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Arrigo Boito: Mefistofele

Oper in Prolog, vier Aufzügen und Epilog
Text nach Goethe's "Faust" vom Komponisten

Faust, italienisch, mit allerlei Merkwürdigkeiten

Arrigo Boito genießt in Fachkreisen einen ausgezeichneten Ruf - allerdings weniger als Komponist denn als Verfasser der Libretti für Verdi's Otello und Falstaff. Sein eigenes musikalisches Hauptwerk Mefistofele leidet, maßlos vereinfachend gesagt, an der mißlichen Lage, den Italienern zu deutsch und den Deutschen zu italienisch zu sein - irgendwo zwischen Wagner und Verdi, also zwischen allen Stühlen angesiedelt, hat das Opus den Sprung ins Repertoire nie so recht geschafft. Dabei sollte das scheinbar vermessene Unterfangen, den ganzen Faust (Teil 1 und 2) auf etwas mehr als 2 Stunden komprimiert, das Publikum schon allein aus Neugierde in Scharen in die Theater locken. Vielleicht überfordert das Großaufgebot an himmlischen Heerscharen, das Boito auf die Bühne zitiert, die Phantasie von Intendanten, Regisseuren und Zuschauern. Die im Begleitheft der CD abgedruckten Bilder der Aufführung in der Mailänder Scala, deren Mitschnitt hier vorliegt, schrecken jedenfalls eher vom Besuch einer Aufführung ab.

Boito wußte wohl, was er konnte (und was er nicht konnte), und hat sich das Textbuch dementsprechend eingerichtet. Auf den großangelegten "Prolog im Himmel" (mit eben jenen himmlischen Heerscharen, von Cherubinen über Büßerinnen bis hin zu mystischen Chören) folgen 4 Akte, von denen der zweite in zwei Szenen unterteilt ist, sowie Faust's Tod als Epilog. Die einzelnen Szenen sind kurz und prägnant - lange Entwicklungen waren wohl Boitos Sache nicht -, und kommen inhaltlich wie musikalisch gleich zur Sache. Ergebnis: Eine ausgesprochen kurzweilige Oper, die nicht unbedingt die seelische Entwicklung der Protagonisten seziert, aber wirkungsvoll die jeweilige Situation beschreibt.

Viel Platz für Arien bleibt da nicht, schließlich muß viel Handlung untergebracht werden, und so hat jede Arie ihre feste dramaturgische Bedeutung. Für das Gretchen bleibt genau eine, im Kerker, die Hinrichtung erwartend. Man sollte annehmen, in einer solchen Situation bliebe einem die Stimme weg, aber Michèle Crider braucht offenbar unbedingt eine Bravourarie und kümmert sich nicht um derart belanglose Dinge wie Glaubwürdigkeit der Figur, und so heißt ihre Devise: An die Rampe, Mund auf, und ja keinen Effekt ungenutzt lassen. So wird eine der zentralen Stellen verschenkt, denn daß sie auch anders kann, zeigt sie in den Ensembles und in der"klassischen Walpurgisnachr" als Helena, die sie quasi als Zugabe singt. Boito hat die Besetzung von Helena und Gretchen zwar irgendwann legetimiert, aber in der vorliegenden Aufnahme überzeugt das nicht. Zwei unterschiedliche Stimmfärbungen scheinen dramaturgisch zwingender.

Ähnliche Wechselbäder wie bei Frau Crider erlebt man auch bei den männlichen Hauptdarstellern: Samuel Ramey als Mephisto verzichtet so konsequent auf jede Ironie, daß man glauben mag, er habe den Text nicht verstanden. Anstelle des naheliegenden dämonischen Elementes tritt eine gutmütige Väterlichkeit. Manche Bögen gelingen ihm trotzdem großartig, und dann plötzlich klingt die Stimme in der Höhe unerwartet blaß. Dieses Phänomen ist auch bei Vincenzo La Scola zu beobachten: Mit jugendlichem, manchmal etwas scharfem Tenor quält er sich zunächst nach oben, um zehn Takte später wie ein junger Gott mühelos jeden tenoralen Gipfel zu stürmen. Eigentümlicherweise ändert sich auch hin und wieder die Stimmfärbung der Sänger urplötzlich. Man wird den Verdacht nicht los, daß hier Mitschnitte von verschiedenen (der insgesamt drei) Aufnahmetagen selbst mitten in den Arien zusammengeschnitten wurden, was die Homogenität der Aufnahme nicht gerade fördert.

Überhaupt ist die technische Seite der Aufnahme nicht überzeugend. Während des Prologs stimmt die Balance zwischen Chor und Orchester nicht, man hört übermäßig viele, oft nicht zu identifizierende Nebengeräusche, und viele Schnitte klingen ziemlich lieblos (und sei es, weil man einen Huster nicht bis zum Ende hört). Bühnenatmosphäre vermittelt dieses daher nur bedingt. Dafür bekommt man viele Ungenauigkeiten von Chor und Orchester des Teatro alla Scala mit. Vielleicht liegt dieses am sehr behäbigen Dirigat Riccardo Muti's, der vor allem in Pro- und Epilog eine, sagen wir, plüschige Atmosphäre verbreitet. Wo Schmelz und Schmalz nahe beieinanderliegen, bedarf es eines sorgfältigeren Dirigates.

Es gibt einige schöne Momente in dieser Aufnahme, aber man wird den Eindruck nicht los, den eher zufälligen Mitschnitt einer mittelprächtigen Vorstellung in der Scala zu hören. Das hat seinen dokumentarischen Wert, aber eine gewichtige Einspielung des Mefistofele ist es nicht.

von Stefan Schmöe

Mefistofele - Samuel Ramey
Faust - Vincenzo La Scola
Margherita /Elena - Michèle Crider
Marta / Pantalis - Eleonora Jankovic
Wagner / Nereo - Ernesto Gavazzi

Chor und Orchester des Teatro alla Scala, Mailand
Ltg.: Riccardo Muti

aus dem Teatro alla Scala - Mitschnitte vom 3., 5. und 8. März 1995
BMG classics, RCA Victor Red seal 09026 68284 2

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