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Idealer Wagnergesang?

Italienische Künstler blieben bei Wagner in ihrer Muttersprache

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Werke Richard Wagners auch in Italien in der Originalsprache aufgeführt, verstärkt natürlich von deutsch(sprachig)en Sängerinnen und Sängern. Dabei gab es im Ursprungsland der Oper auch vorher schon eine rege Wagnertradition, auch wenn Wagners Werke erst relativ spät gespielt wurden, wie Danilo Prefumo in seinem reichlich kurz ausgefallenen (und nur ins Englische übersetzten) Begleitartikel schreibt zu dieser hochinteressanten, willkommenen, etwas spärlich bebilderten zweiteiligen, gut 130 Minuten umfassenden Zusammenstellung mit von italienischen Künstlern in ihrer Muttersprache gesungenen Auszügen aus dem Werk des Bayreuther Meisters, die freilich bekannte Aufnahmen von Firmen wie Pathé, Fonotipia, Columbia, Cetra und HMV enthält. Und es muss auch die Frage erlaubt sein, warum beispielsweise Cloe Elmos Brangäne oder Renata Tebaldis Tannhäuser-Elisabeth nicht in diese Anthologie aufgenommen worden ist (ein Mitschnitt aus Rom unter Karl Böhms Leitung aus dem Jahre 1949 mit Max Lorenz, Carlo Tagliabue und Boris Christoff liegt doch vor) und warum die Wagner-Aufnahmen des superben Francesco Merli fehlen. Und hätten nicht auch Rosa Ponselles sogar deutschsprachige Aufnahme von Elsas Traum aus dem Jahre 1923 (sie wurde zwar in Amerika geboren, aber war doch die Tochter italienischer Einwanderer) und die beiden Elsa-Ausschnitte mit Hina Spani (die zwar Argentinierin war, aber früh nach Italien kam und dort viel gesungen hat) hineingehört?

Einen glänzenden Eindruck hinterlässt Giuseppe Borgatti (1871-1950), der mit fünf Lohengrin-Ausschnitten, einem Teil von Tannhäusers Rom-Erzählung und Siegmunds Winterstürmen vertreten ist und vor allem dank der leuchtenden Höhe seines großen, aber grundsätzlich lyrischen Tenors, der glänzenden Artikulation, des perfekten Legatos und des wunderbar elegisch-melancholischen Tons (am stärksten in der ersten Aufnahme aus dem Jahre 1905 - trotz der dünnen Klavierbegleitung) für sich einnimmt. Mustergültig in der Ausgestaltung von Phrasen ist auch Fernando de Lucia (1860-1925) in den beiden in geradezu nervös machend langsamen Tempi dirigierten Lohengrin-Auszügen, auch das leichte Vibrieren in der sicher nicht dramatischen Stimme mochte ich, während Elsa-Partnerin Josefina Huguet einen allzu lyrischen Sopran ins Feld führt und überhaupt nicht feige beim Einsatz der derben Bruststimme ist. Eine insgesamt vorbildliche lyrische Wiedergabe zweier Szenen aus demselben Werk gelingt auch Edoardo Garbin (1865-1943), auch wenn die durchdringend-metallische Höhe Geschmackssache sein dürfte.

Bekannter sind die Aufnahmen von Aureliano Pertile (1885-1952), dessen frühere Beschäftigung mit dem Gralsritter (aus den Jahren 1923/24) bereits ein aufgrund der stets angespannten Tongebung technisch gefährliches, vor Intensität aber geradezu berstendes Singen erkennen lässt, bei dem man auch ein intensives Flackern in der freilich brillanten Höhe akzeptieren muss. In den weiteren sechs Auszügen aus den Jahren 1927-1932, die die zweite CD bringt, fallen die Härten der Stimme und die Einflüsse des in Italien allgegenwärtigen Verismo noch deutlicher auf - interessant sind sie trotzdem, zumal die Aufnahmetechnik besser ist und man im Brautgemach auch noch auf die besonders schön singende, sorgfältig phrasierende Ines Alfani-Tellini trifft, während man vor den schneidend grellen Forteacuti von Maria Luisa Fanelli voller Furcht zurückweicht. Ettore Parmeggiani (1895-1960) heißt ein weiterer Lohengrin-Interpret, der hier einige ewig gehaltene hohe Töne von heller Farbe und leicht hysterischer Emphase beisteuert. Nach all diesen wirkt die Gralserzählung von Mario del Monaco (1915-1982) doch etwas allgemein, seine Art des Singens ist wie stets gefährdet und Geschmackssache, der vokale Spannungsabfall eklatant, wenn er für winzige Momente aufs Dauerforte verzichtet (Fans erinnern sich an die endlos gehaltenen Wälse-Rufe in den überrumpelnden Siegmund-Szenen aus dem Jahre 1959).

Nicht vergessen werden darf Edoardo Ferrari Fontano (1878-1936), der in der Spielzeit 1909/1910 gleich als Tristan debütierte und einen sehr hellen, glänzend projizierten Tenor von großer Gestaltungskraft und mühelos attackierter Höhe erkennen lässt - schade, dass der Auszug aus dem zweiten Aufzug so kurz ist. Die Bariton-Ausschnitte beschränken sich im Wesentlichen auf das berühmte "Lied an den Abendstern": Giuseppe De Luca (1876-1950), Puccinis erster Sharpless und Gianni Schicchi, gefällt besonders aufgrund seines samtig-körperreichen Materials, der Kantabilität seines Singens und der glänzenden Atemkontrolle. Mattia Battistini (1856-1917) steht ihm in der ältesten Aufnahme der Edition aus dem Jahre 1902 als herrlich melancholischer Wolfram nicht nach, auch nicht der berühmte Riccardo Stracciari (1875-1955), dessen weicher, dunkler, farbiger, in allen Lagen wunderbar ausgeglichener Bariton eine Wonne ist, während Enrico Molinari (1882-1956) in beiden Tannhäuser-Ausschnitten einfach nicht den richtigen Ton findet und sich bei der Dramatik eines Telramund hörbar wohler fühlt. Und auch Carlo Tagliabue (1898-1978), der für die tieferen Töne Wolframs hart arbeiten muss, bleibt eher langweilig. Cesare Formichi (1883-1949) bestätigt mit einem Auszug aus der Schlussszene der Walküre seinen Ruf als wunderbar sonorer, legatostarker, wirklich singender Wotan voller Trauer und Resignation - eine der schönsten Aufnahmen der beiden CDs, wie ich finde. Dagegen bleibt Luigi Rossi-Morelli (1888-1940), der 1912 bereits als Wotan debütierte, beim Abschied von der geliebten Tochter reichlich blass, und die erheblichen Vokalverfärbungen und das schnelle Vibrieren sind meine Sache bei einem Bariton auch nicht.

Kein ungetrübtes Vergnügen auch bei den Damen: Die auf Wagnerrollen spezialisierte Amelia Pinto (1876 oder 1878 bis 1946; bereits im Jahr nach ihrem Scala-Debüt sang sie dort Isolde und die erste Brünnhilde!) irritiert bei aller Emphase, mit der sie Evas "O Sachs, mein Freund" intoniert, mit ihrem kleinen Sopran, dessen Register beängstigend auseinander klaffen und der in der Höhe unangenehm schrill "klingelt" - eine im Booklet als warm und kraftvoll gepriesene Stimme konnte ich nicht entdecken. Auch Emilia Corsi (1870-1927), Mitglied der berühmten Sängerfamilie, hätte im lyrischen Koloraturfach bleiben soll - Elsas Traum gelingt ihr zwar aufgrund des exemplarischen Intensivierens des Tons aus dem Piano heraus und trotz der mir etwas häufigen Portamenti gar nicht schlecht, aber auch sie muss nicht selten auf die Bruststimme zurückgreifen und kämpft besonders im Liebestod mit einer ihr hörbar unbequemen Tessitura. Der Sopran der auf Tonträgern gut dokumentierten, intensiv gestaltenden Rosetta Pampanini (1896-1973) wird besonders an Phrasenenden etwas unruhig, aber trotzdem würde ich sie vielen heute als Elsa zu hörenden Sängerinnen vorziehen. Auch Maria Caniglia (1906-1979) steuert eine energisch-engagierte Wiedergabe des Traumes bei, die vor allem von der reichen Mittellage profitiert und die Grenzen in der Höhe nicht verschleiert. Über die fulminant-hitzige Kundry der Maria Callas (1923-1977), die ich zu den ersten Interpretationen dieser Partie überhaupt zähle und die hier den Abschluss bildet, ist alles Gute gesagt. Und so bleibt die Überzeugung, dass diese Aufnahmen trotz der gemachten Einschränkung und trotz des ungewohnten Idioms Pflichtprogramm für heutige Wagnerinterpreten werden sollten, die sich von den italienischen Kollegen einiges im Hinblick auf Phrasierung, dynamische Differenzierung und Tonschönheit abschauen könnten.


Von Thomas Tillmann





Cover

Cantanti Italiani di Wagner
Vol. 1
Il Periodo Acustico
1902-1905

Giuseppe Borgati, Amelia Pinto,
Giuseppe de Luca, Cesare Formichi,
Aureliano Pertile, Mattia Battistini,
Edoardo Ferrari Fontana,
Fernando De Lucia,
Edoardo Garbin, Emilia Corsi
cantano Wagner in italiano

Firma: Dynamic, Italien
Reihe: Istituto Discografico Italiano
Bestellnummer: IDIS 304
www.dynamic.it




Cover

Italian Singers of Wagner
(Vol. II)

Aureliano Pertile, Rosetta Pampanini,
Mario Del Monaco, Maria Caniglia,
Riccardo Stracciari, Maria Callas
Lohengrin, La Walkiria,
Tannhäuser, Parsifal
Recordings from 1925 to 1950

Firma: Dynamic, Italien
Reihe: Istituto Discografico Italiano
Bestellnummer: IDIS 6354
www.dynamic.it





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