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Giuseppe Verdi
Ernani
I Lombardi alla prima crociata




Früher Verdi aus den achtziger Jahren

Von Thomas Tillmann

Mit dramatischem Feuer und größtmöglichem (und erfolgreichen!) Bemühen um eine gleichermaßen straffe wie detailreich-präzise Wiedergabe des stimmungsvollen Werkes leitet Riccardo Muti diese nun auch auf DVD zugängliche Aufführung des Ernani aus den achtziger Jahren, bei der Luca Ronconi die Auf- und Abgänge der in prächtige Kostüme gesteckten Solistinnen und Solisten sowie der superben Chöre auf der üppig mit allerlei historischem Dekor zugestellten und schwach beleuchteten Bühne des Teatro alla Scala organisiert und gegen Händeringen und Rampensteherei kaum etwas unternimmt, was der Grund dafür sein dürfte, dass der Funke nicht recht überspringt und dass man während dieses Besuchs im Opernmuseum das eine oder andere Mal zu Gähnen beginnt. Dabei fährt Placido Domingo in der Titelpartie sein männlich-markantes, wunderbar bronzenes Timbre auf, gegen das man sich ebenso schwer wehren kann wie gegen die Inbrunst seines Singens beispielsweise im "Solingo, errante e misero" des finalen Aktes. Mehr Probleme habe ich mit Mirella Freni, deren große Kunst, deren leuchtend-schlanker, wunderbarer Ton und deren Pianokultur natürlich auch über jeden Zweifel erhaben sind (kein Name wurde bei Interviews des Rezensenten mit Sängerinnen häufiger als Vorbild in vokaltechnischer Sicht genannt wie ihrer!), die aber für mein Empfinden einfach zu wenig Stimme und Farben besonders in der Mittellage und Tiefe hat und auch die virtuosen Anforderungen der Partie nicht wirklich mühelos bewältigt. Die unangefochtenen Spitzentöne gehen zwar auch in den Ensembles nicht unter, aber perfekt in die Linie eingebunden sind sie nicht immer, wie überhaupt dem Singen der Italienerin der rechte Fluss fehlt, ihrem Spiel die wirkliche innere Beteiligung. Gatte Nicolai Ghiaurov verlässt sich als Silva einmal nicht allein auf die Fülle seiner klangvollen Bassstimme, sondern ist erstaunlich rege um vokale wie interpretatorische Feinheiten bemüht. Ungetrübte Freude beschert Renato Bruson als Carlo: Die vollendet kontrollierte Gesangslinie, der beinahe schwerelose Pianogesang, das Wissen um einen sinnstiftenden Einsatz der mezza voce, die dynamische Flexibilität seines durchaus auch zu kraftvollerem Einsatz fähigen Baritons überhaupt, die Zartheit beim "Vieni meco, sol di rose" des zweiten Aktes, die Durchdringung des Textes etwa in der Szene am Grab Karls des Großen und die Fülle an Nuancen machen seine Interpretation zu einer Sternstunde des Verdigesangs des zwanzigsten Jahrhunderts, die allerdings bereits auf Tonkonserven derselben Produktion zu erleben war.

Star der wohl auch in den achtziger Jahren an der Scala aufgenommenen Aufführung von I Lombardi alla prima crociata ist für mich Ghena Dimitrova, die über einen veritablen soprano drammatico d'agilità verfügt und sich anders als manche andere wirklich so nennen darf, denn bei aller Vollmundigkeit dieser großen, einiges Metall aufweisenden, die Ensembles dominierenden Stimme muss man auch in den virtuosen Passagen niemals über Gebühr die Daumen drücken, und viele beeindruckende Piani bietet die Bulgarin auch. Ich erinnere mich gut, wie ich vor zwanzig Jahren zum ersten Mal ihr Recital mit italienischen Arien abspielte und wie erschlagen war von der Wucht ihres Singens, von der Furchtlosigkeit der Attacke, vor der rillensprengenden, wenn auch etwas pauschalen Dramatik ihrer Interpretation, die hier etwa das zweite Finale zu einem Höhepunkt des Abends macht, wenn sie wie entfesselt einen zornigen Akut nach dem anderen abfeuert - man ist dankbar für die Erinnerung an eine große Sängerin dieser Jahre. Das Publikum liebt natürlich auch José Carreras' Oronte und das besonders in der breiten Mittellage herrlich dunkle, attraktive Timbre des Tenors, aber bereits in der ersten Hälfte der achtziger Jahre und damit vor seiner Leukämieerkrankung machen sich Spuren des vokalen Raubbaus wie die Fortepräferenz, das arg veristische, drastische Angehen mancher Passage, das Forcieren vor allem beim Erreichen höherer Töne, der ausgebleichte Klang dieser Lage und das starke Vibrato bemerkbar. Einige große Momente hat er aber zweifellos auch, etwa in den Duetten mit Giselda, und die delektable Optik zu erwähnen muss bei der Besprechung eines visuellen Mediums auch erlaubt sein. Silvano Carroli besitzt den richtigen kraftvollen, dunklen und reich schattierten Bariton, um die Verschlagenheit und Gefährlichkeit des Pagano auch rein vokal glänzend umzusetzen. Mit Carlo Bini hat man einen erfahrenen, involvierten, einen reifen, aber intakten Tenor mitbringenden Künstler für den Arvino gefunden, und auch Luisa Vannini steuert als Viclinda einige charaktervolle Töne bei, was hier kein Euphemismus für Eindringliches einer Sängerin im Spätherbst ihrer Karriere ist. Der damals schon recht betagte Gianandrea Gavazzeni ist natürlich mit Werk und Genre so vertraut wie kaum ein anderer: Er dirigierte auch den berühmten Mitschnitt mit der Scotto aus Rom (1969) und die beiden Live-Aufnahmen von Jérusalem mit Leyla Gencer und Giacomo Aragall (im La Fenice wird 1963 allerdings die zurück ins Italienische übersetzte Fassung gegeben) sowie mit Katia Ricciarelli und wiederum José Carreras aus dem Jahre 1975. Hier leitet er das blendend disponierte Orchester mit strenger Miene und großem Gespür für klare Strukturen besonders in den aufwändigen Tableaus, für federnde Transparenz und lebendige Tempi, für die zündende Melodik dieser hinreißenden frühen Verdi-Oper, die sich nicht aufführen lässt ohne einen personenstarken, exzellenten Chor, der sich sowohl im zartesten Pianissimo als auch bei ausladenden Fortissimi wohl fühlt, ohne die Gesangskultur aufzugeben, und über ein solches Kollektiv verfügt die Scala natürlich. Nicht unerwähnt bleiben sollen Franco Fantini, der viel Applaus für sein Violinensolo im dritten Akt erhält, die beeindruckenden, aber eben nicht überladenen Bühnenbilder, die mit viel Liebe zum Detail entworfenen, opulenten und farbenfrohen Kostüme und die nicht zuletzt dank des Einsatzes eines Bewegungschores nicht durchgängig statuarische, wenngleich ebenfalls sehr traditionelle, aber mit effektvoll-imposanten Bildern und minutiös choreografierten Massenszenen aufwartenden Inszenierung, was mich bei diesem Werk weniger störte als bei dem zuerst besprochenen. Allerdings war hier mit Brian Large auch wirklich ein Profi für die Bildregie zuständig, was man bei Preben Montell nicht wirklich glauben mag.

Über die schlampige Ausstattung dieser DVDs, deren Herausgabe nichts anderes darstellt als die Resteverwertung von Video-Beständen der Firma, habe ich schon an anderer Stelle geklagt: Man erhält keine genauen Angaben über das genaue Aufnahmedatum, über die Mitwirkenden oder das Werk (dass I Lombardi etwa später mit französischem Libretto unter dem Titel Jérusalem in Paris Karriere machte und diese Version dann wiederum als Gerusalemme wieder in Italien auftauchte, interessiert doch den einen oder anderen), die Inhaltsangabe und die Bemerkungen zur Produktion sind nur in englischer Sprache in beziehungsweise auf der Verpackung zugänglich (immerhin gibt es Untertitel zu den Werken in englischer, deutscher und spanischer Sprache, bei Ernani auch noch in Japanisch und Französisch), und Special Features sucht man auch vergeblich.


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Giuseppe Verdi
Ernani

Oper in vier Akten
Libretto von Francesco Maria Piave
nach einem Schauspiel von Victor Hugo

Placido Domingo - Ernani
Mirella Freni - Donna Elvira
Renato Bruson - Don Carlo
Nicolai Ghiaurov - Don Ruy Gomez de Silva
Gianfranco Manganotti - Don Ricardo
Alfredo Giacomotti - Iago
Jolanda Michielli - Giovanna

Chor und Orchester der Mailänder Scala
Dirigent: Riccardo Muti

Regie: Luca Ronconi
Bühne: Ezio Frigerio
Kostüme: Franca Squarciapino
Videoregie: Preben Montell

Aufnahme: Mailand, 1982/1983 (?)
Warner Music Vision
4509-99213-2 (1 DVD)




Giuseppe Verdi
I Lombardi alla prima crociata

dramma lirico in vier Akten
Libretto von Temistocle Solera
nach dem gleichnamigen Epos
von Tommaso Grossi

José Carreras - Oronte
Ghena Dimitrova - Giselda
Silvano Carroli - Pagano
Carlo Bini - Arvino
Luisa Vannini - Viclinda
Luigi Roni - Pirro
Gianfranco Manganotti - Priore
Giovanni Foiani - Acciano
Laura Bocca - Sofia

Chor und Orchester der Mailänder Scala
Dirigent: Gianandrea Gavazzeni

Regie: Gabriele Lavia
Bühne: Giovanni Agostinucci
Kostüme: Andrea Viotti
Videoregie: Brian Large

Aufnahme: Mailand, 1984 (?)
Warner Music Vision
0927-44927-2 (1 DVD)

Weitere Informationen unter:
www.warnerclassics.de




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