CDs und DVDs Musiktheater |
|
Jacques Offenbach
La Grand-Duchesse de Gérolstein (Die Großherzogin von Gerolstein)
Kriegsgeschrei im allgegenwärtigen Operettenstaat
Von Stefan Schmöe
Wie viele andere Werke Jacques Offenbachs ist auch La Grand-Duchesse de Gérolstein (Die Großherzogin von Gerolstein) nicht in einer endgültigen Fassung erhalten. Der Theaterpraktiker Offenbach strich nach der wenig erfolgreichen Uraufführung 1867 kurzerhand einige - aus heutiger Sicht unverzichtbare - Stellen des Werkes, um eine pointiertere Fassung zu erstellen. Als opérette militaire hat das Werk darauf hin beachtlichen Erfolg gehabt. Jean-Christophe Keck hat nun eine Urfassung rekonstruiert, die sich so weit wie möglich an Offenbachs Autograph hält. Wichtigste Korrektur ist die Erweiterung des Finales des 2. Aktes auf ihre ursprünglichen Ausmaße, und dabei handelt es sich um eine musikalisch zentrale Szene mit einer groß angelegten Steigerung: Der Carillon de ma grand-mère (Carillon der Großmutter der Herzogin). Inhaltlich-dramaturgisch ist diese Nummer wichtig, weil sie innerhalb der kraftvollen Parodie auf das waffenklirrende Militär einen weiteren Nerv satirisch trifft, nämlich die formelhafte und sinnentleerte Überhöhung von Symbolen der Vergangenheit. Wie schon der Säbel des Vaters der Herzogin eine leitmotivische Rolle einnimmt, so soll in dieser Szene das Glockenspiel der Großmutter einmal mehr bedeutungsschwer Schicksal spielen. Aus der Ewigkeit und für die Ewigkeit lebt man in diesem Operettenstaat, über den die europäischen Herrscher seinerzeit herzlich lachten, während Frankreich und Preußen zum Krieg rüsteten. Im Dezember 2004 ist diese Fassung im Pariser Théâtre du Chatelet erstmals aufgeführt und auf CD und DVD aufgezeichnet worden. Hört man den Mitschnitt an, so besticht vor allem der ungemein plastische, zupackende und oft bewusst derbe Klang der Musiciens du Louvre Grenoble unter der Leitung von Marc Minkowski, der souverän den Grat zwischen plakativ greller Militäroperette und großer (aber stets ironisch unterwanderter) Oper trifft. Da dürfen die Klarinetten ruhig einmal aufjaulen, und wer versehentlich den hehren Worten auf der Bühne vertrauen sollte, wird vom Orchester schnell eines Besseren belehrt: Hier wird mit großem Schwung alles hinweg gefegt, was sich selbst für zu wichtig hält. Die Opéra-bouffe wird hier als das genommen, was sie zu ihren besten Zeiten wohl war: Prächtig boshafte Unterhaltung auf stark satirischem Untergrund. Ein Fest der schönen Stimmen ist es daher nicht, was im Chatelet aufgeboten wird, aber eine rollendeckende Besetzung mit genau konturierten Charakterdarstellungen. Als Grand-Duchesse steht mit Felicity Lott eine große Sängerin mit unerhörter Präsenz auf der Bühne. Sie veredelt die Rolle keineswegs, sondern gibt die liebestolle Herzogin, die kurzerhand den hübschen Soldaten Fritz zum General befördert (und ihn ebenso schnell fallen lässt, als er ihre Avancen nicht erwiedert), mit äußerst brüchigem Charme. Schon ihres bewegten Minenspieles wegen sollte man lieber zur DVD als zur CD greifen. Yann Beuron singt den Fritz mit beweglichem und leichtem Tenor, der mehr den naiven Soldaten denn einen feurigen Liebhaber durchklingen lässt. Auch Sandrine Piau als Wanda, Fritz' Verlobte, zwitschert mit operettenhafter Leichtigkeit. Franck Leguérinel (Baron Puck), Eric Huchet (Prinz Paul), Francoise Le Roux (General Pouf) und Alain Gabriel (Nepomuc) bestechen vor allem durch ihr komödiantisches Talent. Sehr verlässlich stützt der Chor die unzähligen Couplets. Dem gnadenlosen Witz des Werkes wird die Einspielung musikalisch bestens gerecht, und auch ohne Bild beim Anhören der CD wird viel von der Lebendigkeit der Aufführung vermittelt. Die Inszenierung von Laurent Pelly (der auch die Kostüme entworfen hat) ist eine zynische Abrechnung mit dem Militarismus aller Epochen. Das Bühnenbild (Chantal Thomas) zeigt eine leere Fläche mit ebenso leerem Rundhorizont und erinnert ein Diorama, in dem mit Zinnsoldaten historische Schlachten nachgestellt werden könnten. Schützengräben, häufig genutzt, allerdings deuten auf den ernsten Hintergrund hin. Zu Beginn scheint die Bühne von Soldatenleichen übersät, und erst nach dem ersten Schrecken dieses unerwarteten Szenarios bewegen sich die Körper: Alle nur besoffen. Die Erinnerung an den Stellungskrieg vor Verdun bleibt jedoch präsent. Auch das Schloss der Gräfin, auf eine wacklige Treppenkonstruktion reduziert, kann die geisterhafte Atmosphäre nicht vertreiben. Die Choreographie von Laura Scozzi parodiert bissig die Gepflogenheiten des Pariser Theaters. Soldaten in Uniformen, die an den 1. Weltkrieg erinnern, tanzen Ballett auch hier werden Sehgewohnheiten scharf gebrochen. Die Kameraführung des Mitschnitts bleibt dicht an den Figuren um den Preis, dass recht wenig von der Theateratmosphäre eingefangen wird (die bei Offenbach auch eine Rolle spielt). Das lesenswerte Beiheft (mit Informationen über die kritische Neuausgabe des Werkes, allerdings ohne deutsche Übersetzung des Librettos) bleibt den Käufern der CD vobehalten - wer zur DVD greift, muss ganz ohne Zusatzinformationen auskommen. Dabei gäbe gerade diese in vielen Bereichen mustergültige Einspielung genug Anlass, den Forschungsstand genauer zu dokumentieren. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Jacques Offenbach La Grand-Duchesse de Gérolstein (Die Großherzogin von Gerolstein)
Oper in drei Akten (vier Bildern) Weitere
Informationen unter: |