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Beth Gibbons & Rustin Man
Out Of Season



So rauh und fein wie englischer Tweed

Von Andreas Höflich

Obwohl der Winter schon fast vorbei ist, hier nun die ultimative CD für die grauen Winter- und (vielleicht nächsten) Herbsttage. Nachdem Beth Gibbons' erste Solo-CD bereits im Oktober letzten Jahres veröffentlicht wurde, hat es nun anscheinend auch der deutsche Vertrieb geschafft, in die Gänge zu kommen. Obwohl zuerst für Januar angekündigt, ist die CD laut Amazon jetzt ab 10. Februar erhältlich. Rezensionsexemplare werden aber bereits seit langem ausgegeben. Die verspätete oder nicht stattfindende Veröffentlichtung von Tonträgern in bestimmten Ländern oder Kontinenten, eine sich immer weiter ausbreitende Praxis der Musikindustrie, treibt hier mal wieder Blüten ohne Ende. Fast wäre das Solo-Debüt von Beth Gibbons, der Stimme von Portishead, im Sande verlaufen. Jetzt aber gibt es Hoffnung. Wer jedoch TripHoplastiges erwartet hat, wird jäh enttäuscht. Positiv fällt ganz besonders auf, dass Gibbons sich in einer viel größeren Stilvielfalt präsentieren kann als auf den Scheiben von Portishead. In den spärlichen Interviews, die die Künstlerin gibt und sich so erfrischend konsequent dem allgemeinen Musikbusiness entzieht, hat sie bereits auf die Probleme hingewiesen, die die musikalischen Einschränkungen der damaligen Band um Masterminds Geoff Andrew und Adrian Utley für sie bedeuteten. Nachdem von Portishead schon seit einiger Zeit nichts mehr zu hören ist, wollte sie sich ganz bewusst als kompletten Artist mit vielen Facetten zeigen. Und das ist ihr auf ganzer Linie gelungen. Mit dem Bassisten der damaligen Talk Talk, der hier unter dem Namen Rustin Man firmiert, hat sie sich ins Studio zurückgezogen und an einem großen Wurf gefeilt. Das sieht man nicht nur an der riesigen Besetzungsliste, sondern auch an der Zeit, die es dauerte, bis das Album fertig war.

Die Verbindung der beiden Künstler reicht bereits in die Zeit zurück, als Beth Gibbons noch nicht bei Portishead sang. Nun fand sich die Gelegenheit für Gibbons und Webb, die CD zu machen, die sie schon immer machen wollten. Was dabei heraus gekommen ist, ist aus einem Guss und zeigt, dass beide "Brüder im Geiste" sind, was Klang, Melancholie und Attitüde angeht. Trotz der reichen Auswahl an Klangkörpern sind die Stücke spärlich gehalten, man konzentriert sich auf wesentliche Merkmale pro Song. Akustische Instrumente, Gitarren, Klavier oder Streicher dominieren die einzelnen Stücke, eigentlich sind keine Beats zu hören, dagegen gibt's schon mal eine Hammond-Schweineorgel. Allerlei elektronisches Equipment ist nur im Hintergrund zu hören und das ist auch gut so; so ist "Out of Season" eine fast echt akustische Platte geworden. Jeder hatte sich in sein Haus auf dem Lande zurückgezogen, einige Ideen ausgearbeitet, erst dann traf man sich im Studio und schaute, was man daraus entwickeln konnte. Vielleicht liegt es an der britischen Landschaft, aber anscheinend schlägt das Wetter und die "british countryside" direkt durch - solche Platten kann man anscheinend nur auf der Insel machen. Die Erfahrung, "Out of Season" zu sein, sich nicht mehr in der Welt und der Witterung zurechtzufinden, dieser Gedanke durchzieht die CD wie ein unzertrennbarer Faden englischer Schafswolle. So depressiv wie es hier erstmal klingt ist die Musik aber keineswegs. Schon der Text zu "Mystery", "And the moments that I enjoy / a place of love and mystery / I'll be there anytime", lässt für den Gemütszustand der Gibbons hoffen, um den man sich nach den recht düsteren CDs von Portishead doch ernsthaft Gedanken machen musste. In Traurigkeit schön zu sein, das ist hier der Anspruch, den man an sich selbst gestellt hat und den man auch einlöst.

Über alles ragt auch hier die Stimme von Beth Gibbons heraus. Mit einer Behutsamkeit (ver-)wandelt sie sie in die unterschiedlichsten Stimmungen und schafft so gleichsam Reminiszenzen an die Gesangskunst von so unterschiedlichen Künstlerinnen wie Joni Mitchell oder Billie Holiday. Bei "Romance" glaubt man zuerst, die große Dame des vokalen Jazz wäre wieder auferstanden. Im späteren Verlauf geht das Timbre in die Art einer Janis Joplin über - Gibbons hat angeblich mal in einer Joplin-Cover-Band gesungen, zu glauben ist es auf jeden Fall. Einzig "Tom the Model" und "Romance" schwelgen in der Opulenz großen Orchesters, Bläsern und Chors. "Show", mit seinem grazilen Klavierintro und Gibbons' ebenso zurückhaltenden Stimme, gehört wohl zu den schönsten Stücken des ganzen Albums. Ganz in Neo-Folk-Art kommt "Sand River" daher, das mit den ersten Zeilen "Autumn leaves / beauty's got a hold of me" auch schon mal andere Klassiker zitiert. Die ultimativen Themen, die sich an vielen Stellen des Albums wiederfinden, wie Isolation, Natur oder die Jahreszeiten, aus allem trieft die Schwere der Landschaft in Essex oder Devon. Im Booklet sind Webb und Gibbons an einem verfallenen Steg an einem einsamen See zu sehen. Genau von dieser Stelle scheint das Album zu stammen. Nach dem Frösteln beim Gang durch den nebligen Wald morgens um 6 freut man sich auf den warmen Tee im gemütlichen Landhaus. Beth Gibbons und Rustin Man haben wahrscheinlich mit "Out of Season" eine Platte gemacht, die genau das ist - Out of Season; dennoch ist sie gerade dadurch zur rechten Zeit und doch zeitlos. Wie ist auf Beth Gibbons' Homepage zu lesen: "A magnificent album, out of season perhaps, but totally of its time." Very true indeed, kann man da nur sagen.


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Cover



Beth Gibbons & Rustin Man: "Out of Season"



©2003 Polydor (Universal Vertrieb)
CD B00006ZSAD

produced and arranged by Beth Gibbons and Rustin Man (aka Paul Webb)

Beth Gibbons: Vocals, Guitar, Producer
Rustin Man (alias Paul Webb): Guitar, Piano, Arranger, Vocoder, Keyboards
a.o.




Track Listing:

1. Mysteries
2. Tom The Model
3. Show
4. Romance
5. Sand River
6. Spider Monkey
7. Resolve
8. Drake
9. Funny Time of Year
10. Rustin Man



Da capo al Fine

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