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"Just another musical?" - Nein: Das einzig
wahre Musical

Von Tilman Lücke, Berlin
Oktober 2000



Dem dänischen Regisseur Lars von Trier gelang es in den vergangenen Jahren immer wieder, die Zuschauer seiner Filme zu überraschen, beispielsweise mit Idioten: Eine Horde offensichtlicher Geisteskranker im Verbund mit weniger offensichtlich Geisteskranken (was wir "normal" zu nennen gewohnt sind) verwirrten durch buchstäblich schamloses Auftreten zunächst ihre Umgebung und dann, mehr und mehr, auch den Kinozuschauer.


Ausgerechnet von Trier hat mit Dancer in the dark ein "Musical" auf die Leinwand gebracht, und die isländische Sängerin Björk trug die Musik dazu bei und gibt die Hauptdarstellerin. Die sich aufdrängende Frage, wie man heutzutage noch einen Musical-Film machen kann, beantwortet von Trier mit einer Liebeserklärung an das Genre und an Musik schlechthin: Denn nur durch Hingabe zur Musik kann die Hauptfigur ihr Dasein ertragen, die ausgebeutete, tänzerisch unbegabte, erblindende, bestohlene, zum Mord gezwungene, schließlich zu Unrecht zum Tode verurteilte Fließbandarbeiterin Selma.

Dass ein Leben ohne Musik ein Verbrechen wäre, braucht wohl im Rahmen des hiesigen nicht elaboriert begründet zu werden, doch Selma bedarf der Musik allerorten. Sie eignet sich die Rhythmen des Alltags an und verarbeitet sie zu Musik. - Besonders überzeugend: Der Spielebene des Films entspricht auf subtile Weise die Produktionsweise der Filmmusik (die allerdings an Stelle der Originaltöne des Settings mit Digitalklängen aus dem Sampling-Computer arbeitet).

Der Musik, den SelmaSongs, (siehe unsere Rezension) kommt eine entscheidende Rolle zur Beglaubigung der filmischen Konzeption zu; sie ist das "Schmiermittel" zwischen den musicalhaft-harmonischen Fluchtträumen Selmas und ihrer Realität, die den Zuschauer in Furcht und Mitleid peitscht. In diesem Sinne funktionieren die intelligent komponierten SelmaSongs brillant und eben ohne dass dieses "Schmiermittel" gänzlich zur Harmoniesoße eingekocht ist.
Dies wird am deutlichsten im Schlüsselstück In the Musicals, welches an zwei zentralen Stellen im Film (Selmas Verhaftung und ihre Verurteilung) eingesetzt ist. Gemeinsam mit Vincent Mendoza hat Björk hier eine durchkomponierte Geräusch- und Soundlandschaft geschaffen, die durch rhythmisches Raffinement fast jazzig wirkt. Über allem schwebt und donnert natürlich die wandlungsfähige Stimme der Björk außer in der Overture, die ein bisschen nach Bruckner mit Schmalz klingt und die die dunkelsten 3:37 Min. der Filmgeschichte begleitet.

Dass man nach Auschwitz noch Gedichte machen kann, wissen wir schon ein paar Jahre. Dem bekennenden Katholiken von Trier verdanken wir nun die Einsicht: Es gibt noch Musicals im Zeitalter der Globalisierung.








Der Soundtrack zu
Dancer in the Dark

SelmaSongs



Polydor CD 549 204-2




Unsere Rezension dieser CD und weitere Angaben




Seiten zu Björk, zum
Film und zur CD

www.bjork.com
www.dancerinthedark-film.de/ www.selmasongs.com



Da capo al Fine

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