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Roberto Devereux

Tragedia lirica in drei Akten
Libretto von Salvatore Cammarano
Musik von Gaetano Donizetti


In italienischer Sprache



Wichtiges Dokument einer großen Operntragödin

Von Thomas Tillmann


Anlass der vorliegenden Live-Aufnahme von konzertanten Aufführungen von Donizettis die sogenannte Tudor-Queen-Trilogie abschließendem Roberto Devereux im Königlichen Opernhaus Covent Garden im Juli 2002 ist nach Angaben der Firma Opera Rara, Nelly Miricioius faszinierendes Portrait der Elizabeth zu dokumentieren, die den vokalen wie dramatischen Anforderungen dieser Partie mit so unglaublicher Intensität gerecht wird wie kaum eine andere mindestens in diesen Tagen und einmal mehr zeigt, dass genau dieses Repertoire ihre künstlerische Heimat ist (die Firma tut also gut daran, am 22. 10. diesen Jahres in Zusammenarbeit mit dem London Philharmonic Orchestra auch eine konzertante Aufführung von Mercadantes Emma d'Antiochia in der Royal Festival Hall in London aufzuzeichnen - deren große Arie hatte die Miricioiu ja bereits auf ihrem 2001 erschienen Recital Bel Canto Portrait beeindruckend interpretiert). Es ist die enorme emotionale Bandbreite der alternden Königin zwischen Liebe und Hass, Hoffnung und Verdächtigungen, Freude, Stolz und uferloser Wut, die umgesetzt werden will, und gerade in diesem Bereich liegen die Stärken der Miricioiu, für die eben nicht nur Noten von Bedeutung sind, sondern auch und besonders der Text - kein Wunder also, dass sie als eine der wichtigsten Exponentinnen des dramatisch-expressiven Singens gilt, das mit Namen wie Maria Callas oder Renata Scotto verbunden ist und das Sängerinnen wie Montserrat Caballé oder in unserer Zeit Edita Gruberova bei aller Bewunderung vor den vokalen Qualitäten eben nicht wirklich gegeben ist. Dass bei einer solchen kein Risiko scheuenden Herangehensweise mitunter auch Töne produziert werden (müssen), die Puristen verstören mögen, nimmt man gern in Kauf. Dafür aber gerät ihre Pianokultur nie in Gefahr, zum bloßen Selbstzweck zu werden, auch die Kadenzen geraten stets geschmackvoll und werden der jeweiligen Stimmung angepasst, anstatt zu willkommenen Anlässen für das Vorführen vokaler Fähigkeiten zu verkommen, die Gesangslinie wird immer raffiniert und voller Delikatesse ausgeziert (für mich am eindrucksvollsten im "Vivi, ingrato"), der Facettenreichtum und die farblichen Valeurs der Mittellage über das unkünstlerische Abfeuern von Stratosphärentönen gestellt. Von Anfang an stellt die Sopranistin die weibliche Seite der Regentin in den Vordergrund ("io son donna alfine" betont Elisabetta gegen Ende!), den weichen Kern, weniger den Zynismus, die Gemeinheit und die äußere Härte der "regina d'Inghilterra", und so berührt die Zärtlichkeit, mit der sie an Roberto denkt, vielleicht noch mehr als der entfesselte furor, den die Künstlerin im Duett mit Nottingham und im anschließenden Terzett entfaltet (namentlich das berühmte "Va, va, la morte sul capo ti pende" ist von unerhörter Präsenz).

Größten Anteil am Erfolg dieser Aufnahme hat Maurizio Benini am Pult des hochkarätig musizierenden Orchesters des Royal Opera House: Bereits in der Sinfonia hält man den Atem an angesichts der flotten, packend-mitreißenden Tempi, dem enormen Drive, der freilich gar nichts mit Hektik oder äußerlichem Imponiergehabe zu tun hat. Der Italiener weiß einfach in jedem Moment, was er tut und was diese Musik braucht, wie man Funken schlägt aus den schlichtesten Begleitfiguren, wie man etwa im ersten Finale größtmögliche Transparenz bewahrt, wie man Sänger begleitet - bravo, maestro!

Doch auch die übrige Besetzung kann mit der Sopranistin und dem musikalischen Leiter mithalten und wird ebenso wie die genannten für ihre Bemühungen vom Londoner Publikum angemessen gefeiert: Sonia Ganassi reüssiert mit ihrem schlank geführten, nicht zu kleinen, gut sitzenden und zu wahrhaft imposanten Spitzentönen in Sopranregion fähigen Mezzosopran und einer tiefempfundenen, viele Feinheiten berücksichtigenden Interpretation als unglückliche Sara. José Bros' Tenor hat an Kraft und viriler Farbe in den letzten Jahren deutlich hinzugewonnen, so dass er eine sehr gute Wahl für die Titelpartie ist, zumal seine flexible Stimme glänzend anspricht, der Künstler ausgesprochen sorgfältig und geschmackvoll phrasiert und auch die nicht wenigen Zierfiguren angemessen auszuführen versteht; die wirklich tolle Höhe rechtfertigt auch einige über den gedruckten Notentext hinausgehende Interpolationen. Die glänzende obere Lage ist neben dem markanten, dunklen Timbre auch das Pfund, mit dem der hochengagierte Roberto Frontali wuchern kann, während man sich trotz spürbaren Bemühens um schöne Piani manche Passage doch etwas eleganter gesungen vorstellen könnte. Echte Belcanto-Fans sollten sich also vom hohen Preis dieser Doppel-CD nicht einschüchtern lassen, sondern zugreifen, zumal es die gewohnt luxuriöse Opera-Rara-Ausstattung mit einem über 170 Seiten starken Booklet dazu gibt, das viele Abbildungen von Sängern bietet, die als Donizetti-Interpreten begonnen haben, Proben- und Produktionsfotos der Mitwirkenden im in italienischer und englischer Sprache abgedruckten Libretto, einen langen erhellenden Artikel von Jeremy Commons (diesen allerdings doch wieder nur in englischer Sprache, nur die Inhaltsangabe kann man auch in deutscher und französischer Sprache nachlesen) und nicht zuletzt eine von Tom Kaufman erstellte Aufführungsgeschichte des Werkes, die in der Titelpartie so prominente Namen wie Carolina Ungher, Giulia Grisi, Giuseppina Strepponi (Verdis spätere Frau gab die Königin 1843 in Bologna) oder Pauline Viardot aufweist, bevor Roberto Devereux zwischen 1881 und den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der Versenkung verschwand (es war Leyla Gencer, die im Mai 1964 in Neapel als erste bedeutende Sängerin der Neuzeit das Kostüm der Tudor-Queen überstreifte, 1965 folgte Montserrat Caballé, 1970 Beverly Sills; 1987 versuchte sich Katia Ricciarelli an der Elisabetta, 1988 Raina Kabaivanska, 1990 Edita Gruberova in Barcelona, 1993 Denia Mazzola-Gavazzeni in St. Gallen; Nelly Miricioiu gab die Königin zwar 2001 in Santiago de Chile wohl zum ersten Mal auf der Bühne, aber die sensationelle konzertante Aufführung im April 1994 im Amsterdamer Concertgebouw sollte man nicht unterschlagen!).


Von Thomas Tillmann





Cover

Gaetano Donizetti
Roberto Devereux


Elisabetta, Queen of England - Nelly Miricioiu
Roberto Devereux, Earl of Essex - José Bros
Sara, Duchess of Nottingham - Sonia Ganassi
The Duke of Nottingham - Roberto Frontali
Gualtiero - Graeme Broadbent
Cecil - Robin Leggate

Royal Opera House Chorus,
Covent Garden

Orchestra of the Royal Opera
House, Covent Garden

Dirigent: Maurizio Benini


Aufnahme:
Royal Opera House, Covent Garden,
London, Juli 2002

Bestellnummer: ORC 24
Firma: Opera Rara, London









Da capo al Fine

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