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Von der Pike auf

Gespräch mit Regisseur Eric Schulz
im Zusammenhang mit der Neuproduktion von
Dido and Aeneas und L Àmour et Psychè in Hamburg

Von Christoph Wurzel / Fotos von Horst Warneyer
September 2004

Er kommt etwas übermüdet zum vereinbarten Gesprächstermin, denn die Dernieren - Feier hat sich bis in den frühen Morgen hingezogen und anschließend waren noch Aufräumarbeiten auf der Bühne fällig. Als Nachwuchs-Regisseur musste er selbst auch mit anfassen. Es ist eben nur fast so, wie an einem richtigen Theater, wenn man seine erste eigene Inszenierung abgeliefert hat. Die Bretter, die von nun an die Welt bedeuten, stellen in diesem Fall die Studiobühne der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg dar. Der junge Regisseur heißt Eric Schulz und hat gerade als praktische Diplomarbeit Purcells Oper Dido and Aeneas inszeniert. Sechsmal wurde die Produktion in dem komfortablen Theatersaal am Harvesterhuder Weg gezeigt, gekoppelt mit der Arbeit eines Studienkollegen, der ein barockes Singspiel französischer Provenienz in Szene gesetzt hat.

Schulz (24) hat im Jahre 2002 mit dem hochschulübergreifenden Studiengang "Musiktheater-Regie" in Hamburg begonnen, an dem die Hochschule für Musik und Theater und das Institut für Theater, Musiktheater und Film der Universität Hamburg beteiligt sind. Gegründet wurde der Studiengang Anfang der Siebziger Jahre von August Everding, damals Intendant und Götz Friedrich, Chefregisseur der Hamburgischen Staatsoper. Schulz hat Götz Friedrich auch noch kurz als Direktor erlebt, bevor dieser im Dezember 2000 verstarb. Auf Friedrich geht zurück, dass der Unterricht recht theorielastig ist, was Schulz ein wenig bedauert. Denn er habe in den vergangenen Wochen der praktischen Bühnenarbeit mehr gelernt als in den vielen Semestern zuvor.

Natürlich gibt es während des Studiums kleinere Projekte, an denen man sein Talent erproben kann, aber für die Diplominszenierung arbeitete Schulz erstmals vollständig unter realen Produktionsbedingungen, d.h. er musste ein - hier noch recht bescheiden bemessenes - Budget sinnvoll einsetzen, mit Bühnenbildnerin, Kostümdesignerin und nicht zuletzt mit Dirigent und Musikern zusammenarbeiten. "Regie bedeutet, andere Menschen zu führen, den eigenen Willen zu einem gemeinsamen Willen zu gestalten." Das lerne man halt vor allem, indem man es tut.

Und Bühnenerfahrungen sind sogar schon hilfreich, wenn man bei der Aufnahmeprüfung zum Zuge kommen will. Unter 24 Bewerbern konnte sich Eric Schulz neben 7 anderen Regie-Eleven damals durchsetzen. Schon in seiner Baden-Badener Gymnasialzeit konnte er sein Regietalent erproben, wo übrigens Julia Ostertag schon mit von der Partie war, die Sängerin der Dido in seiner jetzigen Examensproduktion. Freilich standen damals noch keine Opern auf dem Spielplan, sondern Schulz hatte sich an zwei modernen Klassiker des Schauspiels - Frisch und Dürrenmatt - versucht, mit Erfolg, wie die lokale Presse damals anerkennend schrieb. So ist in ihm die Begeisterung am Regie führen nachhaltig geweckt worden und hat dem jugendlichen "Stimmennarr und Wagnerianer" den Weg zu größeren Aufgaben gewiesen.

Während des Studiums kann man namhaften Regisseuren bei ihrer Arbeit über die Schultern schauen. Eric Schulz ist dabei berühmten Größen des Musiktheaters begegnet wie Matthias Schönfeldt, Peter Mussbach oder Peter Konwitschny. Doch wenn Regisseure sich zu wichtig nehmen und dahinter das Werk verschwindet, dann wird Schulz skeptisch. "Eine gelungene Regiearbeit erkennt man daran, dass man sie als solche kaum wahrnimmt, sondern das Gefühl hat, das Werk, das man sieht, ist einfach so, wie man es gerade erlebt und kann gar nicht anders sein."
Sein Credo gegen falsch verstandenes Regietheater fällt also eindeutig aus, ebenso eindeutig wie sein Plädoyer für eine intensive Beschäftigung mit dem Stück. Der persönliche Zugang zum Werk und zu ergründen, "was das Werk will" - dies stehe am Beginn der kreativen Herausforderung, die eine Opernregie bedeutet. Und gerade Götz Friedrich habe immer wieder betont, wie wichtig ein fundiertes Wissen über Werk und Aussage sei. Daher vermittelt eben das Studium der Opernregie auch breite Kenntnisse über Musik- und Theatergeschichte, ästhetische Fragen und vor allem über die musikalischen Formen und Strukturen einer Oper. Einer der drei Bausteine des Diploms ist daher auch die eingehende musikalische Analyse eines Werks vom ersten Motiv bis zum letzten Akkord einer Szene. Wer nichts oder nicht viel von Musik versteht, würde von der Hamburger Hochschule aus als Regisseur auf keine Opernbühne losgelassen.

Auch ohne Konzeption kommt eine gute Regiearbeit nicht aus. Das Kriterium einer gelungenen Regiearbeit und damit der "Note" im praktischen Teil des Diploms ist es, wie überzeugend die Anlage der geplanten Regie ist und inwieweit er dann auf der Bühne realisiert werden konnte. Daher muss jeder Student, der erfolgreich abschließen will, schon lange vor Beginn der Proben an seinem Projekt ein ausgearbeitetes Regiekonzept vorlegen, in dem die dramaturgisch und musikalisch bedeutsamen Aspekte und die theaterpraktischen Lösungen des Werks behandelt werden.

Für Purcells kurze Oper hat Eric Schulz einen intensiv durchdachten Entwurf entwickelt, der auf starke Bilder setzt, durch Aktion aber die Szene nicht erschlägt. Schulz hat in Nahum Tates Libretto mehr Fragen entdeckt als Antworten gefunden und die Leerstellen mit dem Wissen unserer Zeit gefüllt. Er sieht die Oper als einen späten Reflex auf die Renaissance. Anders als im antiken Mythos haben die Autoren eine Zauberin und Hexen eingesetzt, die Didos Schicksal beeinflussen - ein Motiv, das sich schon in Shakespeares Macbeth als äußerst bühnenwirksam erwiesen hat und in dieser Zeit regelrecht Mode gewesen ist. Schulz macht darin den alten abendländischen Konflikt zwischen Gut und Böse aus, denn Hexen seien in dieser Zeit die Repräsentanten des Verbotenen, die "Wissenschaftler der Grenzüberschreitung" gewesen. Die Zauberin bekomme in der Handlungskonstruktion ein eigenes Gewicht und sei der eigentliche Gegenpol zu Dido.

Daher erhält sie in Schulz` Regieansatz auch ein besonderes Gewicht. Für ihn ist die Zauberin schuld am Tod Didos, nicht Aeneas und er stellt sich vor, dass die Zauberin eine Art Versuch mit Dido anstellt und sie in ihrer Art zerstören will. Denn im Gegensatz zu der kalt berechnenden, alles Natürliche ablehnenden Zauberin, die sich bis zu lustvoller Destruktion versteigt, repräsentiere Dido das Prinzip des reinen Gefühls und der natürlichen Liebe. Der Dualismus der menschlichen Existenz, in der Renaissance durch "Himmel" und "Hölle" symbolisiert, sei in den beiden Frauengestalten verkörpert. Heute freilich müsste man dies nicht mehr getrennt als zwei Personen denken, sondern könne diesen Konflikt auch als einen begreifen, der dem Menschen innewohne. Im Schlussbild entwirft Schulz dann die utopische Vereinigung der widerstreitenden Pole zum ausgeglichenen und mit sich harmonischen Menschen und verwendet dafür ein Symbol, das auch ganz dem Denken der Renaissance entspringt, Leonardos berühmten Vitruvianischen Menschen. Aeneas, der an dieser Stelle noch einmal die Bühne betritt, nimmt dieses Bild als Erinnerung mit in die Zukunft und entspricht damit dem Wunsch Didos nach einer bleibenden Erinnerung an ihr Schicksal.

Die Bilder, die Schulz gefunden hat, haben starke Wirkungskraft. Neben den skulpturähnlichen Anfangs- und Schlussbildern hat die Beschwörungsszene im 2. Akt besondere Bildmächtigkeit: Während eine Hexe aus einer geheimnisvoll brodelnden Ursuppe die Stimme des bösen Geistes beschwört, der Aeneas den Befehl zum Aufbruch erteilen wird, steht im Hintergrund Dido gleichsam im Focus des Röntgenblicks der Zauberin. Ein geometrisches, giftgrünes Gittermuster weist den Raum als den Ort eines berechneten Experiments aus und die Hexe durch ihr Kostüm als dessen Handlangerin.

Ob sich aber alle Details dieser Bilderwelt allen Zuschauern entschlüsselt haben, bleibt nach der teilweise ratlosen Reaktion des Publikums offen. Doch Schulz zerstreut mögliche Bedenken: "Ich habe darauf gesetzt, dass sich die Bilder über das Gefühl übertragen und die Opernbesucher sich nachher damit auseinandersetzen". Damit berührt er ein Problem des modernen Operntheaters, dass nämlich jedem Zuschauer auch die Kraft zur eigenen phantasievollen Entschlüsselung der Szenerie abverlangt werden kann.
Seinem Anspruch jedenfalls, Purcells Oper, die sich als dramaturgisch vertrackt und schwierig zu inszenieren erwiesen habe, weil sie der Entwicklung von Handlung so gar keinen Raum lasse, dennoch plausibel zu machen - diesem Anspruch hat sich Eric Schulz allemal erfolgreich gestellt.

Nach dieser Feuerprobe des ersten Regieauftrags folgt nun die letzte Strecke einer eher profanen theoretischen Kleinarbeit: die Ausarbeitung der wissenschaftlichen Diplomarbeit. "Das filmische Element im Werk Richard Wagners" lautet der zuerst etwas rätselhafte Titel. Wenn er dann ausholt und von Richard Wagners glühender Verehrung der Zukunft berichtet, dass er ein Künstler gewesen sei, dem alle theatralischen Mittel seiner Zeit nicht genügten und der ständig auf der Suche nach einer Steigerung seiner Ausdrucksmöglichkeiten gewesen sei, dann kann Schulz glaubhaft überzeugen mit seiner These, dass die letzte Konsequenz von Richard Wagners Opernkunst der Film mit seinen das Gefühl total ergreifenden Mitteln sein könnte und dass Wagner möglicherweise seiner Zeit weit vorauseilend den Film gleichsam vorgedacht habe. Wie anders seien Szenen zu erklären, die auf dem Grunde des Rheins, in unterirdischen Höhlen, oder in den Höhen der Wolken spielten, in denen blitzschnell Gestalten sich verwandelten oder die Welt in einer großen Flut versinke. Wagner habe davon gesprochen, dass sich die Musik "an das Auge des Ohrs" wenden solle. Diese starke Tendenz durch Musik Bilder zu evozieren sei das vorherrschende Moment der Wagnerschen Kompositionen und seine Kompositionstechnik weise deutlich filmische Prinzipien auf, vor allem die Leitmotivtechnik entspreche mit ihren Möglichkeiten der Überblendung und der Vor- und Rückblende der Schnitttechnik beim Film. Schließlich sei das Festspielhaus in Bayreuth nach den gleichen Prinzipien wie ein Kino errichtet mit verdecktem Orchester und der Ausrichtung aller Zuschauer nach vorn. Zwar habe es Versuche gegeben, Wagners Opern zu verfilmen, zuerst von Karajan, doch diese seien letztlich nur abgefilmte Theaterinszenierungen gewesen. "Man müsste den Ring einmal im 3D-Format verfilmen und in die IMEX-Kinos bringen, das wäre wirklich sensationell" - so formuliert der angehende Opernregisseur seinen Traum von der Zukunft.

Ob er jemals selbst eine solche Chance bekommt, wagt er selbst nicht zu hoffen. Dass Eric Schulz aber auf den Opernbühnen seinen Weg machen wird, dafür hat er durch sein Studium beste Grundlagen gelegt. Theaterberufe sind in besonderem Maße von Phantasie, Kreativität und Intelligenz abhängig. Damit kann Schulz allemal wuchern. Und das Quäntchen Glück, das man auch braucht, um auf den harten Brettern der Welt überhaupt jemand zu werden, das wollen wir ihm noch dazu wünschen.


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Dido and Aeneas

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Diplominszenierung des
hochschulübergreifenden Studiengangs
Musiktheater-Regie am Institut für Theater,
Musiktheater und Film der Universität
Hamburg und der Hochschule für Musik
und Theater Hamburg

Premiere am 22. September 2004

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