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Die legendären Einführungsvorträge der Bayreuther Festspiele jetzt auf CD:

Wer reitet im Ring?


Zur Festspielzeit kann es man auf Bayreuths Straßen schon einmal angesprochen werden: "Waren Sie schon bei Mickisch?" Der Pianist Stefan Mickisch ist eine Bayreuther Institution. Er hält vormittags in der Bayreuther Stadthalle Einführungsvorträge zum jeweiligen Werk, das abends am "grünen Hügel" auf dem Programm steht - eine lange Bayreuther Tradition, die vor einigen Jahren von Mickisch übernommen wurde. Karten für Mickisch sollen dieses Jahr auch am Schwarzmarkt gehandelt worden sein, kam dem OMM zu Ohren - da ist es glückliche Fügung, dass Live-Mitschnitte der Vorträge über den Ring des Nibelungen und Tristan und Isolde jetzt auch auf CD erschienen sind und das Wagner-Studium festspielvor- oder nachbereitend ermöglichen.

Die riesige Resonanz, die Mickisch findet, scheint auf den ersten Blick merkwürdig, denn die Vorträge strotzen keineswegs vor Perfektion: Mickisch hat keine bahnbrechenden Erkenntnisse zu verkünden, er hangelt sich, didaktisch nicht eben originell, chronologisch von Szene zu Szene vor, und gelegentlich verliert er den Faden und setzt den Vortrag recht holprig fort. Beim Publikum unterstellt er recht gute Vorkenntnisse, die groben Inhalte der Wagnerschen Hauptwerke sowie deren wichtigste musikalischen Motive sollte man schon im Hinterkopf haben, dazu noch in Grundzügen die Vita des Meisters (ob Wagner mit Mathilde von Wesendonck geschlafen hat, dieses biographische Detail wird zu Beginn des Tristan-Vortrages erörtert). Auch regelmäßige Quizfragen an das Publikum - als Lohn winkt eine CD - stecken den Rahmen klar ab: Hier sitzt ein Kreis von Wagner- Liebhabern und Kennern. Und dann kann Mickisch seine scheinbaren Schwächen ins Gegenteil wenden: Hier doziert kein trockener Wissenschaftler, sondern hier plaudert einer, dem ein paar interessante Dinge aufgefallen sind, unter Gleichgesinnten. Da Mickisch dies mit erheblichem Charme tut, hören die ihm auch gerne und begeistert zu.

Wenn man es genau nimmt, dann braucht man eigentlich gar nicht viele Vorkenntnisse, denn Mickisch mutet seinen Zuhörern aus musikwissenschaftlicher Sicht nun wahrlich nicht allzu viel zu. Im Wesentlichen erzählt er die Handlung detailverliebt nach und spielt die passende Musik dazu. Er deutet die Opern auf einer sehr allgemeinen, der Mythologie verhafteten Ebene aus: Der Ring als ewig gültiges Spiel um Liebe und Macht. Die Rezeptionsgeschichte wird praktisch vollständig ausgeblendet (am Rande wird Wagner gelegentlich gegen Vorwürfe, etwa gegen Wagners Antisemitismus, verteidigt). Die Leitmotive werden ebenfalls inhaltlich gedeutet. Das sie auch eine strukturelle Funktion haben, das die Musik neben der inhaltlichen auch einer musikimmanenten Logik gehorcht, das spricht Mickisch überhaupt nicht an. Seine Deutung bleibt (durchaus bewusst) denkbar naiv. Das mag im Falle des Ring des Nibelungen, der im Jahr des Mitschnitts (1998) in der ebenfalls märchenhaft-verspielten Deutung Alfred Kirchners aufgeführt wurde, immerhin einen gewissen Sinn machen, wird der Tristan-Inszenierung Heiner Müllers aber sicher nicht gerecht - aber die erhält wegen angeblich mangelnder Werktreue auch einen Seitenhieb.

Mickisch hat Text und Partitur sorgfältigst gelesen. Wie viele Personen reiten im Ring? Welche beiden Tiere hören auf den gleichen Namen? Sitzen die Götter zu Beginn des Rheingoldes östlich oder westlich des Rheines? Ist der Brünnhildenfelsen, von der Gibichungenhalle aus gesehen, rheinauf- oder -abwärts gelegen? Ist Brünnhildes Pferd zu den handelnden Personen zu zählen oder nicht (und wie sieht es dann mit den anderen Walkürenpferden aus)? Solche Fragen werden wohl nur in Bayreuth diskutiert. Mickisch kann sie alle beantworten.

Wen solches präzise Fachwissen trotz der unterhaltsamen Art des Vortrages kalt lässt, der wird trotzdem aufhorchen, wenn Mickisch am Flügel die Musik spielt. Zum einen tut er das ganz großartig, kann mit wenigen Takten den Orchesterklang heraufbeschwören und sehr plastisch herausheben, was er zeigen möchte; zum anderen wartet er bei der Analyse der Leitmotive mit sehr viel interessanteren Erkenntnissen auf. In seiner Tristan-Analyse stellt er immer wieder die Wagnersche Harmonik einer konventionellen Funktionsharmonik gegenüber (" ... und so würde das sonst klingen..."). Mit diesem Kunstgriff kann er sehr schön das Außerordentliche der Komposition zeigen. Von den Ring-Vorträgen ist der zum Rheingold der spannendste, weil Mickisch auch hier viel von der Genese der Motivik berichtet. Leider hängt er viel zu sehr an der Idee, Motive mit festen Namen zu benennen und ihnen eine konkrete Symbolik zuzuschreiben; spätestens in der Götterdämmerung, wo sich die Motive gegenseitig zersetzen, mitunter nur noch zu ahnen sind und ein sehr vielschichtiges Assoziationsgeflecht bilden (die früheren Opern sind da konventioneller), läuft dieses recht dogmatische "Leitmotiv-Denken" ins Leere.

Mickischs überzogene Werktreue, das ständige Verteidigen des Komponisten gegen alle denkbaren Angriffe (ein leicht pathologischer Bayreuther Wesenszug, der sich auch alljährlich in den Programmheften der Festspiele beobachten lässt), die fehlende Auseinandersetzung mit der Wagner-Rezeption - das sind Merkmale einer sehr konservativen Haltung, die nicht jedermanns Sache ist. Als unterhaltsame Inhaltsangabe (alle wichtigen Leitmotive eingeschlossen) sind die Vorträge trotzdem zu empfehlen - oder, wenn man mehr auf den Pianisten Mickisch als auf den Erzähler Mickisch hört, als gelungene Einstimmung auf den Opernabend.



Von Stefan Schmöe











Einführungsvortrag zu
Tristan und Isolde

Live-Mitschnitt aus der
Stadthalle Bayreuth, 1999
2 CD
Fafnerphon FAF205






Der Ring des Nibelungen

Live-Mitschnitt aus der
Stadthalle Bayreuth, 1998

8 CD
Fafnerphon FAF 201 - 204

Einzelausgaben:
Das Rheingold FAF 201
Die Walküre FAF 202
Siegfried FAF 203
Götterdämmerung FAF204
(je 2 CD)

weitere Informationen unter
www.mickisch.de
oder
Fafnerphon
Orlamünderstraße 8
D-95502 Himmelkron/Bayreuth
Fax ++49 (0) 9227 / 2534


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