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Von der Schweiz aus gesehen

Seit 2012 ist Stephan Märki Intendant am Theater Basel. Mit Lohengrin tritt er dort zum ersten Mal als Regisseur in Erscheinung. Vor der Premiere am 24. Oktober 2015 (unsere Rezension) traf er sich mit Joachim Lange.

Von Joachim Lange


OMM: Herr Märki, wenn es in der Thüringer Theaterlandschaft rappelt, hören Sie das dann als ehemaliger Chef des Deutschen Nationaltheaters Weimar bis in die Schweiz, nach Bern?

Märki: Ja natürlich. Ich fand es aber leider nicht überraschend, was da an Plänen wieder auf den Tisch kam. Eher, dass es jetzt von jenen kam, die uns knapp zehn Jahre lang im Weimarer Theaterkampf unterstützt haben. Die heutigen Regierungsparteien waren damals in der Opposition - und auf unserer Seite.

OMM: Kann es nicht sein, das der politische Vorstoß vor allem der Oper in Erfurt in die Hände spielt?

Märki: Seit Erfurt Landeshauptstadt wurde, schwelt ein Kulturkonflikt zwischen Erfurt und Weimar. Dass der Kollege in Erfurt für sein Haus kämpft, ist völlig klar und verständlich. Aber: Weimar hat das einzige A-Orchester Thüringens. Und was sollte ein reines Schauspiel mit einem Orchester anfangen, wenn die Oper nicht mehr da ist?
Das Haus in Weimar ist zwar ein Mehrspartenhaus, aber eins, das nur mit Schauspiel gar nicht zu betreiben wäre. Eigentlich fehlt in Thüringen ein richtig gutes Schauspielhaus mit einem optimalen Verhältnis zwischen Bühne und Zuschauerraum. So eines hätte man in Erfurt bauen können. Die jüngsten Vorschläge der Regierung sind jedenfalls schwer zu verstehen, erst recht, wenn man das Ganze historisch betrachtet…

OMM: Wie fällt denn der Vergleich Weimar-Bern von hier aus betrachtet aus?

Märki: Die Häuser sind hinsichtlich der Größe der Ensembles und des Orchesters ziemlich vergleichbar. Hier in Bern herrscht allerdings ein anderes Arbeitsklima. Das hat auch etwas mit den Schweizer Strukturen zu tun. Die Trennung zwischen Kunst und technischen Mitarbeitern, die in Deutschland größtenteils über ver.di organisiert sind, gibt es in der Schweiz nicht. Nicht zuletzt deshalb herrschen hier ein anderes Betriebsklima und Miteinander im Haus. Das ist sehr wohltuend. Auf der anderen Seite ist das Konkurrenzangebot in den Bereichen Kultur und Freizeit so enorm hoch, dass das Theater hier nicht so ein Alleinstellungsmerkmal wie in Weimar hat. Man muss ganz anders ums Publikum kämpfen.

OMM: Es macht aber dennoch Spaß?

Märki: Mir macht es sehr viel Freude, denn es gibt hier viel zu tun. Das Haus war ein wenig im Dornröschenschlaf und mir gefällt es, etwas weiterzuentwickeln und Neues aufzubauen. Auch ganz wörtlich. Inzwischen habe ich neben dem Vierspartenbetrieb noch vier richtige Baustellen: Lohengrin sollte eigentlich die Wiedereröffnung nach dem Umbau des Großen Hauses sein. Das ist aber etappenweise verschoben worden. In diesem Jahr ist neben der Überarbeitung der Untermaschinerie die Kasse ins Theater umgezogen, sodass die buchstäbliche Öffnung nach außen jetzt schon sichtbar ist. Im nächsten Jahr beginnt der große Umbau in Zuschauerraum und Foyers. Dazu wird das Haus für acht Monate geschlossen und wir bekommen eine Ersatzspielstätte für 480 Personen auf dem Waisenhausplatz, mitten in der Berner Altstadt, vis-à-vis des Bundeshauses.

Im Anschluss sollen die drei Spielstätten, in denen Schauspiel und Tanz hauptsächlich beheimatet sind, umgebaut werden. Werkstätten und Probenräume, die noch an einem anderen Ort sind, sollen künftig dort eingerichtet werden. Zusätzlich wird das Kultur Casino, wo das Orchester beheimatet ist, zwei Jahre für eine Komplettsanierung geschlossen. Für diese Zeit suchen wir noch Spielstätten und Proberäume für das Orchester.

OMM: Wenn man Sie so hört, beginnt man zu verstehen, warum Benedikt von Peter (der Regisseur ist jetzt Operndirektor in Bremen) den Ruf als Intendant nach Luzern angenommen hat ...

Märki: Von Peter ist eine mutige und gute Wahl; er bringt sehr viel positive Energie mit. Luzern hat ein kleines, tolles Haus und ist eine wunderschöne Stadt. Von Peter wird seine Entscheidung nicht bereuen. Gerade zum Anfang einer Intendantenlaufbahn ist das eine große Chance.

OMM: Sie haben neulich im Deutschlandfunk über die politische Entwicklung in der Schweiz gesprochen. Empfinden Sie die als Rechtsruck, der das Theater tangiert?

Märki: Naja, immerhin sind die großen Städte seit Jahrzehnten rot-grün geprägt. Wir haben es hier daher auch mit einer Stadt-Land Diskussion zu tun, denn die SVP, die Schweizer Volkspartei, sammelt ihre Stimmen mehrheitlich eher in den Regionen. Man empfindet das Wahlergebnis hier allerdings nicht in dem Sinne als Rechtsruck, wie man es in Deutschland empfinden würde, denn die Schweiz ist im Ganzen konservativer. Generell wird die Schweiz nicht umhinkommen, ihr Verhältnis zur EU zu definieren. Bei den bilateralen Verträgen über die Personenfreizügigkeit kann man sich nicht einfach nur die Rosinen rauspicken. Die Schweiz muss sich entscheiden, ob sie diese Verträge beibehalten will oder nicht. Und das auf Basis von nur 48% Wahlbeteiligung! Die Schweizer Regierung ist jetzt darüber hinaus vor ein unlösbares Problem gestellt, das hier bereits vor knapp zwei Jahren, bei der Abstimmung über die Initiative gegen die sogenannte "Masseneinwanderung", entstanden ist: Sie soll sie umsetzen, weiß aber nicht, wie. Wenn Sie mich fragen, kann es sich die Schweiz in keiner Weise leisten, innerhalb von Europa ein abgekoppeltes Inseldasein zu führen. Das geht schon rein wirtschaftlich nicht.

OMM: Das Theater ist bei alledem aber gesichert?

Märki: Das hat erst mal nichts mit der Bundespolitik zu tun. Finanziert werden wir von Kanton, Stadt und der sogenannten Regionalkonferenz, die rund 80 Regionsgemeinden umfasst. Bei der Finanzierung haben Kanton und Stadt gerade die Mehrheiten getauscht - jetzt liegt sie bei der Stadt. Alle drei Gesellschafter stimmen alle fünf Jahre ab. Hinzu kommt noch eine Volksabstimmung in der Stadt Bern. Da gibt es automatisch auch inhaltliche Diskussionen. Aber man muss sagen, dass in den letzten Jahren immer eine Dreiviertel-Mehrheit für das Theater gestimmt hat. Wir kriegen jetzt sogar etwas mehr Geld, und das Theater wird, seit wir hier angefangen haben, spürbar ernster genommen. Die Baustellen zeigen, dass unserem Theater eine Perspektive gegeben wird. Das muss ja alles finanziert werden. Allein die Ersatzspielstätte kostet knapp zwei Millionen Franken. Wenn es gelingt, zu überzeugen, ist man in der Schweiz durchaus bereit, kulturpolitisch Prioritäten zu setzen. Das Geld dazu ist da.

OMM: In Deutschland doch eigentlich auch - oder?

Märki: Wenn wir Thüringen nehmen, dann ging es dem Land seit der Wende noch nie so gut wie jetzt. Es gibt nicht wirklich einen wirtschaftlichen Notstand, der ernsthaft die kulturpolitische Fusions- und Spardebatte begründen könnte.

OMM: Es sei denn, die Kosten für die Bewältigung der Flüchtlingskrise heizen sie an.

Märki: Das ist doch eine Aufgabe für ganz Europa! Auch in der Schweiz hat mittlerweile fast ein Drittel der Schweizer Bevölkerung einen Migrationshintergrund - wobei hier auch die dazu gezählt werden, die einen deutschen oder französischen Großvater haben. Für die Menschen, die die Schweiz aufnimmt, tut sie auch wirklich viel, um sie zu integrieren. Das ist hier geradezu vorbildlich.

OMM: Hier funktioniert also die Integration?

Märki: Soweit ich das beurteilen kann, funktioniert sie. Was wirklich schädigend für die Schweiz ist, sind diese Plakatkampagnen, die die SVP in den Wahlkämpfen fährt. Die tun richtig weh. Das ist billige, teuer finanzierte Demagogie. Wenn alle wählen gingen, würde das Verhältnis wohl anders aussehen. Aber die SVP schafft es eben, mit gut finanzierten Kampagnen ihr Wählerpotenzial zu mobilisieren.

OMM: Und dann gegen Asylsuchende mobil zu machen ...

Märki: Ja, und dabei muss man doch wirklich sagen, dass die Migration für die westlichen Industrienationen eine Chance ist. Das sind überwiegend junge, hochmotivierte Menschen, die zu uns kommen.

OMM: In der Diskussion in Deutschland hört man von den kurzen Bearbeitungsfristen von Anträgen in der Schweiz…

Märki: Generell funktioniert die Bürokratie in der Schweiz anders als in Deutschland, besser. Es ist etwas sehr Positives hier, dass man versucht, die Hierarchien flach und die bürokratischen Strukturen einfach zu halten. Das fängt bei der Steuererklärung an: Die ist in der Schweiz so gestaltet, dass man sie auch ohne fremde Hilfe ausfüllen kann. Das Verhältnis der Bürger zum Staat ist anders als in Deutschland. Hier kommt der Staat zu mir, wenn er was will. Nicht so wie in Deutschland, wo man erst mal alles abgeben muss, um dann einen Fachmann zu bezahlen, damit man das zurückbekommt, was einem zusteht. Der Umgang mit Behörden ist hier in den meisten Fällen ein freundliches Miteinander. Der Staat empfindet sich eher als Servicestation für die Bürger. Wenn Sie hier aufs Amt gehen, ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht zu deutschen Ämtern….

OMM: Wenn man Sie so hört, dann funktioniert die Schweiz scheinbar einfach besser…

Märki: Ja, das finde ich schon. Wenn Sie hier von klein auf lernen, dass Sie über jede Straße und jedes Schwimmbad mit abstimmen sollen, dann sind Sie auch eher bereit, Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen.

OMM: Diese direkte Demokratie hat doch aber auch ihre Nachteile?

Märki: Ja natürlich. Nehmen wir die Masseneinwanderungsinitiative. Mit solchen Initiativkampagnen kann man die Legislative lahmlegen. Da muss eine Regierung dann unter Umständen etwas ausführen, was sie für falsch hält. Das ist teilweise auch Strategie der SVP: mit permanenten Initiativen zu versuchen, das Regieren zu erschweren.

OMM: Und dahinter steckt dann Blocher?

Märki: Ja, auch. Und seine Tochter ist jetzt auch gewählt worden.

OMM: Das klingt ja wie bei Le Pen in Frankreich.

Märki: Das ist schon anders. Die SVP versteht sich als demokratische Partei. Es ist vielmehr die Kritikfähigkeit, die der Schweiz etwas abgeht. Politiker wir Blocher und Köppel torpedieren den Konsensgedanken, der hier herrscht, und es gibt zu wenige in den anderen Parteien, die dagegenhalten. Aus vornehmer Zurückhaltung überlassen die den anderen das Feld.

OMM: Aber alles in Allem sind sie froh über den Wechsel nach Bern?

Märki: Weimar ist mir schon ein Stück Heimat geworden. Ich war ja immerhin 13 Jahre dort. Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, wieder in meinen Geburtsort zurückzukehren. Aber ich hab' das keinen Tag bereut. Es bewegt sich was und man kann hier etwas aufbauen. Hier waren zum Beispiel Orchester und Theater 133 Jahre getrennt und machten sich Konkurrenz. In der Oper zu spielen, wurde oft auch als lästige Pflicht im Orchester betrachtet. Jetzt haben wir mit Venzago und Edusei in Konzert und Musiktheater zwei herausragende Chefdirigenten, derer wir uns glücklich schätzen können.

OMM: Der vorletzte Weimarer Lohengrin in Ihrer Amtszeit war alles andere als Glücksfall…

Märki: Das war vor meiner Zeit in die Wege geleitet worden. Meine Intendanz fing 2000 am Tag der Premiere an und ich musste dann dafür grade stehen. (lacht)

OMM: Haben Sie schon mal Wagner inszeniert?

Märki: Wir haben in Weimar einen vielbeachteten Ring gemacht mit Michael Schulz. Da bin ich natürlich mit eingestiegen. Selber hätte ich mir Wagner vielleicht nicht ausgesucht. Wenn ich am eigenen Haus selber Regie führe, dann füge ich mich als Regisseur ein. Lohengrin war zunächst ein Herzenswunsch unseres Operndirektors (Xavier Zuber) und auch von Mario Venzago. Wenn man sich mit dem Werk beschäftigt, merkt man, dass es zwar eines der umstrittensten, aber auch großartigsten der Oper ist.




(Oktober 2015)




Foto
Stephan Märki (Foto © Bernd Uhlig)



Stephan Märki wurde 1955 in Bern geboren. Seit Juli 2011 ist er Direktor des Konzert Theater Bern. In Deutschland wurde er als Intendant des Hans-Otto Theaters in Potsdam bekannt, das er von 1993 bis 1997 leitete. Im Jahre 2000 wurde er Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar, wo er sich 2002 mit dem sogenannten "Weimarer Modell" gegen die Fusionspläne der Landesregierung mit Erfurt durchsetzte und Weimar die Eigenständigkeit sicherte. Nach der Zusammenführung des Berner Symphonieorchesters und des Stadttheaters Bern ist Märki seit der Spielzeit 2012/13 Direktor des Vierspartenhauses. Lohengrin (unsere Rezension) ist seine erste eigene Regiearbeit in Bern.







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