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Egill Ólafsson
Angelus Novus



Darf man das? Solche Musik schreiben?

Da ist man über Jahre an die Oberfläche gewöhnt und das weichgespülte Ohr ist längst dem schnellen Konsum der Popmusik anheim gefallen – eingeworfen und verbraucht, mit industrieller Stimmung auf Knopfdruck.

Und dann bringt Egill Ólafsson eine Platte heraus, die er "Angelus Novus" nennt, und all die vertraute glitzernde Oberflächlichkeit ist dahin. Denn wie kaum eine zweite nimmt sie den Raum gefangen und entführt in eine Welt, weit ab von sicherem Terrain, in eine eigene autistische Dimension, zwischen Wachen und Schlaf, Traum und Alptraum, schützender Nacht und Tagesanbruch. Wie ein beklemmender Gedanke als Ursache, der einen frösteln macht und dennoch fasziniert. Spätestens mit dieser Platte nützt kein Hoffen auf den simplen Konsum, man verfällt der Wiederentdeckung, daß Kunst von Können kommt. "Angelus Novus" erinnert an die lockenden Seiten der Dunkelheit, melancholisch, manchmal bitter und schön zugleich, traurig und subtil. Die Platte schafft einen Blick in eine Welt, die verdrängt, aber nicht vergessen ist. Dabei lässt sich die dritte Soloplatte des isländischen Künstlers und Multitalents Egill Ólafsson in kein gängiges Schema pressen.

Der Titel der Platte geht auf ein Werk von Paul Klee zurück. Wie Klee als Maler und Graphiker aus einer Vielzahl malerischer Techniken schöpfte, um von der Gegenständlichkeit zu Traumassoziationen zu gelangen, manchmal ironisch, manchmal skurril, manchmal abstrakt, so schöpft auch Egill Ólafsson aus verschiedenen musikalischen Stilmitteln, die er in subtiler Differenzierung anwendet. Deutlich zu hören sind seine Wurzeln in der klassischen Komposition und der Theatermusik, erzählende und dramatische Momente bestimmen den Charakter der Platte. Egill verbindet geschickt Elemente des Musicals und der Klassik und verzichtet dankenswerterweise darauf, den inflationären Hip-Hop und Techno-Elementen Tribut zu zollen.

Textlich und musikalisch geht Egill Ólafsson seinen wohl bislang eigensinnigsten Weg. Subversiv sind Egils Werke, über einen Kamm scheren lassen sie sich nicht. So ist das Eröffnungslied "Angelus Novus" von fein gesponnener, fast zerbrechlicher Melodielinie, eine Grazilität, die sich auch im Text widerspiegelt. Als wäre man im Begriff, sich von etwas zu entfernen, unschlüssig, ob man bleiben, sehen, sein oder handeln möchte, letztendlich aber doch nur Schutz und Geborgenheit suchend. Der Blick ist in die Vergangenheit gerichtet, "...aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm." (W. Benjamin über Klees "Angelus Novus") "Þordís", ein Stück von ungewöhnlicher Dichte und atemberaubender Atmosphäre, ist auch ein schönes Beispiel für die Doppelbödigkeit in den Wortschöpfungen des Künstlers. Er spielt mit den Deutungsmöglichkeiten seiner Sprache und bewegt so geschickt zwischen den Ebenen. Je kraftvoller, je dynamischer er musikalisch wird, desto mehr zeigen sich plötzlich Risse im Text, indem er eine Reihe von Begebenheiten andeutet, so dass man von einer Ahnung eingeholt wird und ihr letztendlich erliegt. "Móðir" hingegen ist ein äußerst poetischer Blick nach Innen, eine Beschreibung einer Landschaft im Mikrokosmos der eigenen Wahrnehmung und des Seins.

Mit dem Stück "Undir rós", bei denen er Elemente des Samba verwendet, wird das Bild wieder etwas leichter, heller, und hat doch auch wieder eine Vieldeutigkeit innerhalb der Bildsprache und der musikalischen Linie, während "Kyrra líf" vor intelligent formulierter Bitterkeit nur so strotzt. "Satúrnus" hingegen, in dem sich Egill hauptsächlich dem wortlosen Gesang hingibt, ist ein gelungenes Beispiel für ein klangexperimentelleres Stück auf der Platte, prätentiös, von abstrakter Schlichtheit und doch graziler Anmut. In "Allt er í senn", einem Stück aus dem Musical "Come Dance with me" zeigt sich auch die Klasse seiner Begleitmusiker, die, ohne sich dabei in den Vordergrund zu spielen, ihr Potential voll ausschöpfen, allen voran der Ausnahme-Gitarrist Guðmundur Pétursson, der wohl zu den besten Blues-Gitarristen der Welt gehört.

Ihre musikalische Dynamik und Energie verdankt diese Platte vor allem der großartigen und profunden Stimme Egils, die das emotionale Gehalt der Szenen trägt, und die mit ihrer Prägnanz und Dramatik eine packende, beeindruckende und äußerst seltene Atmosphäre schafft, ohne dabei ins Pathetische abzugleiten. Von betörender Sonorität, bewegt er sich in tiefen und hohen Lagen unglaublich sicher, und doch bleibt hinter den großen melodischen Linien stets eine hintergründige Nuance. Keine Spur also von musikalischer Spurensuche. "Angelus Novus" ist ein Statement, ein höchst persönliches Werk, eine Momentaufnahme in eine in sich geschlossene Welt, vielleicht in einen Abgrund, den man mit sich im Herzen trägt. Musik zwischen Wachen und Schlaf, zwischen Nacht und Tagesanbruch, auf seine Art widerspenstig und schön, von eigentümlichem Licht und melancholischer Dunkelheit.

Anschmiegsam und abgründig, blendend und intim, vorzüglich eingespielt, von strenger Schreibweise, unerhörter Dichte und grenzenloser Expressivität in den Details. Das Album - trotz melancholischer Töne - ist ein Feuerwerk, eine Mischung aus musikalischer Erzählkunst und Easy Listening, das einem die Sprache verschlägt.
Ein wahrhaft fulminantes Werk!





Von Claudia Koestler








Egill Ólafsson: "Angelus Novus"


Label: Skifan
©2001 Skifan
CD: S CD 226
Skifan.com
rel.date: 05.03.2001

Komponist: Egill Ólafsson




Track Listing:

1. Angelus novus
2. Lánið
3. Móðir
4. Þórdís
5. Þú mátt vera
6. Sub rosa
7. Kyrra líf
8. Allt er í senn
9. Ekki um...
10. Það ég veit
11. Satúrnus



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