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Rauschzeit
Die Geister, die ich rief: Über den Pianisten Arcadi Volodos

Von Oliver Kautny, Wuppertal
November 2000



Kaum ist der olympische Goldrausch vergangen, schon sehen wir neuen Superlativen entgegen. Sie sind allerdings nicht sportlicher, sondern musikalischer Natur. Der junge Pianist Arcadi Volodos macht wieder von sich Reden und versetzt durch spektakuläre CD-Aufnahmen und Konzerte die Fachwelt ins Staunen.

Rekordverdächtige Höhenflüge im Konzertsaal haben Tradition. Franz Liszt verkörperte bereits vor anderthalb Jahrhunderten das Ideal des virtuosen Hexenmeisters, des meisterhaften "Dämonen" am Klavier, wie Schumann 1840 zu berichten wusste. Teufelsgeiger und Tastenlöwen sind seither gefragt, musikalische Zauberkünstler, die uns aus den tristen Niederungen in erhabenere Regionen heben. Ihr vermeintliches Genie ist es, das uns auf unserer Suche nach Verzauberung berauscht und unser Bedürfnis nach Erlebnis befriedigt.

Der 28jährige Russe Arcadi Volodos soll dieses romantische Erbe antreten. So verwundert es kaum, dass das Beiheft seiner neuesten CD ihn umgehend in die Virtuosentradition eines Paganinis, Rachmaninows oder Horowitz' stellt. Kann Volodos diesem Anspruch genügen? Seine jüngsten Einspielungen beweisen einzigartige pianistische Begabung, jedoch auch musikalische Defizite. Zweifellos ist Volodos in Rachmaninows 3. Klavierkonzert technisch meisterhaft, brillant. Eine Darbietung, der es nicht an Esprit, jedoch an interpretatorischer Tiefe mangelt. Denn Volodos verliert sich immer wieder im Mikrokosmos der ausladenden musikalischen Narration. Durch Liebe zum Detail gerät Rachmaninows Erzählfluss zu rhapsodisch, weshalb keine rechte Spannung aufkommen will. Schon bei der Präsentation des 1. Themas im Kopfsatz zeigen sich die Mängel: Volodos findet keine Linie, weil die dynamischen Bögen zu steil angelegt sind. Ganz anders die viel ökonomischere und expressivere Lösung bei Horowitz. Schlicht und geradlinig findet der musikalische Gedanke hier zu seinem Ziel (Aufnahme von 1951, RCA Victor GD 87754). Volodos gerät hingegen das Telos des Gesamtplans aus dem Blick, sein Spiel verliert sich immer wieder in punktueller Betrachtung. Über die gesamte Dauer des Konzerts gelingt ihm deshalb auch keine Synthese lyrischer und technisch avancierter Passagen. Exzentrische und oft übertriebene Akzente verlieren ihren Sinn, so dass Volodos' Virtuosität zum "musikneutralen Leistungssport" (Joachim Kaiser) zu degenerieren droht. Das können die der Konzertaufnahme zur Seite gestellten, meist lyrischen, gesanglichen Stücke Rachmaninows kaum aufwiegen. Auch wenn dem Pianisten spannungsvolle Kleinformen besser liegen: "Vernunft, Herz und technische Mittel" (Horowitz) scheinen in ihm noch nicht zur Einheit gereift.

Diesen Eindruck gewinnt man auch im Konzertsaal. Volodos ist derzeit auf Tournee und erfüllt in unseren Augen das romantische Klischee nach allen Regeln. Weltentrückt betritt er den Saal, ohne von den vollbesetzten Rängen Notiz zu nehmen. Volodos ist ganz für sich, spielt sich in Trance. Volodos leidet entrückt, verzückt. Blick gen Himmel. Volodos ringt dem Äther Töne ab. Und "da klangen alle Sterne und dröhnten einen hellstrahlenden himmlischen Ton durch die Lüfte, bis der Genius sich in das unendliche Firmanent verlor". Mit Volodos kehrt heute Wackenroders romantischer Musikpriester zurück, der uns säkularisiertem Bürgertum Erlösung bringt. Erlösung auf Zeit.

Schumanns Kreisleriana sind in seinen Händen wie eine Skulptur aus Wachs, deren melodische Linien nicht enden wollen. Die kantablen Vorzüge in Volodos' Klaviervortrag - der Pianist ist zugleich ausgebildeter Sänger - zeigen sich hier wie nirgends sonst. In Schumanns unendlichem Gesang klaffen plötzlich Lücken, die Volodos herrlich plastisch macht. Seinen ‚David' vollendet er nicht. Volodos läßt bedeutungsvolle Leerstellen und fügt dem durch sonoren Bass einen schönen Sockel hinzu. Warum dieser feine Torso letztlich aber dennoch in sich zusammenbricht? Weil er nicht solide konzipiert ist: Der Teufel steckt auch hier im Detail. Der Pianist moduliert hier und dort ein bisschen, mit feiner Technik und viel Gefühl, aber wenig Konzept. Eben doch kein Michelangelo. Volodos jagt die Finger über die Tastatur, dehnt die beschaulichen Momente ins Unermessliche. Und keiner weiß, wohin die Reise geht.

Besser ist sein Schubert: Das differenzierte, minuziöse Spiel des russischen Pianisten will zur frühen unvollendeten Sonate in E-Dur schon eher passen. Sein Non-Legato ist bezaubernd. Seine Pizzicati im piano zeichnen eine pointillistische Landschaft. Und trotz allem endet Volodos' Konzert im Finale einer virtuosen Show. Mit Horowitz' Carmenfantasie zaubert er endlich. Allerdings weniger in musikalischer, denn in sportlicher Hinsicht. Und die verhexte Menge tobt im Geschwindigkeitsrausch. Vertrackte Zwickmühle, lieber Volodos. Die romantischen Geister, die du riefst, wirst du nicht wieder los. Wir werden dich fortan nicht in Frieden lassen, ehe du uns nicht verzaubert hast.


Neuerscheinung auf CD




Sergei Rachmaninow
3. Klavierkonzert op.30 d-Moll
Werke für Klavier solo

Arcadi Volodos, Klavier
Berliner Philharmoniker
Leitung: James Levine

Zu unserer Rezension



Da capo al Fine

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