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I got rhythm - Kunst und Jazz seit 1920
Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart

...und an der Hüfte Bananen


Von Dr. Joachim Lange / Fotos:



Die Arbeitsteilung zwischen den Künsten ist eigentlich klar: Bilder sind zum Betrachten da. Musik ist zum Anhören da. Das Kunstmuseum Stuttgart liefert im Moment die Ausnahme von der Regel. In einer groß angelegten Ausstellung über drei Etagen des gläsernen Würfels in der Mitte der Königsstraße werden Bilder hörbar und Musik sichtbar gemacht. „I got rhythm - Kunst und Jazz seit 1920“ heißt die Schau in modischer Melange aus Englisch und Deutsch. Wobei das in diesem speziellen Fall der Sache nach sogar gerechtfertigt ist. Kommt doch der Jazz aus den USA und eroberte von dort aus in den zwanziger Jahren auch Europa, wo sich viele der bildenden Künstler davon inspirieren ließen und ihn auf die eine oder andere Weise aufgriffen.

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Lotte B. Prechner, Jazztänzerin, 1929

Den Titel I got rhythm haben die Ausstellungsmacher von George Gershwin bzw. Louis Armstrong geborgt. Und der wird als Begleitmusik zum Bild "Study: History Of Jazz" des afroamerikanischen Malers Ernie Barnes (1938-2009) über Kopfhörer dazu geliefert. Das ist überhaupt das Prinzip dieser Ausstellung für Augen und Ohren. Nimmt man beides zusammen, so hat man die einmalige Chance, nicht weniger als eine Reise durch die Geschichte des Jazz mitzumachen.

Zunächst aber staunt man darüber, wie viele Maler sich ganz direkt auf den Jazz als Thema eingelassen haben. Wer das Stuttgarter Museum öfter besucht, weiß, dass man für dieses Thema die besten Voraussetzungen hat. Das Großstadt- Triptychon des Jazz-Fans Otto Dix ist, wenn man so will, eines der zentralen Jazz-Bilder aus den zwanziger Jahren überhaupt.

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Ernie Barnes, Late Night DJ, 1980

Der Jazz gilt als die Begleitmusik einer großen Beschleunigung und Befreiung der Körper. Wofür natürlich Josephine Baker (1906-1975) steht, der ein großer, eigener Raum zum Auftakt der Ausstellung gewidmet ist und deren gezeigte Filmaufnahmen auch heute noch als Ausbund von Temperament und Revolte wirken. Wie schon Shimmy, Foxtrott, Ragtime oder Cakewalk in der Zeit des ersten Weltkrieges über den großen Teich nach Europa geschwappt waren, so folgte ihnen wenig später auch der Jazz. Und Maler wir George Grosz begrüßten ihm mit geöffneten Armen und gezücktem Pinsel. Die beiden Jahrzehnte von 1920 bis 1940 lassen sich von der Malerseite spielend mit Henri Matisse oder Ernst Ludwig Kirchner, mit Otto Dix und Jean Dubufett oder mit Francis Picabia und Carry Hauser belegen. In den Jahren vom Kriegsende bis 1960 stehen dann etwa Josef Albers oder der Protagonist des Action Painting Jackson Pollock oder auch Andy Warhol. Im letzten Teil im dritten Obergeschoss stehen dann für die Verschränkung zum Jazz vor allem Maler wie Albert Oehlen oder A. R. Penck, der nach seinem Wechsel in den Westen Deutschlands in den 1980er Jahren auch selbst als Schlagzeuger in der Gruppe Gruppe Triple Trip Touch (aka T.T.T. bzw. TTT) auftrat.

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A.R. Penck, N-Komplex, 1976 (Foto: Jörg von Bruchhausen © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Kein Wunder, dass diese Musik, wie alles, was nach radikaler Moderne mit einem Schuss Anarchie aussah, ins Visier der Nazis geriet und als jüdisch und entartet diffamiert und verbannt wurde. Nach dem Krieg hat es der Schutzumschlag einer Propagandaschrift der Nazis zur „entarteten Musik“ als Zitat sogar auf Opernplakate (für Kreneks Jazz Oper „Johnny spielt auf“) gebracht. Da spielt ein Afroamerikaner mit deutlich negroiden Zügen und Judenstern am Revers Saxophon. Dicker kann man das Klischee kaum auftragen - und sich selbst entlarven lassen. (Siehe im Katalog S. 133: Hans Servers Ziegler: Entartete Musik - Eine Abrechnung, 1939)

Sonst ist die Wechselwirkung von Kunst und Jazz freilich nicht so überschattet. Sie ist ziemlich anschaulich und direkt, wenn Ernie Barnes eine ganze Serie von Plattencovern mit Jazz-Aufnahmen gestaltet. Indirekter, wenn Musiker in ihren Titeln auf Maler Bezug nehmen. Oder Maler beim Malen bestimmte Jazztitel gehört haben…

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Paul Colin, Le tumulte noir, 1929

Dass eine Musik, die auf Experiment und Improvisation setzt, einen besonderen Draht zu den Abstrakten hat, versteht sich fast von selbst. Dabei gehörten aber auch Berliner wie George Grosz, Otto Dix und Max Beckmann mit ihrer Vorliebe für die urbane Halbwelt zu den frühen Fans dieses Imports aus den USA.

Wenn Beobachter vor Ort davon sprechen, dass diese ungewöhnliche Ausstellung, zu der es selbstverständlich einen gut gemachten umfassenden Katalog gibt, die ambitionierteste und ungewöhnlichste Schau in der zehnjährigen Geschichte des Hauses sei, dann kann man dem wohl getrost zustimmen. Man kann viel Zeit dort verbringen und es lohnt sich auf jeden Fall.




(November 2015)



I got rhythm -
Kunst und Jazz seit 1920


bis 6. März 2016 im
Kunstmuseum Stuttgart

Der umfangreichen Katalog zur Ausstellung wurde von Ulrike Groos, Sven Beckstette und Markus Müller herausgegeben.

Verfasst in Deutsch und Englisch
288 Seiten,
190 Farbabbildungen
Prestel Verlag
ISBN 978-3-7913-5497-2
Museumspreis: 35,00 €



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