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Multimediale Verwirrungen zwischen CD-ROM und Papierblättchen


Von Stefan Schmöe (Dezember 2003)

Ein „unschlagbares Duo für Musikwissen“ kündigt der Brockhaus Verlag mit seinem neuen Band Brockhaus Musik an: Ergänzend zum farbigen, schön aufgemachten Lexikonband erhält man eine CD-ROM mit dem Lexikontext und vielen Musikbeispielen. So „außergewöhnlich“, wie man im Hause Brockhaus glauben machen möchte, ist diese Kombination natürlich nicht mehr, eher schließt der renommierte Verlag damit zu zeitgemäßem Standard auf. In der Tat macht es gerade bei einem Musiklexikon Sinn, passend zum Text die Musik auch hören zu können, was mit 450 Musikbeispielen möglich wird. So viel zur Theorie.

Probieren wir es einfach aus: Zum Stichwort „None“ erhält man den folgenden Text (der sich über die Zwischenablage per Mausklick speichern und in Textverarbeitungsprogramme – und diese Buchrezension – einfügen lässt):

[latein. »neunte«], das Intervall im Abstand von neun diatonischen Stufen, eine (große oder kleine) Sekunde über der Oktave. Der Nonakkord ist ein dissonanter Fünfklang aus Grundton, Terz, Quinte, Septime und None.

Auf Wunsch kann man sich jetzt, nacheinander vom Klavier gespielt, große, kleine, übermäßige und verminderte None vorspielen lassen - also vier Nonen, wo der Text doch bestenfalls auf zwei hindeutet. Nonakkorde gibt es gleich fünf an der Zahl zu hören - wie diese entstehen, muss man aber wohl einem anderen Nachschlagewerk entnehmen.

Eine Conga („eine etwa 70cm hohe und 30cm breite Standtrommel […]“) kann man nicht nur anhören, sondern auch ein Bild ansehen – in diversen Vergrößerungen, für die man allerdings zunächst sein Bildschirmlayout von Hand neu ordnen muss, denn leider erscheint das Bild nicht in einem Extrafenster. Zum Stichwort grafische Notation bekommt man leider weder Bild noch Ton, obwohl ein kleines Beispiel doch recht anschaulich wäre. Im Text wird man u.a. auf "Aleatorik" verwiesen, kann den Begriff leider nicht anklicken (das Stichwort existiert trotzdem). Gibt man "Pärt“ ein, wird man zu „Part“ („die für ein Instrument oder für den Gesang bestimmte Stimme (Partie) einer Komposition“) geführt, kann aber in der etwas wirren Fensterstruktur erkennen, dass der alphabetisch nächste Artikel dem estnischen Komponisten (dort mit Bild, aber ohne Ton) gewidmet ist. „Symphonie“ gibt man besser nicht ein, denn es heißt nach neuer Rechtschreibung „Sinfonie“ – die alte Schreibweise führt zum „Deutschen Symphonie-Orchester Berlin“ (ohne Tonbeispiel).

Um tatsächlich mal ein Musikstück zu hören, muss man länger suchen. Zum Stichwort „Winter" etwa erhält man Schuberts „Winterreise" (ohne Ton), nicht aber Vivaldis populäres Konzert (immerhin, unter „vier Jahreszeiten" darf man ein paar Sekunden des Sommer-Konzertes anhören). Sting, Michael Jackson, Madonna bleiben stumm, die No Angels finden gleich gar keine Erwähnung – auch bleibt gänzlich ratlos, wer erfahren will, was eine „Boygroup" sein mag. Nicht einmal die Beatles oder ABBA dürfen singen – da drängt sich allmählich das Urteil auf, dass dieses Produkt aus dem Hause Brockhaus, vorsichtig gesagt, so unschlagbar dann doch nicht ist.

Vergebens nach einer CD-ROM sucht man im Band „Der Brockhaus Oper“ – unverständlich, denn die vielen Notenbeispiele legen nahe, auch einmal ein paar Takte anzuhören, und Querverweise etwa zwischen Regisseuren oder Dirigenten und den Werken hätten durchaus Sinn. Stattdessen legt der Verlag sogenannte „OpernCards“ bei: Einen Satz von Faltblättchen, die im Stile bewährter Opernführer jeweils ein Werk abhandeln – mit ausführlicher Inhaltsangabe und ein paar Kommentaren. Das soll den Vorteil haben, dass man (auch) in der Straßenbahn auf dem Weg zum Theater oder im Zuschauerraum noch einmal nachlesen kann, was einen erwartet. Ob das ein Gewinn ist, mag jeder selbst beurteilen; schwer dagegen wiegt der dürftige Stil der Texte. Die oft detailgetreue Nacherzählung ist für eine schnelle Information oft ungeeignet (zumal mitunter entscheidende Details übergangen werden, was die Inhaltsangabe dann vollends unverständlich macht). Hinweise auf die schönsten Arien (am Ende der Karte - und nicht, was sinnvoller wäre, an der entsprechenden Stelle in der Inhaltsangabe) grenzen ans Absurde, wenn sie in der Originalsprache der Oper aufgelistet werden – damit wird der Laie, an den sich diese Information ganz offensichtlich richtet, nichts anfangen können. Neben dem altbackenen Stil stören auch manche Ungenauigkeiten (von Boris Godunow wird die – inzwischen kaum noch gespielte - Bearbeitung von Rimsky-Korsakoff als „gültige“ Fassung angegeben, ohne auf die inhaltlich stark abweichenden anderen Fassungen einzugehen), Fehler (die Länge der gerade einmal einstündigen Cavalleria rusticana wird mit 2 Stunden und 15 Minuten angegeben), oberflächliche Kommentare (Madama Butterfly wird pauschal als „sentimental“ klassifiziert, Mozarts Opern als harmlose Komödien dargestellt) oder nichts sagende Bemerkungen (bar jeden sinnvollen Informationswertes ist der Kommentar zu Die Krönung der Poppea). Benötigt man einen praktikablen Opernführer, so ist man etwa bei Harenberg (der Verlag wurde jüngst von Brockhaus übernommen) ungleich besser bedient.

Im Buchteil findet man zu vielen Opern – nicht nur den auf den OperaCards dargestellten – noch einmal Kurzinformationen nach dem gleichen Strickmuster, nur knapper gehalten. Dazu gibt es Stichwörter zu Sängern, Dirigenten, Regisseuren, die Anfänge vieler Arien und einige wenige Fachbegriffe – im knappen Lexikonformat, also nicht mehr als Kurzinformationen. Oft gibt es zu einem Stichwort einen oder mehrere Informationskästen – allerdings unstrukturiert über die Doppelseite verteilt. Buntes Layout hat ganz offensichtlich den Vorrang vor Übersichtlichkeit. In den Kästen wird gerne Anekdotisches erzählt, und etliche Informationen treten doppelt (direkt unter dem Stichwort und zusätzlich im Info-Kasten) auf – was angesichts der inhaltlichen Knappheit wenig Sinn macht. Banal sind die Übersichtsartikel zu einzelnen Epochen der Operngeschichte, lesenswerter die doppelseitigen, feuilletonistisch gehaltenen Texte zu bestimmten Themen wie "Diven und Primadonnen". Am ehesten ist der nett bebilderte Band zum ziellosen Blättern geeignet – da wird man hier und da hübsche Dinge finden. Als Informationsquelle dient er bestenfalls für Kurzantworten im Stile der gängigen Fernsehquizshows.


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Cover
Der Brockhaus Musik mit CD-ROM
1. Auflage
Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG
Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2003
896 Seiten. Gebunden. Format 17 x 24 cm.
€ 69,95 [D] / 72,- [A]; 113,- sFr.
ISBN: 3-7653-0364-X


Cover
Der Brockhaus Oper mit OpernCards
1. Auflage
Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG
Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2003
896 Seiten. Gebunden. Format 17 x 24 cm.
€ 49,95 [D] / 51,40 [A]; 81,50 sFr.
ISBN: 3-7653-2371-3



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