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Richard Strauss
Der Rosenkavalier


Ein "neuer" Rosenkavalier

Von Thomas Tillmann

In eleganter Buchform mit vielen schönen Produktionsfotos, Kostüm- und Bühnenbildentwürfen und Nachdrucken des Programmhefts von damals, mit (immerhin) Inhaltsangaben auch in deutscher und französischer Sprache und deutsch-englischem Libretto, während die übrigen Informationen zu dieser Aufführung und zum Glyndebourne Festival nur in der Landessprache abgedruckt sind, kommt hier ein "neuer", nicht ganz preiswerter Rosenkavalier auf uns, der vor allem wegen der Mitwirkung von Montserrat Caballé als Marschallin und der sonst in dieser Partie nicht dokumentierten Teresa Zylis-Gara als Quinquin die Sammler interessierten dürfte. Zu danken ist diese Edition dem 2008 gestorbenen John Barnes, der seit den späten fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts zahllose Vorstellungen in Glyndebourne mit den besten zur Verfügung stehenden technischen Mitteln aufgezeichnet hat (auch die digitale Überspielung ist gut gelungen, auf geringe Einschränkungen im dritten Aufzug wird im Kleingedruckten hingewiesen), aus derselben Quelle sind ein gutes Dutzend weiterer interessanter Aufnahmen erhältlich, namentlich ein Pelléas aus dem Jahre 1963 (mit Michel Roux, Denise Duval, Anna Reynolds, Guus Hoekman, Hans Wilbrink, Rosine Brédy, John Shirley-Quirk und Vittorio Gui am Pult), ein Liebestrank vom Juni 1962 mit Mirella Freni, Luigi Alva, Enzo Sordello und Sesto Bruscantini, Joan Sutherland 1960 als Elvira in I Puritani, jede Menge Mozart und Britten, vieles aus den sechziger Jahren, aber auch aktuellere Mitschnitte wie den Fidelio aus dem Jahre 2006 mit Anja Kampe und Torsten Kerl und Hänsel und Gretel aus dem Jahre 2010.

Der Rosenkavalier wurde erst ab 1959 in Glyndebourne gespielt, nachdem man das Werk lange Zeit für zu großdimensioniert für das kleine Haus gehalten hatte; in Strauss' eigener reduzierten Fassung kam das Werk sozusagen als Schwanengesang des scheidenden Künstlerischen Direktors Carl Ebert dann aber doch zur Aufführung. Die Umstände der Wiederaufnahme im Jahre 1965 waren keine einfachen: Montserrat Caballé war in der ersten Probenwoche krank und kannte die Partie überhaupt nicht, so dass sie sich die Rolle gleichsam Tag und Nacht in sechs Tagen mit einem Korrepetitor "draufschaffen" musste (gleichzeitig wurde sie von Heuschnupfen geplagt). Natürlich ist sie keine Wienerin und versucht auch gar nicht, als solche durchzugehen (und erinnern wir uns, prominente Marschallinen wie Evelyn Lear, Régine Crespin oder Anna Tomowa-Sintow haben das auch nicht gemacht und waren trotzdem jede auf ihre Weise große Rollenvertreterinnen), ihre Meriten liegen anderswo: Die Textverständlichkeit ist überraschenderweise hervorragend, und die tonliche Schönheit, die Phrasierungseleganz und Pianokultur, für die sie berühmt war, passen hervorragend zur Fürstin, auch die vollendeten messa-di-voce-Effekte (am eindruckvollsten vielleicht beim gemeinsam mit Sophie gesungenen G am Ende von "Hab mir's gelobt"). Es gelingt ihr auch, den Stimmungsumschwung im ersten Aufzug allein mit vokalen Mitteln zu illustrieren und einem Tränen der Rührung zu entlocken. Ihre Schwelltöne im Zeitmonolog allein lohnen die Anschaffung der Aufnahme, die dokumentiert, was für eine bedeutende Künstlerin die Spanierin war, die viele nur in unwürdigem Ambiente aus Fernsehshows und späten Auftritten kennen. Nur bei Forteakzenten wird die Stimme manchmal scharf und klingt nicht mehr ausreichend nobel (das "erwart" oder das "retirieren" im dritten Aufzug lassen einen doch zusammenzucken), und da merkt man, dass man für die Partie vielleicht doch mehr braucht als einen lyrischen Sopran.

Otto Edelmann verkörpert noch einmal in ganz natürlich wirkendem Wienerisch die Rolle seines Lebens, seine Stimme hat an Kraft und Farbenreichtum nichts eingebüßt seit der Referenzaufnahme unter Karajan, da gibt es neben angemessen grobschlächtigem Gepolter auch einige bemerkenswerte Pianopassagen zu bewundern. Und er ist vor allem immer noch eine Standsperson, eine verlotterte in mancher Äußerung, aber eine Standsperson, die beim Stelldichein mit seinem wohligen Stöhnen und blöden Lachen das britische Festspielpublikum deutlich hörbar zu mehr als zu diskretem Schmunzeln bringt. Und wie sympathisch kleinlaut er das "Leopold, mir ging" äußert!

Teresa Zylis-Gara ist eine auf Tondokumenten unterrepräsentierte Künstlerin. Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, dass sie den Octavian gesungen hat, anders als den Komponisten. Ihre Interpretation besticht zunächst durch Noblesse und die richtige, nicht zu helle Klangfarbe, bleibt stets kontrolliert und vielleicht etwas zu zurückhaltend, zu distanziert, um die ganz große Begeisterung auszulösen. Da fehlt es an unterschiedlichen Farben, um die Figur mehrdimensional zu gestalten, an Textausdeutung über Aussprachekorrektheit hinaus. Und dann singt sie auf einmal ganz gelöst und herrlich falsch im Beisl und entwickelt mehr Humor, als man erwartet hätte.

Edith Mathis, die zum Zeitpunkt der Aufführung gerade ihre Schwangerschaft bekannt gegeben hatte und später im Jahr nicht mehr zur Verfügung stand, gab mit mädchenhaft-innigem, sehr hellen Ton und großer Schlichtheit eine glanzvoll-flinke Sophie ohne Fehl und Tadel, andere haben da aber einfach noch mehr individuelles Profil entwickelt. Rollendeckend, aber nicht weiter bemerkenswerte stehen ihr John Modenos und Angela Jenkins als ambitionierter Vater und übereifrige Duenna zur Seite. Anna Reynolds drehte als Annina erst im dritten Aufzug so richtig auf und mimt die betrogene Ehefrau, an David Hughes' Valzacchi erinnert man sich schon beim Schlussapplaus nicht mehr richtig. John Andrew war ein engagierter Italienischer Sänger, der die vertrackten Höhen nicht ganz mühelos erreicht, der Name des ausgesprochen deutlich artikulierenden Interpreten des Notarius unterschlagen die Verantwortlichen ebenso wie viele der übrigen Comprimari.

Bleibt noch das uneitle, werkdienliche Dirigat von John Pritchard am Pult des superben Philharmonia Orchestra zu erwähnen, die Emphase und das Timing bei der Ankunft Rofranos auch. Der Brite behält auch in ausgelassenen Momenten vorbildlich die Zügel in der Hand, er kann Sänger begleiten, er führt die vielen schönen Einzelleistungen kompetent zusammen, er baut im Terzett eine unglaubliche Spannung auf und erzeugt Süße ohne Süßlichkeit. Das ist nicht wenig.


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Cover

Richard Strauss
Der Rosenkavalier

Komödie für Musik in drei Aufzügen
Libretto von Hugo von Hofmannsthal

Montserrat Caballé - Feldmarschallin Fürstin Werdenberg
Otto Edelmann - Baron Ochs auf Lerchenau
Teresa Zylis-Gara - Octavian
John Modenos - Herr von Faninal
Edith Mathis - Sophie
David Hughes - Valzacchi
Angela Jenkins - Leitmetzerin
John Andrew - Ein italienischer Sänger
Anna Reynolds - Annina

The Glyndebourne Chorus
Choreinstudierung: Myer Fredman

London Philharmonic Orchestra
Leitung: John Pritchard


Glyndebourne GFOCD 010-65
3 CDs, Gesamtspielzeit 3:07:43
Live-Mitschnitt im Glyndebourne Opera House, Lewes, 30. Mai 1965

Weitere Informationen unter:
www.glyndebourne.com



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