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Gerard Mortier:
Dramaturgie einer Leidenschaft


Theater als die Religion des Menschlichen

Von Joachim Lange

Gerard Mortier ist in diesem Jahr einer der Träger der Goethe-Medaille. Er erhielt sie posthum, denn er wurde im Frühjahr dieses Jahres durch eine heimtückische Krankheit mitten aus dem Leben gerissen. Dass es auf seinem letzten Posten als Opernchef in Madrid gerade gewaltig gekracht und man Mortier gefeuert hatte, ist das eine. Dass das kurz nach Bekanntwerden seiner Erkrankung erfolgte, das andere. Mit dieser Schmach wird man in Madrid leben müssen. Aber auch als 70jährigen hätte man sich den stets umtriebigen Flamen nicht als Ruheständler vorstellen können. Schon gar nicht als einen, der sich raushält.

Gerard Mortier wurde in Brüssel zum Star der Szene und in der Dekade nach Herbert von Karajan in den 90er-Jahren der Erneuerer der Salzburger Festspiele. Auch wenn es im Moment nicht so aussieht - hinter seine Impulse kann das Nobelfestival nicht wirklich zurück, wenn es ernst genommen werden will. Das Ruhrgebiet verdankt ihm die RuhrTriennale, die er so in die ererbte Industrie-Architektur eingepasst hat, dass sie auch bei seinem dritten Nachfolger noch so funktioniert und fasziniert, wie er sich das gedacht hat. Und wer, wenn nicht Mortier, hätte es an der Opera de Paris und zuletzt dem Teatro Real in Madrid mit den verkrusteten Strukturen aufnehmen können. Gelungen ist ihm da bei weitem nicht alles. Selbst der notorische Anwalt der Erneuerung hat sich wiederholt. Um sein Lieblingswerk der Moderne, den Saint François d'Assise von Olivier Messiaen, kam keiner herum, der sich auf Mortier als Chef eines Hauses oder Festspiels einließ.

So wie die Goethe Medaille, die Mortier zusammen mit Krystina Meissner und Robert Wilson in diesem Jahr erhielt, zu einer posthumen Ehrung wurde, ist das schmale, gerade mal 100 Seiten umfassende, aber lebendige und pfiffige Büchlein, das bei Bärenreiter und Metzler unter dem Titel "Gerard Mortier. Dramaturgie einer Leidenschaft. Für ein Theater als Religion des Menschlichen" erschienen ist, unversehens vom Diskussionsbeitrag zum künstlerischen Testament geworden. Ohne schwarzen Trauerrand und auch ohne den Anflug einer belehrenden Lebensweisheits-Attitüde. Es beginnt (auch) mit einem knappen historischen Abriss der Entwicklung der Oper von ihren italienischen Ursprüngen bis hin zu den Ungewissheiten ihrer Zukunft. Mit einem Blick auf alles, was dazu gehört: Von der Architektur der Räume, der Dramaturgie der Spielplangestaltung, dem Problem der sogenannten Werktreue und der Arbeit mit den Künstlern auf und hinter der Bühne. Das Faszinierende daran ist, das er seine pointierten und streitbaren Meinungen immer aus der Praxis schöpft und sich nie auf ein Wissen aus zweiter Hand ausweicht. Man ist gefangen von diesem Plädoyer für das Theater und fühlt sich bei der Lektüre an die immer launigen und pointierten Gespräche mit ihm erinnert, in denen es stets provozierende Meinungsäußerungen gab, die er nie vor der Veröffentlichung kontrollieren oder korrigieren wollte.

Dass die Oper für Mortier kein dekoratives Beiwerk oder ein Ort der Zerstreuung war, mag ebenso wenig überraschen, wie sein Eingeständnis, bei einer antiquiert überladenen Zeferelli-Inszenierung schon mal die Augen zu schließen. Ganz so, wie es manche seiner Kritiker bei Arbeiten von den Regisseuren machen, die er bevorzugt und gefördert hat. Über seine These, dass wir am Anfang des 21. Jahrhunderts eine Periode der Restauration miterleben, lässt sich trefflich streiten. Dass die Oper entschieden politisch ist und Spiegel der "condition humaine", das freilich streicht man gerne an. Und auch das, was er über die Bedeutung der Sänger und die Möglichkeiten für die Entfaltung ihrer Stimmen im theatralen Raum sagt, gehört dazu. Man sieht ihn förmlich kämpferisch und spitzbübisch lächeln, wenn er historisierende Regie als konzertante Oper in Kostümen bezeichnet. Für Mortier war Theater eine Religion des Menschlichen. Und er einer ihrer überzeugendsten Propheten. Das kann man jetzt nachlesen. (September 2014)



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Cover


Gerard Mortier
Dramaturgie einer Leidenschaft. Für ein Theater als Religion des Menschlichen.

126 Seiten
Bärenreiter-Verlag / Verlag J. B. Metzler 2014
ISBN: 978-3476025463
€ 29,95 [D]



Weitere Informationen unter:
www.metzlerverlag.de
www.baerenreiter.com




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