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Musikfestspiele
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Osterfestspiele 2019

Interview mit Victoria Bond,
der Komponistin der Oper Clara

 

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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)

"Musik ist etwas Heiliges für mich" 

Von Christoph Wurzel (Interview und Fotos)

OMM: Zuerst herzlichen Glückwunsch zu dem großen Erfolg Ihrer Oper Clara hier bei den Osterfestspielen. Wie haben Sie die Aufführungen erlebt?

Victoria Bond: Ich bin sehr beeindruckt von dem Talent, der sozialen Kompetenz und der Hingabe der Sängerinnen und Sänger, der Instrumentalisten, des Dirigenten und des ganzen Teams. Sie haben meine Oper wirklich zum Leben erweckt und mit ihrem jugendlichen Elan erfüllt. Die Sängerinnen und Sänger besitzen nicht nur eine brillante Musikalität, sie sind auch hervorragende Darsteller und machen die Handlung und die Charaktere des Dramas sehr real. Ich fühle mich gleichsam mit einem Dirigenten gesegnet, der meine Musik enorm geschickt und mit großem Verständnis gestaltet und das Orchester zu einer stimmigen Einheit zusammenfügt. Alles in allem bin ich dankbar, dass Clara hier so erfolgreich aufgenommen wurde. Die enthusiastische Resonanz des Publikums bestätigt mir das. Meine große Hoffnung wäre es, wenn Clara in Deutschland noch häufiger aufgeführt würde.
 
OMM: Wie sind Sie auf Clara Schumann als Thema einer Oper gekommen und was verbindet Sie mit ihr?

Victoria Bond: Clara Schumann begleitet mein Leben von Anfang an. Meine Mutter Jane Courtland war Pianistin. Zuerst war mein Großvater ihr erster musikalischer Lehrer, wie eben der Vater von Clara  auch. Aber dann gibt es eine direkte Linie zu Clara Schumann über den Lehrer meiner Mutter Carl Friedberg, einen  deutschen Pianisten und Musikpädagogen, der selbst ein Schüler Clara Schumanns am Hochschen Konservatorium in Frankfurt gewesen war. So ist meine Mutter also eine Enkelschülerin von Clara Schumann gewesen. Sie hat später in Ungarn auch bei bei Béla Bartók und Zoltán Kodály studiert. Es ist auch das Repertoire, das mich mit Clara verbindet, die romantischen Komponisten, natürlich Robert Schumann, Brahms, Mendelssohn, auch Liszt. Meine Mutter bevorzugte auch diese Werke, sie gewann in Budapest  den Liszt-Wettbewerb und wurde eine berühmte Pianistin.
Als ich zum ersten Mal im Brahmshaus war und im Studio längere Zeit arbeiten durfte, stieß ich auf die Biografie von Nancy Reich über Clara Schumann und war total überrascht, wie eng die Geschichte meiner Mutter doch mit Clara zusammenhängt. Von da an ließ mich Clara nicht mehr los. Ich musste einfach eine Oper über sie schreiben. Über mehrere Jahre hinweg ist die ganze Oper hier in Baden-Baden entstanden. Zeitweise kam auch meine Librettistin Barbara Zinn Krieger dazu. Ich habe hier auch Variationen über ein Thema von Johannes Brahms geschrieben, ein Werk für Orchester, in dem sogar die Glocken der Lichtentaler Kirche vorkommen, die zur Trauung von Claras Tochter Julie geläutet haben, bei der Brahms Trauzeuge war.

Bild zum VergrößernSo etwas wie eine Hausgöttin: Victoria Bond und die Büste von Clara Schumann im Brahmshaus Baden-Baden

OMM: In Ihren Kompositionen ist eine große Formen- und Stilvielfalt zu beobachten. Wie würden Sie Ihren Kompositionsstil beschreiben?
 
Victoria Bond: Natürlich habe ich eine eigene musikalische Sprache, aber bei Clara speziell habe ich auch deren Musik und Motive aus Roberts und Johannes Brahms' Werken ebenso einbezogen, sie sozusagen verinnerlicht.
 
OMM: Ihre Instrumentation ist eigentlich sehr sparsam. In Clara ist es ein Kammerensemble von zwölf solistisch besetzten Instrumenten, die natürlich hauptsächlich im Zusammenspiel erklingen, aber auch solistisch markante, oft sehr kurze Akzente setzen. Dadurch wird der Klang sehr farbig und lebendig.
 
Victoria Bond: Ja, ich liebe eine breite Klangpalette in meinen Werken. Ich bevorzuge es auch, die Singstimme nicht durch die Instrumente zu verdoppeln, sondern die Stimme sich frei entfalten zu lassen. Ich habe ja früher selbst auch gesungen, mein Fach waren die  -ina-Rollen, also Norina, Pamina usw., daher komponiere ich am liebsten so, wie ich es auch gern singen würde. Das volle Orchester gebrauche ich an den besonders dramatischen Stellen, wenn es sehr emotional wird. Ich habe diese Technik bei Verdi gelernt, der die Singstimme oftmals mit wenigen, aber effektvollen Mitteln unterstützt. Ich bin eher eine lyrische Komponistin. Clara ist ja eine Partie voller Lyrik...
 
OMM: .. aber auch Dramatik. Mir kommt es vor, als hätten Sie an den Stellen, an denen Clara sich über ihre Gefühle klar werden möchte und ihre Gedanken zu ordnen versucht, so etwas wie einen musikalischen Gedankenstrom komponiert, also eher assoziativ. Sie haben ja auch Texte von James Joyce vertont. Hat Sie sein "stream of consciousness" beeinflusst?
 
Victoria Bond: O ja, das trifft es genau! Sie wissen vielleicht, dass Joyce auch ein großer Sänger war, seine Sprache ist sehr musikalisch. In Clara habe ich das auch probiert. Die Sprache ist poetisch und an den von Ihnen angesprochenen Stellen nicht so strukturiert, sondern eher ein freier Fluss der Gedanken - in den Worten wie eben auch in meiner Musik. Wichtig war es für mich auch, den Rhythmus der Sprache musikalisch umzusetzen.
 
OMM: Clara ist ja eine vornehmlich von jungen Musikerinnen und Musikern getragene Produktion. Sie haben aber auch explizit Bühnenwerke für Kinder und Jugendliche komponiert, so etwa eine Schuloper über das Chanukka-Fest. Wie wichtig ist Ihnen diese musikalische Arbeit mit jungen Menschen?
 
Victoria Bond: Das ist mir sehr wichtig. Mein neustes Projekt ist eine Familienoper über Gullivers Travels von Jonathan Swift. Der Stoff ist mit den Riesen und den kleinen Menschen für Kinder und Jugendliche interessant, aber auch für Erwachsene, denn er ist sehr politisch und gesellschaftskritisch. Das wird also eine Oper für die ganze Familie.
 
OMM: Damit sind wir bei Ihrer Oper Mrs. President, in der es nicht etwa um Hilary Clinton geht, sondern um Victoria Woodhull, die wir hier in Deutschland so gut wie gar nicht kennen.
 
Victoria Bond: Ja, sie ist auch in den USA kaum mehr bekannt. Sie kandidierte 1872 für das Präsidentenamt. Sie stammte aus armen Verhältnissen und hatte sich ihre Bildung selbst angeeignet. Natürlich wusste sie, dass sie niemals Präsidentin werden konnte, denn es gab ja noch kein Frauenwahlrecht, aber ihre Ziele waren die Gleichberechtigung von Mann und Frau  und auch der Schwarzen mit den Weißen. Sie hatte eine eigene Partei gegründet, die "Equal Rights Party" und hatte sich als  Vizepräsidenten den Afroamerikaner Frederic Douglas ausgesucht. Gewählt wurde damals Ulisses Grant, ein Bürgerkriegsgeneral. Und in der Oper geht es um den anderen Kandidaten, einen sehr konservativen Mann mit strengen Moralvorstellungen, der aber heimlich Affären mit anderen Frauen hatte. Victoria Woodhull wusste davon. Sie selbst war Anhängerin der "freien Liebe", also der weiblichen Selbstbestimmung und konfrontiert ihn im ersten Akt mit dem Vorwurf, dass er ja selbst ein "free lover" sei, es aber nicht zugebe. Davon lässt er sich überzeugen und umstimmen und beide kommen sich am Schluss näher.
 
OMM: Diese Art der Doppelmoral in der Sphäre der amerikanischen Politik kommt mir sehr aktuell vor.
 
Victoria Bond: O ja, (seufzt auf)... Aber das Thema ist ja immer aktuell... Victoria Woodhull wurde wegen ihrer Ansichten verfolgt. Den Wahlabend musste sie im Gefängnis verbringen. Frauen, die sich scheiden ließen, wurden wie Verbrecherinnen behandelt.

OMM: Das war bei uns nicht anders. Man denke nur an Effi Briest von Fontane.

Victoria Bond: Ja, diese Frauen waren nicht mehr Teil der Gesellschaft. Man nannte Victoria "Mrs. Satan".

Bild zum VergrößernVictoria Bond im Brahmshaus Baden-Baden

OMM: Als Sie Ihre Karriere als Dirigentin und Komponistin begannen, war es mit der Gleichberechtigung auch noch nicht so weit her. Frauen waren in diesen Berufen ja noch große Ausnahmen. Ich denke, Sie wollten Clara Schumann und Victoria Woodhull auch deswegen ein Denkmal setzen, weil sich beide gegen erhebliche Widerstände durchsetzen mussten.
 
Victoria Bond: Ja, aber es ist besser geworden als zu meiner Zeit. Frauen haben heute weit mehr Gelegenheit zu einer Karriere. Es gibt trotzdem noch zu wenige Frauen auf maßgeblichen Positionen.
 
OMM: Haben Frauen eine andere Art zu dirigieren als Männer oder auch beim Komponieren?
 
Victoria Bond: Ich denke, Frauen haben eine Sprache, die mehr darauf gerichtet ist, mit dem Orchester auf Augenhöhe zu sein. Früher fühlten sich die Dirigenten entweder als Vaterfiguren oder führten sich auf wie Diktatoren. Und ich denke, Frauen wollen meist kollegial sein. Wenn Frauen so auftreten wie Männer früher, werden sie von den Orchestern gehasst. Auch haben die Musikerinnen und Musiker heute mehr Macht sich zu wehren. Gegen so autoritäre Dirigenten wie etwa Toscanini hatten die Musiker damals keine Macht, das ist heute anders geworden.
Und beim Komponieren sind es vielleicht die Topics, die Themen und Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigen. Ich schreibe Opern, in denen die Frauen stark sind und sich durchsetzen. Nicht wie früher, als sie als Leidende oder Unterdrückte gezeigt wurden. Auch wenn Victoria Woodhull in Mrs. President am Schluss im Gefängnis sitzt, ist sie doch überzeugt für eine gerechte Sache gekämpft zu haben. Oder Clara Schumann ist davon überzeugt, durch ihre Musik stark zu sein. Ihre Kunst ist ihr etwas Heiliges und gibt ihr die Luft zum Atmen. Für mich ist Musik, Kunst überhaupt, auch etwas Heiliges.

OMM: Neben all dem bisher Genannten ist auch die Natur ein wichtiges Thema Ihrer Musik. Sie haben sogar ein Konzert über puerto-ricanische Frösche geschrieben.

Victoria Bond: Mein Mann liebt Frösche über alles. Wir haben um unser Haus herum lauter Frösche. Als ich vorhin in der Natur spazieren ging, hörte ich einen Vogel, dessen Melodie hätte ich am liebsten gleich aufgeschrieben. Tiere können sehr musikalisch sein. Zum Beispiel auch Wölfe. Ich habe eine sinfonische Dichtung über einen Wolf geschrieben Thinking like a Mountain. Darin geht es darum, dass die Wölfe den Bestand an Hirschen gering halten und damit das ökologische Gleichgewicht bewahren helfen. Sonst würden die Rehe und Hirsche die Pflanzen abfressen, der Boden würde eroieren und bald gäbe es keinen Wald mehr. Außerdem haben Wölfe schöne Stimmen, nicht wie Hunde (imitiert die Rufe und das Gebell). Und auch der Berg selbst hat ein interessantes Leben. Da gibt es die Millionen Jahre des Felsens, die Hunderte von Jahren der Bäume, die Monate der Pflanzen und vielleicht nur die Tage der Insekten. Das lässt sich musikalisch in verschiedenen Zeitebenen gestalten. Eine interessante Herausforderung.
 
OMM: Frau Bond, unter ihren Werken findet sich auch ein musikalischer Spaß, ein Sketch über einen Page Turner, also die Person, die beim Klavierspielen dem oder der Solistin die Noten umblättert. Wie ist es zu diesem Stück gekommen?
 
Victoria Bond: Das ist auf einer Konzertreise entstanden, als wir einmal auf einem Flughafen eine lange Wartezeit hatten. Wir suchten nach einem Stück, das sich als Zugabe eignet. Ich habe früher als Studentin auch die Noten umgeblättert, eine Aufgabe, die sehr viel Konzentration erfordert.  Und in dem kurzen Stück geht es darum, dass die Umblätterin behängt mit klappernden Armreifen und ungeschickt hohen Schuhen sich neben das Klavier setzt. Dann kommt der Pianist, der ziemlich angespannt aber auch ein wenig blasiert wirkt und beginnt zu spielen. Beide kommen sich aber immer wieder in die Quere. Und schon bald flüchtet der Pianist völlig entnervt vom Podium. Da setzt sich die Umblätterin ungerührt an den Flügel und spielt das Stück einfach selbst weiter. Humor gehört eben im Musikbetrieb auch dazu.

OMM: Frau Bond, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!

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Victoria Bond ist eine amerikanische
Komponistin, Dirigentin und Sängerin.
Sie studierte u. a. bei Ingolf Dahl
an der University of
Southern California Komposition
und bei Sixten Erling an der
Juilliard School Dirigieren.
In USA und Europa  leitete sie
mehrere Jugendsinfonieorchester.
Gastdirigate führten sie an den Pulten
namhafter Orchester durch die USA,
nach China und Brasilien.

Das umfangreiche Verzeichnis ihrer
Kompositionen umfasst alle Gattungen
von Kammermusik bis hin zu Werken
für großes Orchester. Victoria Bond
hat zehn Opern komponiert, darunter
drei über Themen aus Ulisse von
James Joyce, zwei Opern für
Kinder und Jugendliche,
sowie die Oper Mrs. President, auf die
in diesem Interview eingegangen wird.

Mehrere ihrer Werke sind auf CD vertreten.
Die jüngste Veröffentlichung bei NAXOS
Instruments of Revelation enthält
u.a. eine Vertonung nach James Joyce:
Leopold Bloom's Homecoming
(2011).

Victoria Bond war mehrmals Gast im
Kompositionsstudio der Brahmsgesellschaft
im Brahmshaus Baden-Baden/Lichtental
und komponierte hier ihre Oper Clara über
Clara Schumann, die am 14. April 2019
im Theater Baden-Baden anlässlich der
Osterfestspiele uraufgeführt wurde
(siehe unsere Rezension).


Der Text ist die Zusammenfassung eines
längeren Gesprächs, das auf Anregung
von Frau Blumeyer von der Brahmsgesellschaft
Baden-Baden zustande kam, der wir herzlich
für diese Gelegenheit danken.
Das Gespräch wurde auf Englisch und Deutsch
geführt und die Endfassung von Frau Bond
autorisiert.



Da capo al Fine

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