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Deutsches Historisches Museum Berlin, 8.4.- 8.9.2022
Ausstellung "Richard Wagner und das deutsche Gefühl"



Das Unterbewusstsein der Moderne

Von Johannes Vesper

2022 widmet sich das Deutsche Historische Museum zwei deutschen Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts: Karl Marx (1818-83) und Richard Wagner (1813-83). Beide haben enorme Wirkung auf das 19., das 20. und anhaltend auch auf das 21. Jahrhundert entfaltet. Und beide wurden von politisch entgegengesetzten Lagern zu Ikonen erhoben und verehrt. Marx von den Linken, Richard Wagner von den Rechten Bis auf wenige Jahre haben sie die gleiche Welt erlebt, die gleichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüche beobachtet. Beide waren sie Revolutionäre, Marx als aktiver Denker, Philosoph und politischer Journalist. Richard Wagner entfaltete ungeheure Wirkung als Komponist und Schriftsteller, revolutionierte die Musik und das Musiktheater. Seit dem 08. April ist im DHM die Ausstellung "Richard Wagner und das deutsche Gefühl" bis zum 08.09.22 zu sehen.

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Briefumschlag, adressiert an Richard Wagner
Giacomo Meyerbeer, Paris, um/vor 1840, © Richard-Wagner-Stätten Graupa

Was bedeutet "deutsches Gefühl" und was geht in Richard Wagner vor, wenn er sich in seinem Tagebuch selbst als "deutschester Mensch und den deutschen Geist" bezeichnet und sich in seinem unsäglichen und üblen Pamphlet "Das Judentum in der Musik" als glühender Antisemit präsentiert?

Im Wesentlichen wird ihn sein Sozialneid auf den erfolgreichen Giacomo Meyerbeer (1791-1864) getrieben haben, der in der damaligen Weltkulturhauptstadt Paris sehr geschätzt war und dort hohe Aufführungszahlen erreichte. Er hatte Richard Wagner "Talent und Feuer" attestiert, war von ihm direkt angepumpt worden. Meyerbeer war für ihn eingetreten, der in prekären Verhältnissen lebte, in durchgelaufenen Stiefeln ohne Sohlen herumlief und aus Geldnot sein Sujet des Fliegenden Holländers für 500 Francs an die Grand Opéra verkauft hat, bevor er am Ende ohne jeden Erfolg "der Sprache der Vernunft und des Magens gehorchend ins deutsche Kartoffelland zurückgeflattert ist" (Heinrich Heine in seinem Bericht für die Augsburger Allgemeine 1843). Mendelssohn, einem anderen erfolgreichen Zeitgenossen jüdischer Abstammung, attestierte Wagner immerhin "feinste, mannigfaltigste Bildung und reichste spezifische Talentfülle", trotz derer er aber nie in der Lage gewesen sei "auch nur ein einziges Mal die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen". Von diesem Angriff Richard Wagners hat sich Mendelssohn bzw. seine Rezeption in Deutschland bis heute kaum erholt. Im Begleitband der Ausstellung hat sich Christine Achinger zu Wagners Antisemitismus dezidiert geäußert.

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Ausstellungsansicht mit Wagners Hausschuh
© Deutsches Historisches Museum/David von Becker

In seinen grandiosen Pariser Misserfolgen liegt wohl auch Wagners Nationalismus begründet, wenn er in seiner "komischen Oper" (Meistersinger) "welschen Tand" der "heiligen deutschen Kunst" gegenüberstellt. Eigentlich wollte Wagner die Gesellschaft aus dem Geist der Kunst heraus reformieren, mahnt die Ehre der deutschen Meister an und lag damit bei der Uraufführung 1868 kurz vor der Gründung des Kaiserreiches in Versailles voll im nationalistischen Publikumstrend. Seine eigene Kunst erreichte den Höhepunkt ihrer Heiligkeit erst im Parsifal. Dabei war Richard Wagner eigentlich nicht so richtig deutsch, spielt doch die Mehrzahl seiner Opern außerhalb Deutschlands, in Rom, Palermo, Antwerpen Norwegen Cornwall. Und die Besucher bei der Eröffnung der ersten Bayreuther Festspiel tief in der deutschen Provinz kamen von überall her, aus u.a. Brasilien, den USA, Russland. Und die Unzahl der Trauerfeiern anlässlich seines Todes bereitete sich in Windeseile über den Erdball aus bis hin nach Neuseeland. Gedächtniskonzerte fanden in Paris, London, New York Boston und anderswo statt. In Venedig spielte ein Orchester aus den Zeremonienbooten heraus auf dem Canal Grande Siegrieds Trauermarsch aus der Götterdämmerung. Ricard Wagner wurde postmortal "zum kulturellen und politischen Unterbewusstsein der Moderne (Alex Ross).

Natürlich werden Antisemitismus und Nationalismus in der Berliner Ausstellung dargestellt, die aber anders ansetzt. Entfremdung, Zugehörigkeit, Eros und Ekel werden als für Richard Wagner und das 19. Jahrhundert maßgebliche Grundgefühle diskutiert: Aus ihnen heraus bildete sich danach seine moderne Gefühlswelt mit Einsamkeit, Angst, Unsicherheit, Sehnsucht, Liebe, Begierde, Ekstase, Neid, Gier u.a.. Davon sind seine Werke voll. Im Begleitband werden auf 260 Seiten sechzehn Essays zu den vier Grundkapiteln ergänzt durch 40 exemplarische Ausstellungstücke. Die französische Gefühlswelt des Wagnérisme, die Faszination, die Wagner im Land des deutschen Erbfeindes hervorrief, wird in der Ausstellung nur gestreift.

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Ausstellungsansicht
© Deutsches Historisches Museum/David von Becker

G.B. Shaws "Wagner Brevier" von 1898 hingegen wird ausführlich diskutiert (Raphael Gross). Seine Analysen lassen den Ring als gesellschaftlich analytisches Werk erscheinen, in dem gezeigt wird, wo eine Gesellschaft endet, wenn Betrug, Wortbruch, Lüge, Mord, Hinterhalt, Goldgier das Handeln bestimmt. Die Geschichte spielt nicht in der märchenhaften Vorzeit, sondern im 19. Jahrhundert, nimmt quasi den Goldrausch von Klondike vorweg. Alberich und Mime, die kapitalistischen Waffenschmiede, die Herren des früh industrialisierten Bergbaus, sind in ihrer Unterwelt nur an Gold und Macht interessiert. Die brisanten politischen und sozialen Umbrüche des 19. Jahrhunderts werden inszeniert hinter romantischer Naturmusik des Waldvögeleins, dem friedlich-grandiosen Es-Dur-Wogen des grünen Rheins mit seinen Wallala-weiala weia-Nixen, inmitten eines Waldbrandes am Walkürenfelsen. Unter starkem Blech, eigens konstruierten Wagnertuben, gewaltigem Schlagzeug und einem riesigen Orchester nimmt die hochdramatische Geschichte ihren schicksalhaften Lauf und endet zuletzt in der Götterdämmerung mit einer Jahrhundertüberschwemmung.

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Original-Manuskript „Das Judenthum in der Musik“ von Richard Wagner (alias K. Freigedank)
Titelseite (1. Doppelbogen), 1850, © Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth

Dass das Werk Richard Wagners mit all seinen Widersprüchen später von Stalin wie Hitler als Bühnenmusik für deren Abscheulichkeiten missbraucht wurde, ist furchtbar, hat seiner späteren Rezeption nicht geschadet, nur in Israel tut man sich nach wie vor schwer mit ihm.

Die Ausstellung zeigt interessante Aspekte Richard Wagners, der als großer Komponist, angestellter Hofkapellmeister und freier international auftretender Dirigent, als Autor, als Revolutionär, als Exilant, als Pumpgenie und Bankrotteur, als Protegé von reichen Mäzenen und eines von ihm begeistertet Königs, als Theaterreformer und Musiktheoretiker, als Festspielgründer, als umstrittenen Künstler und Kunstunternehmer, das 19. Jahrhundert und unser Bild davon wie kaum ein anderer geprägt hat.

Zur Ausstellung ist ein Begleitband erschienen, herausgegeben von Raphael Gross, Katharina J. Schneider und Michael P. Steinberg für das Deutsche Historische Museum. © 2022 Stiftung Deutsches Historisches Museum und Wissenschaftliche Buchgesellschaft(wbg) Darmstadt und die Autorinnen und Autoren (Christine Achinger, Wolfgang Cortjaens, Christine Fornoff-Petrowski, Julia Franke, Nicola Gess, Raphael Gross, Eve Martina Hanke, Michael Ilg, Jana-Isabell Knufinke, Gundula Kreuzer, Laurenz Lütteken, Wolfgang Mende, Matthias Miller, Melanie Möbius, Stephan Mösch, Kai Hinrich Müller, Arno Mungen, Herfried Münkler, Verona Naegele, Katharina J. Schneider, Robert Sollich, Marcus Spangenberg, Michael P. Steinberg, Arne Stollberg, Kristina Unger, Melanie Unseld, Nicolas Vazsony, Friederike Wißmann, Sabine Witt). Umfangreiches Literaturverzeichnis im Anhang. ISBN 978-386102-227-5(Museumsausgabe) ISBN 978-3-8062-4444-1 (Verlagsausgabe. 272 Seiten, 73 teils auch farbige Abbildungen. 32 €

(April 2022)



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Cover


Richard Wagner und das deutsche Gefühl
Plakat zur Ausstellung
(© Deutsches Historisches Museum)

Ausstellung im
Deutschen Historischen Museum Berlin
vom 8.4. - 8.9.2022

Kurator: Michael P. Steinberg
Co-Kuratorin: Katharina Schneider




Weitere Informationen unter:
www.dhm.de
(Deutsches Historisches Museum)



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