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Ragga and the Human Body Orchestra



Ruhe in Frieden

Auch Klangkörper sind sterblich, doch die Ideen leben weiter


Von Claudia J. Koestler

Unterhält man sich mit Musikern oder Produzenten, hört man nach einiger Zeit stets die Vision einer Platte, bei der sämtliche Beats und Klänge lediglich mit dem Körper produziert werden. In den letzten zwei Jahren war das just jener Moment, in dem ich lächelnd und mit nonchalanter Geste meinen Plattenschrank öffnete, denn jene Idee hatte bereits vor Jahren das kongeniale Musikerpaar JFM (Jakob Frímann Magnússon) und Ragga (Gísladóttir) mit dem Album "Human Body Orchestra - High North" realisiert - und zwar dermaßen gekonnt und beeindruckend, dass einem schlicht der Atmen stockte. Die beneidenswert innovative Mischung aus Gesängen, Klängen und Rhythmen, die lediglich durch das Trommeln auf verschiedene Körperteile und das Arbeiten mit Stimme und Kehlkopf produziert wurden, war so hervorragend eingespielt und arrangiert, dass nicht nur eigenständiger, kreativer Sound, sondern eine packende Atmosphäre entstand. Die haarscharfe Präzision und die ureigene Dynamik des Albums schaffte einen eigensinnigen Mikrokosmos, der mit Elementen traditioneller Gesänge und modernen Beats spielte. Zusammen mit den ironischen Texten, teilweise in englisch, teilsweise isländisch und in einer eigenen, lautmalerischen Sprache namens "ragísch", erzeugte sie eine beklemmende Grundstimmung, raumfüllend und betörend zugleich. Und dennoch boten tracks wie "Ghost Story", "Winter Solstice" oder "Freedom" weniger Tristesse als eine entschlossene, doppelbödige Melancholie, die unter die Haut ging - starke Songs, die niemals in platte gothic-Klagelieder abrutschten. Geradezu spielerisch gelang so der Drahtseilakt zwischen musikalischer Brutalität und melancholischer Intensität. Die Griffigkeit der simplen, bezaubernden Melodielinien ließen ihre brachialen Ursprünge stets spürbar.

Ragga verfügt über eine der wohl außergewöhnlichsten Stimmen der Musikwelt, von phänomenaler Klangbreite und Vielfältigkeit. Mal schleicht sie sich ins Ohr, zart und zerbrechlich, kriecht einem wie ein eiskalter Hauch das Rückenmark entlang, um im nächsten Moment ins andere Extrem zu verfallen, nahe an einer Nina Hagen oder Kate Bush, dennoch von hypnotischer Kraft und sphärischer Persönlichkeit.

Das "Human Body-Slamming Orchestra" Projekt entstand vor einigen Jahren in London als Performance-Projekt für ein isländisches Festival, auf dem Ragga und Jakob mit einem weiteren "Körpertrommler" auftraten und begeisterte Kritiken einheimsten - sieht man davon ab, dass verwunderte Journalisten das Körperschlagen als isländische Tradition missverstanden. Auf der Platte, die in Island 1999 erschien, wurden sie von so hochkarätigen Musikern wie Eypór Gunnarsson, Egill Ólafsson , Simon Whittaker und Mark Davies unterstüzt (letztere hatten zusammen mit Ragga und Jakob bereits das Album "Ragga and the JackmagicOrchestra" 1997 veröffentlicht). "High North", dessen Texte teilweise aus der Feder des isländischen Dichters Sjón stammen, bestach durch eigenwilligen Soundcollagen und war dennoch grandioser Pop zugleich.

Und nun das! Der Schock bricht mir fast die Nase, so heftig ist der Schlag ins Gesicht. Natürlich geht alles irgendwann den Weg allen Organischen. Die Frage ist lediglich nach dem Wie. "Ragga and the Human Body Orchestra", wie die Platte nun für den skandinavischen und den deutschen Markt heißt, wurde komplett neu abgemischt und mit herkömmlichen Beats aus dem Computer unterlegt. Aus den vormals tragikomischen, sphärischen Elementen ist plötzlich ein routiniertes, nahezu beliebiges Album geworden, dessen einzigartiges und innovative Konzept dreist abgemurkst wurde. Einem fulminaten Album, das durch den perkussiven Einsatz des Körpers lebte, wurde in den Kopf geschossen und auf der Beerdigung tanzen nun die Distributoren.

Dass man dem vormals erruptiven Klang der Extraklasse nicht zutraut, sich auf dem europäischen Markt tragen zu können, ist traurig, zumal dadurch dem lauten Verlangen der Branche nach Innovation völlig widersprochen wird. Offensichtlich ist man nicht in der Lage, gerade zu steuern, wenn man stets bang auf die trockenen Schäfchen schielt. Ein Ausverkauf, wäre da nicht noch immer die außergewöhnlich Stimme Raggas, die so grandios ist, dass sie das Album noch immer trägt. Noch immer, denn das Charisma des Albums ist schlichtweg nicht totzukriegen, was ein Beweis für die Klasse des ursprünglichen Materials ist. Vielleicht hat diese Variante also auch eine gute Seite, wer weiss. Wie ein sehnsuchtsvoller Abend voller Andeutungen und Möglichkeiten, ein lockendes Zusammenspiel, bei dem man ersehnt und dennoch nicht bekommt. Noch nicht.



Cover

Deutschland:
Ragga and the Human Body Orchestra

©2001 Musoneworl
EAN: 4032877020092



Track Listing:

1. Polestar
2. Delta
3. Ghost Story (Remix Radio Edit)
4. Stonecross
5. Winter Solstice
6. Circling Of The Square
7. Wheel of Time
8. Freedom
9. Primevall Hill
10. Ghost story (Original Mix)
11. Island - Land of Isis
12. Ghost Story (video)



Da capo al Fine

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