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Gerard Mortier im Gespräch

Von Joachim Lange

Vor der Premiere von Karol Szymanowskis König Roger an der Opera Bastille am 18. Juni 2009 sprach Joachim Lange mit dem scheidenden Intendanten Gerard Mortier. An dem erst zwanzig Jahren alten Haus werden gerade die abgefallenen Verkleidungsplatten neu angebracht….

OMM: Herr Mortier, Sie verlassen Paris ohne Gala Vorstellung und hinterlassen noch dazu die Bastille als Baustelle …

Mortier: Wir haben lange prozessiert und gewonnen. Von den 11,5 Mio €, die die Reparatur der Verkleidung kostet bekommen wir immerhin 8 Millionen zurück. Die Bastille Oper wird jetzt 20 Jahre alt. Mit ihr hat sich das Opernpublikum in Paris immerhin vervierfacht! Jetzt haben wir 800.000 Besucher pro Jahr. Und das sogar trotz meines vom konservativen Publikum und der hiesigen Kritik kritisierten Programms. Zum Abschied wollte ich keine Belcanto Gala machen. Stattdessen wird Anselm Kiefer mit einer gewaltigen Installation einmal die ganze riesige Bühne nutzen. Dazu hat Jörg Widmann eine Musik zu Texten aus dem Alten Testament komponiert. Ich finde es eben schöner mit etwas Neuem zum Abschied wegzugehen!

OMM: Was war ihr größter Erfolg und ihr schwerster Misserfolg in Paris?

Mortier: So ein Misserfolg war der Ausfall einer Uraufführung wegen eines Streikes. Bei den 48 Neuproduktionen während meiner Zeit hier in Paris sind natürlich einige schief gegangen. Doch ich will da keine einzelnen nennen.
Was ich aber geschafft habe, ist einer Veränderung des Repertoires. Ungefähr ein Drittel sind jetzt Werke des 20. Jahrhunderts. Und trotzdem haben wir eine Steigerung der Einnahmen! Wir nehmen allein 49 Millionen über die Kasse ein! In meinen fünf Jahren habe ich sogar eine Reserve von 60 Millionen Euro aufgebaut. Damit ist die Pariser Oper zurzeit unglaublich stark, und kann sogar einige Krisenjahre überleben. Interessant ist ja, dass die gleichen Leute, die mir jahrelang beibringen wollten, wie ich das Opernhaus zu führen hätte, jetzt auf den Knien liegen, um Subventionen zu bekommen. Offensichtlich haben wir haben unsere Opernhäuser bessere geführt, als die ihre Banken.

Zum Erfolg gehört auch das Durchschnittsalter des Publikums. Wir haben es von 58 auf 44 Jahre gesenkt! Ich habe hier sehr viele Gegner, aber auch einen starken Kern von Leuten, die dieses Neue immer verteidigt haben. Sicher werden diese Jahre eine Ausnahme in der Geschichte dieser Oper bleiben. Hier wird es in den nächsten Jahren leider die pure Restauration geben.

OMM: … So wie in Salzburg?

Mortier: Nein – in Salzburg war das nicht so schlimm. Ruzicka hatte gute Ideen und auch Jürgen Flimm ist ja ein brillanter Kopf. Aber, er hat sich um Salzburg zu wenig bemüht, er hat wohl geglaubt, dass das kein Vollzeitjob ist.

OMM: Sind Sie persönlich zufrieden mit Ihrer Bilanz?

Mortier: Was heißt zufrieden. Von all den Posten, die ich hatte, war das der für mich selbst am wenigsten inspirierende. Sicher man kann die besten Künstler einladen und hat ein phantastisches Instrument. Aber ich habe permanent immer nur Output produziert und für mich zu wenig Input gehabt. Das war in Salzburg völlig anders, weil man da viele interessante Leute kennengelernt hat.

Wissen Sie, Paris ist heute nicht mehr die inspirierende Stadt, die sie noch in den 60er Jahren war. Sie ist künstlerisch eigentlich nicht mehr kreativ und spiegelt sich sehr in sich selbst. Die jungen Künstler gehen heute lieber woanders hin. Nehmen Sie nur die Regie – da gibt es doch kaum etwas Interessantes. Oliver Py vielleicht, aber für deutsche Verhältnisse ist das was er macht ja auch schon konventionell.

OMM: Sie gehen also auch mit einem lachenden Auge?

Mortier: Ich bin froh, dass ich das jetzt 6 Jahre gemacht habe. Aber auch, dass es nicht länger ist. Hier musste ich 80 Prozent meiner Zeit mit Administration und mit den Gewerkschaften zubringen. Die drohen selbst jetzt noch in meinen letzten Wochen mit Streik. Es gibt mal wieder eine Ansage von 25 Technikern. Und das bei 1600 Mitarbeitern! Dabei haben wir gerade eine Gehaltserhöhung von 4% bekommen.

OMM: Wird das in Madrid am Teatro Real denn anders werden?

Mortier: Total anders. Dort sind die Subventionen pro Produktion im Prinzip so hoch wie in Paris. Ich habe hier 38 Mio Euro, dort habe ich 18 Mio für 100 Vorstellungen. Der Vorteil ist aber, dass wir alle Dienste anmieten werden. Das heißt, dass alle fünf Jahre die Verträge neu verhandelt werden. Beim Chor zum Beispiel war die Situation ungünstig. Ich wollte eine Audition von allen Mitgliedern haben. Das wurde verweigert. Daraufhin haben wir die Verträge gekündigt. Dann haben die gestreikt, prozessiert und verloren. Daraufhin haben wir sofort einen neuen Chor zusammengestellt. Für den habe ich auch schon einen tollen neuen Chordirektor im Kopf….

OMM: Der Chor ist also neu – die Dirigenten auch?

Mortier: Es werden die sein, die Sie von hier kennen: Bychkov, Cambreling, Hengelbrock, Haenchen, Halfter und noch ein paar andere. Madrid hat ein gutes Orchester und das ist für mich sehr wichtig.

OMM: Ist das Publikum in Madrid nicht mindestens genauso konservativ wie in Paris?

Mortier: Ja, aber anders. Es ist vielleicht nicht so prätentiös und arrogant wie in Paris. Aber ich werde mich durchsetzten. Es gibt dort allein acht große Abonnements, dadurch sind die Vorstellungen fast restlos ausverkauft. Was gar nicht so gut ist, weil es sehr wenig im freien Verkauf gibt. Doch wir werden dort auch eine neue Spielstätte mit 900 Plätzen nutzen können. Die ist gut geeignet, um mit neuen Projekten ein neues Publikum anzulocken. Wenn das gelingt, werde ich vielleicht sogar Abos kündigen.

OMM: Pardon – aber ist das nicht völlig verrückt?

Mortier: (Lacht) Ich habe gespürt, dass die Spanier eine andere Mentalität haben. Sie wollen unbedingt, dass Madrid zur Spitze in Europa aufschließt.

OMM: Müsste es nicht erst einmal in Spanien aufschließen?

Mortier: Nein, das ist kein Problem. Zu Barcelona habe ich sehr gute Kontakte. Und Valencia ist eher eine Ausnahme. Die haben unglaublich viel Geld zur Verfügung. Lorin Maazel hat dort allerdings ein tolles Orchester, das aber auch bezahlt wird wie die Berliner Philharmoniker. Das ist zurzeit wirklich das beste Orchester in Spanien. Aber ewig kann Maazel das auch nicht machen.

Mortier: Ich werde jedenfalls mit dem Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny in einer Inszenierung La Fura dels Baus und in einer Spitzen-Besetzung eröffnen. Sozusagen als kleine Schockübung. Es wird Saint Francoise d Assis in der Kabakov Installation mit dem SWR Orchester geben….

OMM: …Also den typischen Mortier – Kanon ….

Mortier: Ja schon. Aber es muss und wird auch eine echte Madrilener Note haben. Eine Oper auf einen Lorca Stoff zum Beispiel. Ich habe gehört, dass sich Aribert Reimann damit beschäftigt. Es wird typisch spanische Stücke und Uraufführungen geben, die mit spanischer Literatur zusammenhängen. Es gibt viele kreative junge Künstler dort.

Im November habe ich übrigens in Argentinien ein Treffen mit allen Kollegen aus Südamerika geplant… Es wird also schon etwas anderes. Aber manches nehme ich natürlich auch mit. Wozzeck und Pelleas z.B. Wir werden aber künftig auch exportieren. Mahagonny und Hanekes Cosi nach Wien oder Pique Dame an die Scala.

OMM: Also eine neue Runde von Koproduktionen?

Mortier: Man darf bei allem, was man da macht, den eigenen Charakter nicht verlieren. Das finde ich beispielsweise bei der Frankfurter Oper sehr gut. Die hat ihren eigenen Charakter. Das mag ich sehr.

OMM: Das klingt ja alles sehr vielversprechend, dabei wollten Sie ja eigentlich lieber nach New York?

Mortier: In New York haben sie erst gesagt „everything is possible“. Dann gab es einen genau verhandelten Vertrag. Und ich hatte sogar schon durchgesetzt, dass das Haus für 100 Mio umgebaut wird. Das machen sie jetzt auch nach meinen Angaben. Für zwei Spielzeiten hatte ich alles schon fertig. Doch dann gab es auf einmal kein Geld mehr. Bei 32 Millionen Dollar Fixkosten, kann mit 36 Millionen kein Programm mehr machen. Und ich hätte als Europäer wohl auch nicht mit den Unions verhandeln können. Zwar hatte ich Lust, einmal etwas anderes zu probieren, aber jetzt bin ich froh, dass es nicht geklappt. Unser europäisches System ist schon das bessere. Es war zwar hart für mich, die Künstler wieder auszuladen, aber einige kann ich mit nach Madrid nehmen.

OMM: Was wird mit der für New York geplanten Brokeback Maountain Oper?

Mortier: Die werden wir 2013 am Teatro Real rausbringen.

OMM: War bei Ihrer Bayreuth Bewerbung mit Nike Wagner eigentlich schon klar, dass es mit der New York City Opera nichts wird?

Mortier: Da fing es in New York gerade an, heiß zu werden….

OMM: Mit Bayreuth wird es ja nun auch nicht, gehen Sie im Sommer trotzdem dorthin?

Mortier: Nach Bayreuth gehe ich höchstens jedes zehnte Jahr. Das letzte Mal war ich vor zwei Jahren wegen Boulez dort. Und dann wollte ich Marthalers Tristan sehen. Wenn noch einmal so etwas wie ein Chereau Ring käme…. Der nächste mit Petrenko wird vielleicht interessant.

Wissen Sie, ich bin ja auch mit Eva gut befreundet. Nike habe ich in ihrer Forderung vor allem unterstützt, weil die Nachfolgeentscheidung bei diesen wichtigen Festspielen keine interne Familienangelegenheit sein kann. Das ist eine öffentliche Angelegenheit. Ich wollte einfach zeigen, dass jemand außerhalb der Wagnerfamilie auch eine sehr gute Idee dafür entwickeln kann. Mein Projekt hat ja auch Ovationen bekommen. Aber die Entscheidung war längst schon gefallen. Ich habe sofort gespürt, als ich da raus ging: hier ist alles unter Dach und Fach.

Im Nachhinein muss ich sagen: Gott sei Dank, dass ich das nicht machen muss. Ich hätte zwar Ideen gehabt, aber das ist nicht meine natürliche Welt. Aber gemacht hätte ich es. Ich bin froh, dass Eva dabei ist, denn sie ist eine gute Verwalterin und kennt ihr Geschäft. Ich hoffe, dass es gelingt

OMM: Aber in Berlin wären Sie schon wirklich gerne Intendant geworden?

Mortier: In Berlin war ich immer für eine Gesamtlösung, d.h. die Zusammenlegung der Opernhäuser. Aber ich hätte gerne auch die Staatsoper allein übernommen, wenn Barenboim einverstanden gewesen wäre. Schon, weil sie zu dem Zeitpunkt umgebaut werden sollte. Das hätte mich interessiert - ich habe überall umgebaut.

Aber gegen Barenboim kann man nicht ankämpfen. So lange er seinen Vertrag hat, wird das Orchester besser bezahlt. Man kann in Berlin nur mit Barenboim zusammen oder gar nicht. Er weiß natürlich, dass ich es genau durchblicke was er macht – mit über 30 Konzerten und nur 17 Opern und mehr in der Scala als in Berlin. In diese Strategie habe ich nicht gepasst.

OMM: Glauben Sie denn, dass Dominique Meyer an der Wiener Staatsoper klarkommen wird?

Mortier: Dominique Meyer ist ein guter Arbeiter und ein sehr ernsthafter Mann. Vor allem kennt er die Philharmoniker. Man muss aber sehen, wie weit er sich denen auch stellen kann. Wir mögen sie ja alle. Aber sie sind wie verwöhnte Kinder und man muss da manchmal auch sagen: Bis hierher und keinen Schritt weiter! Schwieriger wird es für ihn, langjährige Gewohnheiten zu verändern. Und man muss sehen, wie die Zusammenarbeit mit Franz Welser-Möst funktionieren wird. Er ist ein guter Dirigent, vor allem in der Oper. Aber er ist kein neuer Karajan. Außerdem muss man auch dem Rechnung tragen, was im Theater an der Wien passiert. Das ist in der letzten Zeit wirklich beachtlich. Ob es zum Beispiel nötig sein wird, an der Staatsoper Barockoper zu machen, das ist so eine Frage. Aber wie gesagt, man muss abwarten und ihm alle Chancen geben. Ich wünsche ihm, dass das gut geht in Wien. Das sage ich mit meinen eigenen österreichischen Erfahrungen!


(Paris, 18. Juni 2009 )






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Fotos von Fred Toulet
/ Opéra national de Paris



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