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Das OMM untersucht: Welche CD-Einspielung schenke ich meinem Kind?

Weihnachten mit Hänsel und Gretel


Alle Jahre wieder lässt sich das opernbegeisterte Publikum bereitwillig von Humperdincks Märchenoper Hänsel und Gretel verzaubern. Gleichermaßen beliebt bei Jung und Alt ist das Stück vom vorweihnachtlichen Opernspielplan kaum wegzudenken. Doch auch als reines Hörerlebnis ist die Oper durchaus empfehlenswert: Ob Hexenritt oder Engelspantomime - an der spätromantisch gefärbten Musik entzündet sich die Phantasie auch ohne Bühnenbild. Daher unternimmt das OMM den Versuch, einen Überblick über die im Handel erhältlichen CD-Einspielungen zu bekommen.

Nun ist Humperdincks musikalisches Meisterwerk in ästhetischer Hinsicht nicht unproblematisch und stellt beträchtliche Anforderungen an den Dirigenten: Ursprünglich als Liederspiel mit Klavierbegleitung für den privaten Kreis gedacht, wurde es schließlich zur Märchenoper mit aufwendigem Orchesterapparat umgearbeitet. Um größere Brüche zu vermeiden und die volksliedhafte Einfachheit der Gesänge mit der fast wagnerschen Klangfülle der Instrumentalstücke in Einklang zu bringen, braucht es einiges musikalisches Fingerspitzengefühl.

Ein wirklich großer Wurf gelingt Otmar Suitner mit seiner Einspielung von 1971. Ihre Stimmigkeit verdankt die Aufnahme vor allem dem zügigen Tempo, das bei aller mitreißenden Dramatik ein Abgleiten ins Pathetische verhindert. Vom ersten Takt an musiziert die Staatskapelle Dresden mit beschwingter Leichtigkeit - kontrastreich, intensiv und mit strahlendem Orchesterklang. Ohne sich in den Vordergrund zu spielen, schöpft das Orchester sein Potenzial voll aus. Bruchlos fügen sich die großen Instrumentalvorspiele und die schlichten Volksweisen zu einem harmonischen Ganzen.
Suitner orientiert den Orchesterklang in erster Linie am emotionalen Gehalt der Szene. An keiner Stelle wird zu dick aufgetragen. Nicht zuletzt ist es dem hervorragenden Sängerensemble zu verdanken, dass die Emotionen glaubhaft und unaufgesetzt vermittelt werden.
Mit ihrem leichten, doch sehr prägnanten Sopran trifft Renate Hoff als Gretel die kindliche Stimmgebung perfekt. Auch Ingeborg Springer verkörpert den Hänsel mit großer Natürlichkeit. Wirklich anrührend interpretiert Gisela Schröter - auch wenn es ihr in den dramatischen Stellen etwas an Substanz fehlt - die erschöpfte und überreizte Mutter. Ihr Wutausbruch bleibt nicht - wie leider so oft- eindimensional hysterisch, sondern lässt eine Verzweiflung durchscheinen, die unter die Haut geht.
Auch Theo Adam als ungehobelter, doch sehr gefühlsbetonter Vater und Peter Schreier als weibisch verschlagene - wirklich garstige Hexe treffen mit ihrer Interpretation genau ins Schwarze.
Bis zum letzten Takt der Oper gelingt es Suitner, den in der Ouvertüre aufgebaute Spannungsbogen aufrecht zu halten. Dank der perfekt gewählten Tempi geht seiner Interpretation niemals die Luft aus. Bei aller Klangschönheit besticht die Aufnahme aber vor allem durch ihre unangestrengte Natürlichkeit.

Musikalisch ebenfalls sehr überzeugend ist die Einspielung von Heinz Wallberg und dem Gürzenich-Orchester Köln von 1974. Wallberg geht es vor allem um emotionale Glaubwürdigkeit und ein möglichst authentisches Klangbild: Folgerichtig wurde die Partie des Hänsel mit einem Knaben besetzt.
Allein die stimmliche Leistung von Eugen Hug macht diese Aufnahme besonders empfehlenswert. Mit außergewöhnlicher Musikalität meistert er souverän selbst die schwierigsten Passagen. Perfekt ergänzt wird das Geschwisterpaar von Brigitte Lindners mädchenhaften Sopran, der ihrer Gretel eine besondere Zartheit verleiht. Allerdings stößt die kindliche Stimmgebung vor allem im Dramatischen schnell an ihre Grenzen, sodass einige musikalische Höhepunkte dem Bemühen um klangliche Authentizität geopfert werden. Dennoch ist die Aufnahme ein echter Hörgenuss und hervorragend geeignet, um Kinder an die Oper heranzuführen.

Weit mehr Hang zum Pathos zeigt Jeffrey Tate in seiner Aufnahme von 1990, die mit einer sängerischer Starbesetzung aufwarten kann. Bereits die Ouvertüre gerät sehr breit und bombastisch und zelebriert eine wagnersche Abgründigkeit, die sich mit den zarten Tönen, die Barbara Bonney in den einfachen Volksliedern anschlägt, nur schlecht verträgt. Vor allem den ersten Szenen fehlt es häufig an musikalischer Ausgewogenheit. Daran kann leider auch das Sängerensemble wenig ändern: Anne-Sofie von Otter bleibt als Hänsel anfangs unerwartet blass; Hanna Schwarz gestaltet die dramatischen Ausbrüche der Mutter zwar mit Bravour, bleibt den tieferliegenden, emotionalen Gehalt der lyrischen Stellen aber schuldig. Auch Andreas Schmidt besticht mit strahlender sängerischer Perfektion, bleibt aber in der Charakterisierung des Vaters etwas zu glatt. Ein echter Pluspunkt der Aufnahme ist jedoch Marjana Lipovsek als Hexe, deren schauerlich- schöne Interpretation kaum zu übertreffen ist.
Immerhin kann sich die CD im Verlauf der Oper beträchtlich steigern und gewinnt vor allem in den romantischen Waldszenen an musikalischem Profil.

Einen atmosphärisch sehr dichten Orchesterklang erreicht auch John Pritchard in seiner Einspielung mit dem Gürzenich Orchester von 1978, die mit Federica von Stade und Ileana Cotrubas als Hänsel und Gretel ausgesprochen stimmig besetzt ist. Allerdings wirkt die Aufnahme an einigen Stellen etwas zu detailverliebt, wodurch der musikalische Spannungsbogen mitunter gefährlich ins Wanken gerät.

Die erste vollständige Einspielung der Oper überhaupt ist die historische Aufnahme von Herbert von Karajan aus dem Jahre 1953 mit Elisabeth Schwarzkopf und Elisabeth Grümmer in den Titelpartien. Allerdings erscheinen die breiten Tempi und die gewichtige Phrasierung aus heutiger Sicht eher problematisch - obgleich der gewaltige Orchesterklang den Zuhörer noch immer in seinen Bann zieht. Leider zielt die Aufnahme häufig zu sehr auf einzelne musikalische Effekte; nicht selten wird das anrührend Naive einer bis ins Letzte ausgereizten Operndramatik geopfert. Dennoch stimmt der Spannungsbogen bis zum Schluss. Schon wegen der großartig gestalteten Instrumentalvorspiele und der eindruckvollen Besetzung, ist die Aufnahme für jeden Karajanfan eine echte musikalische Fundgrube und besonders für Kenner und Sammler zu empfehlen.

Wenig stimmig - trotz des phantastischen Orchesterklanges der Wiener Philharmoniker - ist die Aufnahme von Andre Cluytens von 1964, die in erster Linie an den zu langsamen Tempi krankt. Vieles gerät zu bedeutungsschwer und monumental, wodurch dem Stück jeglicher Schwung genommen wird. Selbst der Knusperwalzer wirkt zu pathetisch und hat mit kindlichem Freudentaumel nur wenig gemein. Schade auch, dass auch Irmgard Seefried und die stimmlich brillante Anneliese Rothenberger den kindlichen Tonfall nicht immer treffen. Dies zeigt sich vor allem im Abendsegen, der klanglich viel zu dick und erdenschwer erscheint, um den Zuhörer wirklich zu berühren.

Auch bei der erst 1994 eingespielten Aufnahme von Donald Runnicles will der musikalische Funke nicht so einfach überspringen. Die wenig tiefgründig und viel zu akademisch gestaltete Ouvertüre klingt selbst für ein Märchen zu harmlos und bleibt bis zuletzt ohne Geheimnis. Auch den ausgelassenen Kindertänzen im ersten Bild mangelt es entschieden an musikalischem Temperament: keine Spur von kindlichem Ungestüm - so brav hat man die Geschwister wohl selten erlebt! Wirklich schade, dass Ruth Ziesak als Gretel und Jennifer Larmore als Hänsel trotz ihrer hervorragenden stimmlichen Leistungen am farblosen musikalischen Gesamteindruck nur wenig ändern können. Immerhin ein Lichtblick ist die bravourös gestaltete Hexenszene, in der Hanna Schwarz wirklich alle Register zieht.

Schon wegen der hochkarätigen Besetzung (Brigitte Fassbaender, Lucia Popp, Julia Hamari und Edita Gruberova) lohnt die Aufnahme von Sir Georg Solti und den Wiener Philharmonikern von 1978. Dieses Ensemble bietet große, romantische Oper mit großen Stimmen und einem phantastischen Orchesterklang, lässt aber die für eine Märchenoper gebotene Schlichtheit häufig vermissen.


Von Silvia Adler










Hänsel: Ingeborg Springer
Gretel: Renate Hoff
Vater: Theo Adam
Mutter: Gisela Schröter
Hexe: Peter Schreier
Sandmännchen: Renate Krahmer
Taumännchen: Renate Krahmer

Dresdner Kreuzchor
Staatskapelle Dresden
Ltg.: Otmar Suitner

Aufnahme: 1971
Berlin Classics 0020072BC






Hänsel: Eugen Hug
Gretel: Brigitte Lindner
Vater: Hermann Prey
Mutter: Ilse Gramatzki
Hexe: Edda Moser
Sandmännchen: Ursula Roleff
Taumännchen: Thomas Frohn

Kölner Kinderchor
Gürzenich-Orchester Köln
Ltg.: Heinz Wallberg

Aufnahme: 1974
EMI 7696692






Hänsel: Anne-Sofie von Otter
Gretel: Barbara Bonney
Vater: Andreas Schmidt
Mutter: Hanna Schwarz
Hexe: Marjana Lipovsek
Sandmännchen: Barbara Hendricks
Taumännchen: Eva Lind

Tölzer Knabenchor
Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks
Ltg.: Jeffrey Tate

Aufnahme: 1990
EMI 7540222






Hänsel: Frederica von Stade
Gretel: Ileana Cotrubas
Vater: Siegmund Nimsgern
Mutter: Christa Ludwig
Hexe: Elisabeth Söderström
Sandmännchen: Ruth Welting
Taumännchen: Kiri Te Kanawa

Kinderchor der Kölner Oper
Gürzenich Orchester Köln
Ltg.: John Pritchard

Aufnahme: 1978
CBS M2K79217






Hänsel: Elisabeth Grümmer
Gretel: Elisabeth Schwarzkopf
Vater: Josef Metternich
Mutter: Maria von Ilosvay
Hexe: Else Schürhoff
Sandmännchen: Anny Felbermayer
Taumännchen: Anny Felbermayer

Choirs of Loughton High School for Girls & Bancroft's School
Philharmonia Orchestra
Ltg.: Herbert von Karajan

Aufnahme: 1953
EMI 5670612






Hänsel: Irmgard Seefried
Gretel: Anneliese Rothenberger
Vater: Walter Berry
Mutter: Grace Hoffman
Hexe: Elisabeth Höngen
Sandmännchen: Liselotte Maikl
Taumännchen: Liselotte Maikl

Wiener Sängerknaben
Wiener Philharmoniker
Ltg.: André Cluytens

Aufnahme: 1964
EMI 5656612






Hänsel: Jennifer Larmore
Gretel: Ruth Ziesak
Vater: Bernd Weikl
Mutter: Hildegard Behrens
Hexe: Hanna Schwarz
Sandmännchen: Rosemary Joshua
Taumännchen: Christine Schäfer

Tölzer Knabenchor
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Ltg.: Donald Runnicles

Aufnahme: 1994
Teldec 450994549-2






Hänsel: Brigitte Fassbaender
Gretel: Lucia Popp
Vater: Walter Berry
Mutter: Julia Hamari
Hexe: Anny Schlemm
Sandmännchen: Norma Burrowes
Taumännchen: Edita Gruberova

Wiener Sängerknaben
Wiener Philharmoniker
Ltg.: Sir Georg Solti

Aufnahme: 1978
Decca 460845-2


Da capo al Fine

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