Comeback eines Provokateurs

Ja, er hat es wieder getan: weder Rentenalter noch gesundheitliche Probleme und eine zehnjährige Schaffenspause konnten ihn davon abhalten, David Bowie schockt und provoziert wieder. Dazu diese typisch britische feine Prise Selbstironie, für die ihn seine Fans lieben.

Es begann eigentlich ziemlich harmlos als Bowie im Januar die Single-Auskopplung Where Are We Now? seines neuen Albums vorab veröffentlichte, mit einem Video von Tony Oursler. Eine schöne melancholische Referenz an Bowies Berliner Zeit gegen Ende der 1970er Jahre. Wer das Berlin von damals kennt, weiß, wie gut er die Stimmung der Stadt in seinem Song eingefangen hat. Im Brennpunkt des Kalten Krieges eine oft merkwürdige Stille, als ob man sich im Auge des Taifuns befinden würde, und ein Gefühl des Verlorenseins mitten in der Stadt.

Nun aber dies: Nach der Veröffentlichung des Albums im März folgte nun im Mai das Video zum Titeltrack The Next Day. Bowie konnte für das Video immerhin Marion Cotillard und Gary Oldman gewinnen. Kaum veröffentlicht, wurde es von You Tube zunächst ganz entfernt, dann mit einer Ü18-Altersgrenze ins Netz gestellt. Zu deftig der Inhalt. Eigentlich geht es im Text um die öffentliche Hinrichtung eines Gewaltherrschers im Mittelalter. Die Musik dazu ist rau, um nicht zu sagen roh; zu vorwärts drängenden Rhythmen singt Bowie mit lauter, zorniger Stimme. Zu sehen sind im Video Geistliche in einem Bordell, viel Blut und die Wundmale Christi an den Handflächen einer Prostituierten. Am Ende gibt's noch einen Schuss Humor à la Monty Python: eine Szene in Anspielung an die Bergpredigt; Bowie als Jesus verkleidet dankt Marion und Gary und dem Publikum. Very British!

Der Rentner David Bowie hat es tatsächlich geschafft, mit diesem Video etliche Kirchenvertreter zu öffentlichen Protesten zu veranlassen. Spätestens jetzt wissen wir: David Bowie ist zurück. Der schüchterne Londoner aus materiell gesicherten, aber, wie er selbst sagt, emotional unterkühlten Verhältnissen provozierte schon immer gerne und stellte vieles infrage: zum Beispiel die Geschlechterrollen. Mit seiner betont androgynen Erscheinung gehörte er in den 1970er Jahren zunächst zur musikalischen Avantgarde: experimentell, schrill, schwer einzuordnen. Mit seinem Alter Ego Ziggy Stardust kam der Durchbruch, dann mit Aladdin Sane ein weiteres Alter Ego. Ziemlich verwirrend schon damals. Unterdessen längst im Mainstream angekommen, ist immer noch nicht klar, wer David Bowie ist: Zwar stets selbstbezogen, netter gesagt: selbstreferenziell, versteht er es meisterhaft sich zu verwandeln und immer wieder neu zu erfinden. Das gilt auch für sein neuestes Album.

Nicht alle Songs seiner neuen Scheibe sind gelungen, aber etliche. Stilistisch sind sie sehr unterschiedlich und, wie gesagt, wieder mal nicht einzuordnen. Überraschend ist auf jeden Fall, wie jung seine Stimme klingt und wie differenziert er sie einsetzt. An die Spitze der Avantgarde wird er sich mit seinem neuen Album wohl nicht katapultieren. Aber dafür, dass er gegen die 70 zugeht, ein ganz schön abgefahrenes und wildes Album; absolut hörenswert.