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Stephen Sondheim
The Frogs


Viel Gequake und feuchte Fliesen

Von Markus Bruderreck


Musik kann manchmal eine sehr feuchte Angelegenheit sein, besonders, wenn sie in Swimmingpools aufgeführt wird. Dieses Schicksal war vor 31 Jahren einem Stück beschieden, das mit einem Dichter-Wettbewerb, singenden, synchron schwimmenden Amphibien und einem Einblick in die Hölle aufwarten kann – Menschen, Tiere, Sensationen also. Die Rede ist von Stephen Sondheims Musical „The Frogs“, das jetzt in einer Aufnahme bei „ps classics“ vorliegt. Sie dokumentiert eine Produktion, die im Sommer und Herbst 2004 im Vivian Beaumont Theatre des New Yorker Lincoln Center 92 Vorstellungen erlebte. Hinter dem erst fünf Jahre alten Label „ps classics“ steht der freie Produzent Tommy Krasker, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, (zu unrecht) vergessene Musicals wieder ans Tageslicht zu holen. Der Musicalfreund hat ihm zahllose interessante Produktionen zu verdanken, darunter die verdienstvolle (aber leider eingestellte) Reihe des Gershwin Trusts und weitere Aufnahmen, die heute in jedem CD-Regal stehen, auch in denen von Klassikfans.

Stephen Sondheim, der schon zu Leonard Bernsteins „West Side Story“ Verse beisteuerte, feierte am 22. März dieses Jahres seinen 75. Geburtstag. Er ist einer der Giganten des amerikanischen Musiktheaters. Äußerst experimentierfreudig schafft Sondheim als Komponist, der sich auch seine Songtexte immer selbst schreibt, Bühnenwerke, die regelmäßig die Grenzen des Konventionellen sprengen. Die Palette seines musikalischen Ausdrucks ist groß und präsentiert sich mit jedem Stück in neuem Licht. In den letzten Jahren hat Sondheims Schaffenskraft jedoch merklich nachgelassen. Nach „Passion“ (1994), das einer Oper von Puccini glich, war Jahre lang nichts mehr von ihm zu hören. „Bounce!“, uraufgeführt 2003 am Goodman Theatre in Chicago, wurde sehr gemischt aufgenommen (was für Sondheim-Werke nichts Besonderes ist; das Stück muss wohl aber tatsächlich noch einmal gründlich dramaturgisch überarbeitet werden). „The Frogs“ ist kein genuin neues Stück, sondern Recycling, aber eines der amüsantesten und denkbar intelligentesten Art.

Die literarische Vorlage für „The Frogs“ ist die 405 vor Christus entstandene Kommöde „Die Frösche“ von Aristophanes, aktualisiert von Broadway-Autor Burt Shevelove und dem Hauptdarsteller der Neuproduktion, Nathan Lane. Die Welt steht am Abgrund, die Gesellschaft ist geschüttelt von den Peleponnesischen Kriegen und droht, in Chaos zu versinken. Dionysos (Nathan Lane) und sein Diener Xanthias (Roger Bart) fassen den Plan, in die Unterwelt hinab zu steigen und von dort den Schriftsteller George Bernard Shaw aufzulesen, der die Welt inspirieren und trösten soll. Auf dem Weg über den Styx, den ein Pot rauchender Alt-Hippe als Bootsmann Charon befährt, fallen sie beinahe einer besonders ignoranten, aggressiven und schleimigen Spezies anheim: den Fröschen. Als Dionysos und Xanthias diese unangenehme Begegnung hinter sich gebracht haben, erwartet sie am anderen Ufer bereits eine Reihe von leicht bekleideten Verehrerinnen. Es kommt jedoch Konfusion auf, denn Dionysos ist im Löwen-Outfit von Herakles im Hades erschienen. Pluto, der Herr der Unterwelt, macht der Verwirrung ein Ende. Es sei momentan ein Bankett im Gange, an dem sämtliche toten Schriftsteller teilnehmen, so Pluto. Die Auswahl an potenziellen Weltrettern ist auf einmal groß. Man einigt sich auf einen Wettbewerb, bei dem zwei Finalisten übrig bleiben: George Bernard Shaw und William Shakespeare, die Geistreiches zum Thema „Tod“ von sich geben sollen. And the Winner is: William Shakespeare! Für das Siegerlied dieses Dichter-Contests, „Fear No More“, benutzte Stephen Sondheim ausnahmsweise einmal keine eigenen Verse, sondern die von Shakespeare selbst.

Das Musical „The Frogs“ von Stephen Sondheim kann mit einer kuriosen Aufführungsgeschichte aufwarten. Im Jahr 1974 ging das Stück zum ersten Mal im Swimming Pool der Yale School of Drama in New York über die feuchten Fliesen – für alle Beteiligten eine schlüpfrige Angelegenheit (Fußnote hier: Meryl Streep und Sigourney Weaver waren als Eleven an der Aufführung beteiligt). Dieser klein besetzten Produktion, die nur für eine Woche zu sehen war sowie einer weiteren, schon 100 Mitwirkende starken in New Haven direkt im Anschluss, folgte lange Zeit nichts. Erst im Jahr 2000 nahm Nathan Lane einige Songs aus „The Frogs“ für das Label Nonesuch auf (zusammen mit vier Liedern aus „Evening Primrose“). Als Lane, in der Badewanne sitzend, wenig später dieser Musik lauschte, wuchs in ihm der Entschluss, das Stück, das bislang nur eine Komödie mit Gesang war, zu einem veritablen Musical auszubauen. Stephen Sondheim schrieb vier neue Songs und gestaltete die alten geschickt zu großen Shownummern um, insbesondere „The Frogs“ und „Hymn to Dionysos“. Nathan Lanes Ausarbeitung des Stoffes ist dabei auch zu einer aktuellen politischen Satire geworden, die deutlich auf Neo-Konservativismus, den Irak-Krieg und die desolaten Zustände in der amerikanischen Volksseele nach dem elften September 2001 anspielt. Ansonsten ist „The Frogs“ vor allem natürlich ein Vehikel für Lanes quirlige Komik. Daneben macht Roger Bart als Diener Xanthias eine gute, angemessen zerknirschte Figur. Erwähnenswert ist auch Burke Moses als Herakles, der diese Figur in „Dress Big“ mit ständigem Gebrüll angemessen ins Lächerliche zieht.

Um an der vom Label „ps classics“ veröffentlichten CD mit Stephen Sondheims „The Frogs“ Spaß zu haben, ist es nützlich, über sattelfestes Englisch zu verfügen. Die Songtexte sind dankenswerter und absolut notwendiger Weise im komplett englischsprachigen Booklet abgedruckt. Paul Gemignani, versierter und alt gedienter Musical-Dirigent, leitet sein Orchester mit Temperament, aber auch mit Sensibilität in den gar nicht so seltenen kammermusikalisch geprägten Passagen. Und ein wahres fest an Schlüpfrigkeit ist Peter Bartlett als Unterwelt-Chef Pluto, der zusammen mit seinen Hellraiser-Girls Werbung für die Hölle macht: Keine Party ist heißer!


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Cover

Stephen Sondheim
The Frogs
A New Musical

A Comedy written in 405 b.c. by Aristophanes
Freely adapted by Burt Shevelove
Even more freely adapted by Nathan Lane
Music and Lyrics by Stephen Sondheim
Direction and Choreography by Susan Stroman

Dionysos: Nathan Lane
Xanthias: Roger Bart
Herakles: Burke Moses
Charon/Aekos: John Byner
Pluto: Peter Bartlett
Shakespeare: Michael Siberry

Orchestra conducted by John Gemignani

Ps classics, PS 525

weitere Informationen unter:
www.psclassics.com
www.image-entertainment.com



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