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Schätze aus den Rundfunkarchiven der DDR:
Großartige Portraits von Hanne-Lohre Kuhse und Ernst Gruber

Von Thomas Tillmann


Eine Freude sind die prall gefüllten vier zum größten Teil auch klanglich akzeptablen CDs mit vor allem aus Rundfunkarchiven der DDR um das Jahr 1960 stammenden Aufnahmen der großen Hanne-Lore Kuhse, die spätestens seit dem auch an dieser Stelle besprochenen Tristan aus Philadelphia wieder in aller Munde ist und die eine vielleicht inzwischen doch ausgestorbene Generation erster Sängerinnen repräsentiert, die kaum Grenzen im Repertoire kannten und so für jeden Intendanten ein Glücksfall waren. Im Booklet wird die Frage diskutiert, ob die Kuhse eine altmodische Sängerin war, und wenn darunter zu verstehen ist, dass sie niemals den vordergründigen Effekt suchte, sondern dem Willen des Komponisten nachspürte, anstatt sich als Interpretin in den Vordergrund zu stellen, dann wird man wohl zustimmen müssen und auch wollen. Ihren größten künstlerischen Erfolg hatte die Sängerin übrigens in den USA (besonders in New York City, Philadelphia und Boston), selbst das Met-Debüt als Isolde war in Reichweite, wurde aber von den DDR-Bürokraten in Ost-Berlin vereitelt. Begonnen hatte alles nach immerhin zehn Jahren Gesangsstudium 1951 in Gera (direkt mit dem Fidelio!), bevor sie von 1952 bis 1959 in Schwerin, von 1959 bis 1964 in Leipzig und dann an der Berliner Staatsoper engagiert war. Trotz oder vielleicht gerade wegen zahlreicher triumphaler Gastspiele wurde sie Ende der sechziger Jahre schlecht behandelt und in die Provinz getrieben: Während sie in Jena und Magdeburg als Brünnhilde gastierte, war sie an ihrem Stammhaus als Stimme des Falken in Frau ohne Schatten besetzt! Hanne-Lore Kuhse zog irgendwann die Konsequenzen und etablierte sich als gesuchte Gesangslehrerin.

Doch kommen wir zu den willkommenen Dokumenten dieser wunderbaren Künstlerin: Für den Vortrag der Arie der Almirena aus Händels Rinaldo muss einmal mehr das altmodische Adjektiv beseelt herhalten, und für mich als Nichtexperten berührt diese Musik so viel mehr, wenn sie von runden, vollen Stimmen gesungen wird und eben nicht von diesen anonymen, vibratolosen Stimmchen, die man heute oft in diesem Repertoire hört. Auch in den Szenen aus Iphigenie auf Tauris bewundert man die üppigen, aber stets kontrolliert eingesetzten Mittel, den trauerumflorten, majestätischen, immer auch sehr menschlichen Ton, die Größe im Leiden, den wahrlich erfüllten Gesang, und angesichts der hervorragenden Diktion vergisst man schnell, dass wie bei den meisten Ausschnitten nicht in der Originalsprache gesungen wird. Bei der anderen Iphigenie fällt allerdings auf, dass Töne über dem System ein bisschen klingeln, was man aber gern in Kauf nimmt, wenn die Figur vor dem inneren Auge und Ohr so lebendig wird wie in Kuhses Interpretation. Mozarts Contessa portraitiert sie mit wunderbaren Bögen, ohne dabei in eitlen Vokalexhibitionismus zu verfallen, die Donna Anna beweist (trotz des schwachen Sounds), wie schlank sie die Stimme führen konnte, wobei die Künstlerin bei den Koloraturen doch an Grenzen stößt - die virtuosen Passagen in der Arie der Baronin aus Haydns La vera costanza fallen ihr leichter, und da ist das Leuchten in der Stimme auch wieder da.

Interessant sind die Ausschnitte aus Beethovens Leonore, auch wenn bei diesem Mitschnitt aus Boston aus dem Jahre 1967 der Klang sehr mäßig ist. Hanne-Lore Kuhse ist eine ausdrucksvolle, sehr natürlich und ungemein ehrlich wirkende Nicht-Heroine, und gerade in dieser Partie entfaltet die wunderbar reiche Mittellage der Stimme die schönste Wirkung (George Shirley ist ihr ein kompetenter Partner mit dunklem Tenormaterial), während die Spitzentöne nicht ohne Kraft produziert werden. Die sich anschließenden Fidelio-Auszüge umfassen immerhin siebzehn Jahre: 1953 in Schwerin bewundert man die jugendliche Energie der Interpretin, bei dem Ausschnitt aus dem Jahre 1970 freut man sich, dass die Stimme sich kaum verändert, die Interpretation nichts an Frische und Spontaneität verloren, sondern nur an Tiefe gewonnen hat. Danach ist die Kuhse eine Agathe, die in ihrer Auftrittsarie deutlich macht, dass sie nicht nur einen Blumenstrauß von Max möchte, und eine Rezia, die gegenüber vielen Kolleginnen wegen ihrer exemplarischen Textverständlichkeit die Nase vorn hat, aber auch durch ihre zupackende Art, die innere Erregung und die Verve ihres Singens überzeugt. Dies gilt auch für die Senta, in deren Ballade sie feine dynamische Abstufungen vornimmt, den richtigen hysterischen Unterton trifft und auch am Ende nicht in Verlegenheit kommt. Die Hallenarie stattet sie mit der richtigen mädchenhaften Emphase und ebensolchem Jubel aus, im Brautgemach betont sie das Schwärmerische, Ungestüme der Elsa von Brabant, deren Wahn menschlich nachvollziehbar wird in Kuhses Vortrag, in dem auch einige schärfere Töne durchaus Sinn machen - wie anders klingt diese Szene, wenn kein überforderter lyrischer Sopran ins Schleudern kommt, und auch Hermin Esser ist kein fehlgeleiteter Tenorino an ihrer Seite, sondern ein geschmackvoll phrasierender, legatostarker Lohengrin der reichen vokalen Mittel, der sich heute vor Angeboten nicht retten könnte. Die zweite CD bietet zudem eine Alternative zu der bekannten Aufnahme der Wesendonck-Lieder (diese hier stammt aus 1962, Heinz Rögner dirigiert das Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig) und des Liebestodes (das Aufnahmedatum indes kann nicht stimmen, denn im März 2000 lebte die 1999 verstorbene Künstlerin nicht mehr). Die Sängerin fährt fort mit der Erzählung der Sieglinde (mit Konzertschluss!), bei der man jedes Wort versteht und feststellt, dass sie auch kein Problem mit tiefen Tönen hat. Kuhses Freundin Friedelind Wagner war es, die die konzertante Aufführung von Siegfried Wagners Friedensengel in London organisiert hat, und die beiden Szenen der Mita sind zweifellos Höhepunkte dieser Zusammenstellung dank der Emphase und des Jubels, mit denen die Sopranistin die sich à la Strauss immer höher schraubende Gesangslinie ausstattet (leider gibt es von diesem Komponisten nur den Monolog der Marschallin, der dank der ersten Diktion und der vornehmen Zurückhaltung exzellent gelingt, aber man hört bestimmte Phrasen der Chrysothemis, der Ariadne, der Kaiserin oder auch der Färberin geradezu vor dem inneren Ohr). Bevor die Kuhse im italienischen Fach zu erleben ist, gibt es noch einen Ausflug zu Mussorgskys Marina, für die sie einen exaltiert-glamourösen, energischen Ton anschlägt und in Hans Löbl einen prächtigen Rangoni an ihrer Seite hat.

Bei der zweiten Arie der Lady Macbeth beweist die Kuhse, dass man Expressivität durch eine sorgsame Bewältigung der von Verdi vorgesehenen Noten eindrucksvoller erzielen kann als durch außermusikalische Effekte. An sich hat sie auch das richtige dunkel-frauliche, melancholische Timbre für die Leonora im Troubadour und kommt auch ganz gut durch den schnellen Teil der ersten Arie, aber eine Koloraturspezialistin ist sie, wie gesagt, eben nicht, und auch in der zweiten Arie sind es die Töne über dem System, bei denen sie sich nicht hundertprozentig wohl gefühlt haben dürfte. Dafür geht sie mit ihrer kraftvollen Stimme im Miserere nicht unter und singt an der Seite des als Conte kraftvoll-viril auftretenden Robert Lauhöfer mit viel Schwung das Duett. Klangliche Fülle und vokaler Reichtum sind gute Voraussetzungen für die Ballo-Amelia, wenngleich man ein wenig die Stirn runzelt angesichts des Schreis, der der Künstlerin entfährt, als sie das vermeintliche Gespenst erblickt; in der Arie des dritten Aktes ist es gerade der Verzicht auf solche Effekte, der ihren Vortrag so herzerweichend macht. Auch die Zerrissenheit Aidas bringt Hanne-Lore Kuhse überzeugend zum Ausdruck, und einmal mehr fragt man sich, warum so viele Schlechtere so viel größere Karriere gemacht haben, auch wenn das gefürchtete Nil-Arien-C auch hier den Zuhörer die Daumen drücken lässt. Dass sie den idealen reinen Ton für die Desdemona hat, versteht sich nach dem Vorgesagten fast von selbst, wie an manch anderer Stelle ist der mehr als solide Martin Ritzmann ihr Partner als sehr hellstimmiger Otello. Für die Tosca gilt das über die Lady Macbeth Konstatierte, nicht nur im Duett des ersten Aktes, sondern vor allem im "Vissi d'arte", in dem sie wunderbar phrasiert und ihr ein herrlich geflutetes B gelingt. Bei Turandots Auftritt in Schwerin hört man eine feurige, aber nicht brutale Prinzessin und eine Sängerin, die nicht brüllt, in Santuzzas Romanze delektiert man sich ein weiteres Mal an dem leuchtenden Ton der Stimme, ihre Vielseitigkeit beweist die Kuhse in dem englisch gesungenen Ausschnitt aus Porgy and Bess, aber natürlich hört man, dass das englische Idiom ungewohntes Terrain ist, während man sich in dem mit Orchesterbegleitung aufgenommene Mahler-Lied "Liebst du um Schönheit" über die schönen Piani freut, beim "Lob des hohen Verstandes" über den dezenten Witz und den Verzicht auf neckisches Gebaren.

Ernst Gruber heißt Hanne-Lore Kuhses Partner in dem bereits erwähnten Tristan, und auch diesem Ausnahmesänger widmet Ponto eine wunderbare 3-CD-Box. Schon bei der letztgenannten Rezension hatte ich darauf hingewiesen, dass kaum noch jemand den Tenor kennt, der 1918 geboren wurde, 1947 in Graz als Max im Freischütz debütierte und dank der Förderung des großen Hermann Abendroth 1949 Mitglied des Weimarer Nationaltheaters wurde, wo er sich nach und nach das Heldenfach erarbeitete, bevor er nach Engagements in Leipzig und Dresden schließlich 1964 ebenfalls an die Deutsche Staatsoper engagiert wurde. Erneut bin ich beeindruckt von der kräftigen, robusten, aber nie ungehobelt, sondern ebenfalls häufig piano eingesetzten Stimme eines Sängers der guten alten Schule, der stets viel aus dem Text macht und trotzdem um musikalische Feinheiten bemüht ist. Und so freut man sich über den dunklen, reichen Ton und die Leidenschaftlichkeit des Singens in der Florestan-Arie (diese Partie sang er allein an 144 Abenden, es folgen Radamès mit 133, Tannhäuser mit 132, Max mit 119, Stolzing mit 108 und nicht zuletzt und wirklich überraschend Tamino mit immerhin 71 Vorstellungen!), die Gruber keineswegs an Grenzen führt, erinnert sich, dass Webers Max eigentlich nichts für lyrische Tenöre ist (wie viel berührender gerät dessen Verzweiflung angesichts einer kraftvollen, fast baritonal tönenden Stimme ohne die üblich gewordenen Einschränkungen, wie viel versteht man hier vom Text, auch bei den anderen Mitwirkenden, unter denen Theo Adam als starker Eremit herausragt), staunt über die mächtige Klangsäule und vokale Wucht, die Gruber für Manrico bereithält, die Dramatik, Vitalität und Virilität (und die interessante Variante in der Stretta!), über ein glanzvolles Otello-"Esultate" und ein sensibles Duett an der Seite der schlank singenden, elegant phrasierenden, silberstimmigen, aber keinesfalls vokal unterbelichteten Maria Croonen als Desdemona, die elektrisierenden Spitzentöne, die wie flüssiges, rotes Gold ans Ohr dringen. Für d'Alberts Pedro besitzt Gruber die nötige Kontrolle, um diese hochemotionale Musik bei aller geforderten Exstase nicht reißerisch wirken zu lassen (und in Elisabeth Rose hat er eine Partnerin mit Durchschlagskraft und immensen expressiven Potential, ohne dass dies auf Kosten des eigentlichen Gesangs und der Präzision ginge), während die Melismen im Gebet des Rienzi weniger seine Sache sind, das hier in einer neuen Textfassung für eine Aufführung des Opernhauses Leipzig zu Gehör kommt. Viele Nuancen bietet der präzis deklamierende Künstler in Tannhäusers glanzvoll gesungener und eben nicht wie heute oftmals üblich gebrüllter Rom-Erzählung (Dora Zschilles ältlich-dünne, vibratoreiche Venus stört in diesen Ausschnitten aus dem dritten Aufzug den sensiblen Hörer). Auch die Lohengrin-Auszüge überrumpeln durch die klangliche Fülle dieser Ausnahmestimme in der Tradition etwa eines Max Lorenz, und doch vermisst man im Brautgemach auch nicht die leiseren Töne, während die Piani und die mezza voce der Gralserzählung nicht eigentlich seine Domäne sind (Christa-Maria Ziese ist hier eine dünnstimmige, aber höhenstarke Elsa); trotzdem hätte man hier gern das gesamte Finale gehört. Der Überschwang des jungen Ritters Stolzing liegt dem Österreicher gleichfalls, es sind einmal mehr unsere pervertierten Hörgewohnheiten, die die Stimme zu groß und dunkel finden mögen. Perfekt ist sie allemal für den Siegmund - leider hört man auch das Ende des ersten Aufzugs der Walküre nicht zuende, was auch deshalb schade ist, weil Brünnhild Friedland zwar eine sehr lyrische Sieglinde ist, aber ihr Sopran in der Höhe wunderbar leuchtet. Die interessanteste der drei CDs ist für die meisten sicherlich die letzte, die den kompletten zweiten Aufzug einer Tannhäuser-Aufführung aus der Berliner Staatsoper aus den Jahren 1961 oder 1962 bringt, freilich in dem nicht eben beglückenden, mancherlei Schwankungen, Nebengeräusche und lauten Souffleuseneinsatz aufweisenden Sound eines Privatmitschnitts. Elisabeth Rose ist eine anrührende, erfüllt singende Elisabeth mit schöner Pianokultur und gelegentlichem Leuchten, was aber letztlich nicht von dem Umstand ablenken kann, dass sie zu wenig Stimme für die unterschätzte Partie hat. Theo Adam gefällt mir vor allem in den liedhaften Passagen hervorragend als Landgraf, auch wenn nicht jeder tiefe Ton selbstverständlich ist, anders als die hohen. Manch Nuance gelingt Rudolf Jedlicka als Wolfram, Martin Ritzmann ist ein de luxe besetzter Walther, was ebenso für Sylvia Geszty als Edelknaben gilt, deren Stimme ich freilich nicht wirklich ausmachen konnte, und natürlich versteht Heinz Fricke sein Handwerk im Graben. Der Protagonist selber besticht durch seinen aufbrausend-ungestümen, wahrlich sinnlichen Einsatz, die hohe Identifikation mit der Figur und seine exemplarische Diktion und lässt die hörbaren Grenzen beim "Erbarm dich mein!" und den hier auftauchenden Intonationstrübungen zweitrangig erscheinen. Und so spricht gegen den Kauf dieser Aufnahmen eigentlich nur eines: Man möchte danach kaum noch einen der heute aktiven Heldentenöre hören, pardon.


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Cover

A Portrait of
Hanne-Lore Kuhse


Ausschnitte aus Opern sowie Lieder von
Händel, Gluck, Mozart, Haydn, Beethoven, von Weber, Wagner, Siegfried Wagner, Mussorgski, Verdi, Puccini, Mascagni, Strauss, Gerswhin und Mahler


Ponto PO-1032 (4 CD)





Cover

A Portrait of
Ernst Gruber


Ausschnitte aus Opern von
Beethoven, von Weber, Verdi, Wolf-Ferrari, Smetana, d'Albert und Wagner


Ponto PO-1033 (3 CD)



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