Auf der Suche nach dem authentischen Leonard Cohen

Christof Graf ist Fan von Leonard Cohen – sicher einer der größten überhaupt. Er hat unzählige Konzerte Cohens im In- und Ausland besucht, den Sänger immer wieder backstage erlebt, Tourneen begleitet und fotografiert, und er betreibt die Fan-Site www.leonardcohen.de. Graf ist sicher einer der bestinformiertesten Anhänger Cohens überhaupt. Mit dem vorliegenden Band Titan der Worte hat er sein inzwischen sechstes Buch über Cohen verfasst, zeitnah zur anstehenden Tournee des inzwischen fast 76jährigen Sängers. Grundlage sind fast immer Äußerungen in Interviews, sowohl die etlichen von Graf selbst geführten als auch solche in verschiedensten internationalen Zeitschriften oder in Dokumentarfilmen über Cohen. Meistens kommt der Sänger und Dichter ungefiltert zu Wort; mit vorschnellen Interpretationen hält sich Graf angenehm zurück.

Erklärtes Ziel des Buches ist es, „ein authentisches Bild des 'Idols'“ entstehen zu lassen – wie aber grenzt man den 'authentischen' Cohen vom 'Idol' ab? Eine scharfe Trennlinie findet man in Grafs Darstellung nicht, und ebenso wenig eine kritische Abhandlung. Graf – von der eigentlichen Profession Hochschullehrer für Marketing – nähert sich seinem Gegenstand nicht musik- oder literaturwissenschaftlich, sondern journalistisch. Das tut er zweifellos ungeheuer kenntnisreich. Man erfährt viel über die diversen Tourneen (meist mit Übersicht über die dargebotenen Songs, teilweise mit Hinweis auf in einzelnen Konzerten zusätzlich gesungenen Strophen oder Textabweichungen gegenüber den LP-Fassungen), natürlich über alle Aufnahmen (auch über sogenannte „Bootlegs“, das sind inoffizielle Raub-Mittschnitte), Produzenten und Bandbesetzungen. Die Vielzahl der Namen (meist ohne weitere Informationen) macht die Lektüre allerdings auch mitunter zäh. Sehr aufschlussreich sind dagegen Darstellungen zur Entstehung verschiedener Songs und dem biografischen Hintergrund. Das Privatleben Cohens wird insgesamt aber eher knapp angerissen – da bleibt Graf ein von Cohen offensichtlich geschätzter Journalist, aber kein Cohen-Vertrauter.

Graf sieht in Cohen den Dichter und den Musiker gleichberechtigt und würdigt entsprechend das literarische Werk (schön wäre es, wenn bei Textbeispielen englische Originalfassung und Übersetzung nebeneinander stehen würden – hier findet man man mal die eine, mal die andere). Graf verweist auf den Einfluss Garcia Lorcas auf Cohens Texte, leider ohne konkrete Belege. Unklar bleibt Cohens literarische Rolle in der zeitgenössischen amerikanischen Dichtung. Hier wird die Schwachstelle des Buches sichtbar: Eine systematischen Analyse einzelner Aspekte findet man bestenfalls in Ansätzen. Hier bräuchte Graf dann doch mehr Willen – und Mut – zur übergreifenden Interpretation. So bleibt das mit rund 400 Seiten sehr umfangreiche, mitunter wegen der Häufung von Namen und Details aber auch etwas zäh zu lesende Buch eine Huldigung an Cohen.

Erwähnenswert sind die oft hervorragenden Fotos, viele davon von Graf selbst aufgenommen. Etwas rätselhaft ist der unvollständige Anhang: Hilfreich ist die Auflistung aller Alben und Songs, dagegen fehlen etwa eine Liste von anderen Künstlern, die Songs Cohens interpretiert haben (obwohl Graf im Text darauf verweist, da ist von einem – nicht vorhandenen – Anhang II die Rede), sowie ein Überblick über die Filme, die Cohens Musik verwenden oder sich direkt mit Cohen befassen.

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