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Eine Hauptrolle, die es gar nicht gibt: Patric Seibert ist in jedem Ringteil in Bayreuth mit dabei

In Meiningen ist Patric Seibert leitender Dramaturg. In Castorfs Bayreuther Ring Regieassistent und einer der dauerpräsenten Mitspieler. Als Barkeeper und geschundenes Opfer. Als Bär oder roter Kommissar in Baku. In Ost-Berlin, Mitte der 70er Jahre geboren, hat er in Novosibirsk Musiktheaterregie und Orgel studiert, an verschiedenen Theatern und Opernhäusern gearbeitet. Vor der Götterdämmerungs-Premiere traf er sich mit Joachim Lange.

Von Joachim Lange


OMM: Was hat sich denn noch alles geändert im Ring, außer dem unübersehbaren Nachwuchs bei den Krokodilen auf dem Alexanderplatz?

Seibert: Wir hatten in diesem Jahr allein 12 Umbesetzungen, da ändern sich viele Dinge. Wenn man nur vier Wochen Probezeit zur Verfügung hat, dann kann man da gerade mal Verkehrspolizei spielen.In den zwei oder drei Bühnenproben kann man die Leute fast nur durchschleusen. Gerade im Rheingold muss man vor allem regeln, wer was macht. Im nächsten Jahr werden wir sogar 28 Umbesetzungen haben. Im "Rheingold" ist dann außer der Erda keiner mehr von der Ursprungsbesetzung dabei. Da kann man im Grunde nur reparieren. Aber dennoch: Achten Sie mal auf die Chorszene im 2. Akt Götterdämmerung, daran haben wir richtig gearbeitet. Und dann bleibt immer noch die Arbeit mit einzelnen Sängern.

OMM: Wie offenbar mit Catherine Foster…

Seibert: Gerade sie hat sich als Brünnhilde nicht nur frei gesungen, sondern auch frei gespielt. Da ist auf einmal viel mehr möglich, zumal sie auch mit Stefan Vinke sehr gut harmoniert. Das wirkt sich deutlich auf das gesamte Zusammenspiel aus. Was sie allein körperlich macht, in der Waltrauten-Szene oder im Kampf um den Ring mit Siegfried, das ist einfach toll. Und Vinke stachelt sie dabei sehr an.

OMM: Macht Frank Castorf das selbst?

Seibert: Wir Assistenten bereiten alles auf der Probebühne vor, damit jeder weiß, worum es geht. In der eigentlichen Bühnenprobe macht Castorf das aber selbst.

OMM: Beindruckend war, wie das ausgefallene Element auf der Projektionswand im Rheingold bei laufendem Betrieb repariert wurde ...

Seibert: Ja, mit einem Neustart. Wir sind auf so was natürlich eingestellt. Da gibt es ein Notfall-Reglement. Normalerweise würde man einen Ausfall einfach lassen, aber da hier eine ganze Reihe auszufallen drohte, fiel die Entscheidung: Schirm umdrehen und neu starten. Außerdem sitzen ja gerade in der Tankstelle fünf Techniker, die eine ganze Menge Technik am Laufen halten.

OMM: Aber es gibt offenbar auch vorgefertigte Filmsequenzen …

Seibert: Dem hat nicht gepasst, wie wir das Thema "Junkers" (die 1936 in Dessau gegründeten Flugzeugwerke) behandelt haben. Er war Vorsitzender des Vereins Technikmuseum und da hat man unsere Arbeit äußerst kritisch gesehen. Jetzt, als OB, will er das Theater schon behalten, nur mich hält er eben nicht für tragbar.Mit solchen Irritationen zwischen live und vorgefertigten Videos arbeitet Castorf gerne. Und gerade die Rheingold-Tankstelle ist dafür geeignet, da kann man mit der Kamera richtig gut durchgehen. Und das spielt ja auch in einer Zeit, wo es um die Macht über die Bilder ging.

OMM: Ist Ihre Rolle als dauerpräsentes Faktotum eigentlich voll durchchoreografiert?

Seibert: Das ist nicht Castorfs Methode. So probt er nicht. Er treibt die Leute am Anfang in den Wahnsinn. Durch keine Aussagen. Dann sind die auf 180 und aus dieser Wut und Renitenz heraus wird etwas entwickelt. Wir hatten mit "Siegfried" und dem Bären angefangen. Daraus hat sich eine Figur wie Lucky im "Warten auf Godot" bei Beckett entwickelt. Der ist ja so was wie der letzte Prolet. Was immer auch passiert, er kann nicht wirklich eingreifen ins Geschehen.
Castrof wollte gerne zwei Volksbühnen-Schauspieler oder Studenten dafür nehmen. Aber das ließ sich einfach nicht realisieren. Dafür gibt es hier einfach kein Budget. Es hieß: Statisten könnt Ihr haben so viel ihr wollt. Für den üblichen Satz.

OMM: Moment mal, das heißt Sie bekommen um die 20 Euro pro Akt?

Seibert: (Lacht) Na ja ich werde ja noch als Assistenz und dramaturgischer Mitarbeiter entlohnt. Das ist schon in Ordnung.

OMM: Welcher Ring-Teil ist für Sie eigentlich am anstrengendsten?

Seibert: Im Rheingold komme ich zwar auch nicht dazu, mal abzugehen, aber der Siegfried, der ist am körperlichsten. Überhaupt ist der Alexanderplatz-Akt eine ganz schöne Wucht - ziemlich genau getroffen und auch lustig, obwohl die Musik im Pathos schwelgt. Wolfgang Koch kannte Ostberlin, und er und Nadine Weissmann als Erda haben nicht nur großen Spaß, sie können auch mit der Freiheit, die ihnen Castorf lässt, wirklich umgehen. Andere Sänger brauchen eher ein Korsett von Vorgaben, um richtig gut zu werden.

OMM: … oder es sind spielerisch aussichtslose Fälle, wie Johan Botha als Siegmund?

Seibert: Der macht das, was er körperlich kann. Aber das ist nun mal stark limitiert, auch was andere Dinge wir Frisur oder Anzüge betrifft. Aber er singt halt toll, auch wenn da kein Film dazu in ihm abläuft.

OMM: Hat Castorf da aufgegeben?

Seibert: Der hat keine Ambition, ihm das Schauspielern beizubringen. Aber er hat eine gewisse Sympathie für ihn - nichts machen ist ja auch eine Haltung…..

OMM: Nochmal zum Krokodil-Akt - damit wird ja das Pathos der Musik völlig gebrochen.

Seibert: Und die Leute trauen sich auf einmal zu lachen oder amüsieren sich! Warum auch nicht? Man hört gerade im Siegfried, dass Wagner auch Humor hatte. Siegfried ist die Komödie. Lance Ryan hatte da Vorbehalte, es war aber Kirill Petrenko, der sagte, dass diese Musik sooo schön und makellos ist, dass man dem auf jeden Fall misstrauen und ein Fragezeichen dahinter setzten muss. Das hat uns sehr bestätigt und angeregt.

OMM: Wie war die Zusammenarbeit mit Petrenko überhaupt?

Seibert: Er war auf jeder szenischen Probe dabei, die wir gemacht haben. Mit viel Kommunikation. Wenn er meinte, irgendwas gehe nicht, dann kamen immer Gegenvorschläge. Wenn dann aber das Orchester da war, dann hat er sich darum voll gekümmert. Das ist jetzt schade, dass die Zeit nicht ausreicht, da noch mal einzusteigen. Wir haben am 15. Juni mit den Proben begonnen und vier Wochen später waren schon die Generalproben.

OMM: Wie bereiten Sie sich eigentlich auf die großen Auftritte vor - in drei Stunden beginnt die Götterdämmerung - ich hätte Ihnen da ja nie ein Treffen zugemutet.

Seibert: Es bekommt mir besser, wenn ich mich vorher etwas ablenke, als wenn ich mir noch mal Videos oder den Klavierauszug anschaue. Eine Stunde vorher mach ich mich mit Radfahren oder Laufen warm, dann duschen, umziehen und nach den Requisiten gucken. Dann geht's los.

OMM: Schaut sich Castorf die Premieren an?

Seibert: Ja von der Wagnerloge aus.und dann gibt es Kritik. Und da ist er gnadenlos. Nach der "Siegfried"-Generalprobe konnte ich mir eine 20-Minuten-Standpauke anhören.

OMM: Der Stabwechsel zu Marek Janowski im nächsten Jahre dürfte eine Herausforderung werden, nach dem, was man von ihm so über das Regietheater hört.

Seibert: Er war da und es gab auch schon ein Gespräch mit Frank Castorf. Janowski hat ja wahrscheinlich auch nicht blind unterschrieben.

OMM: Eigentlich war ja der gerade so plötzlich verstorbene Bert Neumann für die Bühne vorgesehen.

Seibert: Die ersten Verhandlungen wurden tatsächlich mit Bert Neumann geführt. Dem war aber die Zeit zu kurz, im Februar März 2012 war die Entscheidung gefallen und im August begannen wir zu probieren. Neumann hatte lieber mehr Zeit, um etwas zu entwickeln. Und er sah die Limitierungen, die in diesem Haus bestehen. Wir hätten z.B. gerne einen größeren Feuerzauber gehabt, da sollte eigentlich die ganze Plattform brennen und nicht nur die Tonne. Aber das war dann technisch so nicht zu machen. Bei Neumann nahm die Bühne viel Regie vorweg. Aleksandar Denic aber baut eher riesige Spielplätze für Castorf auf denen es x Möglichkeiten gibt.

OMM: Wie sind sie eigentlich auf die verschiedene Ring - Orte gekommen?

Seibert: Die waren auch dem geschuldet, dass der Ring eigentlich mit dem Ende beginnen müsste. Da ist etwas zu Ende, das immer wieder von vorne anfängt. Doch es gibt keinen Ausgang, sondern nur die Wiederholung der Geschichte als Tragödie oder als Farce - so wie Karl Marx das zyklische Geschichtsbild von Hegel kommentiert. Man könnte auch jeweils alles in einem der Bilder spielen. Wagner hat mit dem Ring ja auch einen Beitrag zur Philosophiegeschichte geleistet, die aktuellen Diskussion seiner Zeit abgebildet. Auch seine Art von Theaterproduktion ist modern. Was Cosima als Vorbild definiert und zementiert hat, vor allem den Naturalismus, damit war er ja selbst unzufrieden. Und wir kommen damit schon gar nicht weiter.

OMM: Geht es in Castorfs Ring nicht eigentlich um den großen Utopieverlust?

Seibert: Es geht aber auch die Geschichte des 20. Jahrhundert, die Geschichte der Industrialisierung und Globalisierung. Und da ging es ja oft ums Öl und die Rohstoffe. Dahinter geht es um Ausbeutung der Natur und des Menschen. Und da ist man ja dann wieder nah bei Wagner.

OMM: Jetzt gibt es ja mit Albert Domen einen tollen neuen Albreich. Ihr erster, Martin Winkler, war nicht ganz freiwillig aus der Inszenierung verschwunden. Wie war das damals wirklich?

Seibert: Albert Dohmen hat eine tolle Stimme, und eine ganz eigene Art den Alberich zu interpretieren - aber er ist eben auch manchmal noch im Wotanmodus…. Martin Winkler hatte etwas von der dunklen Seite Österreichs, so was Selbstzerstörerisches und Perverses, wie man es aus den Filmen von Ulrich Seidl kennt. Das war schon toll. Wir - die Assistenten - wurden damals kurz vor der Generalprobe zur Seite genommen und bekamen mitgeteilt, dass es nun noch Proben für einen neuen Alberich geben wird. Castorf ist dann explodiert, schon, weil mit ihm erst nach der Entscheidung gesprochen wurde. Das ist hier tatsächlich ein Problem: man könnte vieles besser mittragen, wenn mehr miteinander gesprochen würde und man das Gefühl hätte in Entscheidungen einbezogen zu sein. So was lernt man aber wahrscheinlich erst im Prozess, wenn man ein Haus längere Zeit leitet. Ich glaube das Haus ist noch immer sehr vom verstorbenen Wolfgang Wagner geprägt und der hat ja in seinen späteren Jahren ja sehr absolutistisch regiert. So kommt es manchmal ganz unnötig zu einer schlechten Stimmung. Und Castorf weiß natürlich, wen er dann anrufen muss, um seine Wut loszuwerden.




(Juli 2015)





Foto
Der Herr rechts, das ist Patric Seibert - hier im 2. Aufzug von Siegfried (Foto © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath)





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