, bildete Boston als Ort der Handlung für Ballo immer eine solche Verlegenheit, daß die zeitgenössischen Inszenierungen alles taten, um ihn zu ignorieren und ihm nicht Rechnung zu tragen." Immerhin sind die beiden Musikwissenschaftler ehrlich, wenn sie zugeben, das "Gebiet reiner Forschung" zu verlassen, "aber angesichts der starken Unzufriedenheit mit dem Kompromißschicksal von Ballo ist die Versuchung, einzugreifen, groß". Der Komponist indes scheint mit diesem "Kompromißschicksal" gar nicht so unglücklich gewesen zu sein, wie Anne Lawson festhält: "Verdi felt that the libretto not only lost little in this new setting, but that it even gained from the change of scene. After all, colonial New England was quite an exotic setting to a mid-19th-century Italian - indeed, Verdi himself never wanted to change it back to the Swedish setting." (http://www.r-ds.com/opera/verdiana/ballo.htm)

In der nach Angaben von Gossett und Narici "hypothetische(n) Rekonstruktion von Gustavo III." gibt es einige Änderungen in den Melodien (der Einleitungschor), strukturelle Unterschiede (etwa die Szene vor Amelias Arie zu Beginn des zweiten Akts), stark modifizierte Passagen (die Arie von Gustavo/Riccardo) oder auch zum Großteil neue Stücke wie Ankarstroms Arie. Und doch werde ich auch nach mehrmaligem Hören den Eindruck nicht los, dass die von Verdi für die Aufführung in Rom vorgenommenen Änderungen ein Gewinn sind: Amelias große Szene zu Beginn des zweiten Aktes wirkt mit der bekannteren Version von "Ecco l'orrido campo" deutlich geschlossener und wirkungsvoller (das "Ma dall'arido stelo divulso" ist weitgehend unverändert), und auch wenn "E sei tu" fast wie ein melancholisches schwedisches Lied mit Anklängen an die dortige Volksmusik daher kommt (und übrigens von den Rekonstrukteuren neu orchestriert wurde, "wobei wir dem Geist von Verdis Stil in der entsprechenden Szene von Ballo treu blieben"!), berührt mich Renatos "Eri tu" wahrlich mehr. Im Januar 2004 gibt es übrigens zweimal Gelegenheit, die Bühnenwirksamkeit dieser Version zu überprüfen: Sowohl das Teatro San Carlo in Neapel als auch die Bielefelder Oper haben Neuproduktionen angekündigt.

Musikalisch bietet die Aufnahme insgesamt ein durchaus befriedigendes Niveau, auch wenn die meisten Protagonisten (wie stets bei Dynamic-Produkten sucht man übrigens vergeblich nach biografischen Angaben zur Besetzung!) natürlich nicht mit den Stars der zahllosen großen Aufnahmen des Werkes mithalten können und man nicht schlecht daran getan hätte, einen italienischen Sprachcoach zu engagieren (oder vielleicht hätte man direkt eine schwedische Übersetzung in Auftrag geben können, um noch mehr vermeintliche Authentizität ins Spiel zu bringen?). Genug Sarkasmus, denn Hillevi Martinpelto hinterlässt wahrlich keinen schlechten Eindruck als an sinnstiftender Textausdeutung und Ausdrucksnuancen interessierte Amelia, auch wenn ihre angenehm weibliche, üppige Stimme doch eher ein "deutscher" jugendlich-dramatischer Sopran ist, in der Extremhöhe ein bisschen steif wird, in der Tiefe mehr Rundung aufweisen könnte und sich in Sachen Phrasierung und italienischer Stilistik noch manches vervollkommnen ließe. Tomas Lind bringt für den König die passende Spintostimme mit, die zwar nicht gerade edel timbriert ist, mitunter reichlich kehlig, belegt und strapaziert tönt (besonders im Passagio), in schnelleren Passagen an Grenzen kommt und in der tiefen Lage deutlich an Volumen verliert, aber an vielen Stellen durchaus ansprechende Wirkung entfaltet, auch wenn häufig jede Menge Kraft im Spiel ist, was nicht selten zu Lasten einer präzisen Intonation geht, und man sich häufigere Pianoversuche wünschte. Merkwürdigerweise klingt der Tenor im berührend interpretierten "Ma se m'è forza perderti" viel glanzvoller und ausgeruhter, was auf eine unterschiedliche Abendform bei den drei mitgeschnittenen Vorstellungen schließen läßt, die der Aufnahme zugrunde liegen (angesichts dieses Materials hätte man doch auch an anderen Stellen nachbessern können: Am Ende des großen Duetts zwischen Amelia und Gustavo beispielsweise kommt einem die Stimme der Sopranistin direkt ans Ohr, während der Tenor offenbar sehr weit hinten platziert gewesen sein muss, was auch die Wirkung seiner Sterbeszene ganz erheblich beeinträchtigt).

Der stets um eine ausgeglichen-edle Gesangslinie bemühte Krister St. Hill gibt den Ankarstrom mit dunkel-virilem, kraftvoll-mächtigen, nur selten etwas schwerfälligen Bariton und entwickelt dennoch viel Bereitschaft zu leiseren Tönen. Susanne Resmark besitzt indes als Ulrica wenig dämonische Präsenz und hat mit ihrem unausgeglichen Mezzosopran hörbare Probleme mit der unbequemen Tessitur, ohne dass man allerdings von einer wirklich schwachen Besetzung sprechen könnte. Nach einigen klingelnd-schrillen Tönen zu Beginn wusste auch Carolina Sandgren mit flink-präzisen Koloraturen in "Di che fulgor" und einem charmant servierten "Saper vorreste" zu reüssieren. Ansprechende Leistungen sind Ake Zetterström und Mats Almgren als Ribbing und Dehorn zu attestieren, während sich weder Jonas Landström (Cristiano) noch Harald Tjelle (Justizminister) für größere Partien empfehlen; Natalias Edvalls Arbeit mit dem Chor dagegen hat sich hörbar gelohnt.

Maurizio Barbacini liefert eine insgesamt packende, glutvolle und transparente Interpretation - nur an einigen Stellen gerät das Spiel des Göteborger Orchesters arg wuchtig und breit (etwa im Duett des zweiten Aktes, was den Protagonisten die Sache nicht leichter macht); dass der Klang des Kollektivs mitunter arg dumpf wirkt, könnte an den akustischen Bedingungen des schwedischen Opernhauses liegen.

Trotz der gemachten Einschränkungen ist die vorliegende Aufnahme echten Verdi-Fans mit Anspruch auf Vollständigkeit der Sammlung zweifellos zu empfehlen, denn Spaß macht es schon, die Varianten zu der bekannten Fassung des Ballo zu hören; musikwissenschaftliche Profis indes werden wohl doch eher die Stirn in Falten legen ob dieser Rekonstruktion, der sich nicht einmal deren Urheber "mit Absolutheit sicher sein" können.


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Cover

Giuseppe Verdi
Gustavo III

Gustavo III - Tomas Lind
Amelia - Hillevi Martinpelto
Ankarstrom - Krister St. Hill
Ulrica - Susanne Resmark
Oscar - Carolina Sandgren
Cristiano - Jonas Landström
Ribbing - Ake Zetterström
Dehorn - Mats Almgren
Adelige, Verschwörer - Ulf Glemme/Joel Rosenlund/Mikael Simlund
Justizminister - Harald Tjelle
Ankarströms Diener - Tore Sverredal

Chor und Orchester des
Opernhauses Göteborg

Choreinstudierung: Natalia Edvall


Dirigent: Maurizio Barbacini

Aufnahme: 11./13./16.10.2002,
Opernhaus Göteborg, Schweden
Digitale Live-Aufnahme

Dynamic CDS 426/1-2 (2CDs)



Da capo al Fine
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