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Mit offenen Augen vor die Wand

Ein heißer Herbst steht bevor - zur verzweifelten Lage der Theater in Sachsen-Anhalt

Von Joachim Lange

Wenn es Herbst wird, dann beginnen die Bühnen im Theatermusterland Deutschland mit ihrer neuen Spielzeit. So war es jedenfalls bisher. Wo es einen Intendantenwechsel gibt – wie in Weimar oder am Schauspielhaus in Leipzig – wird besonders kräftig auf die Pauke gehauen und hingeschaut. Ansonsten freut man sich auf bekannte Gesichter oder neue Stücke. Den Saisonstart eben. Magdeburg hat im Wagnerjahr mit Mozarts Figaro begonnen, in Dessau steht Bellinis Norma in den Startlöchern, in Halle mit Humets Sky disc gar die Uraufführung einer Oper über die wahrzeichenverdächtige Himmelsscheibe. Um nur die größten Brocken zu nennen.

Im Thüringer Nachbarland Sachsen-Anhalt muss aber zunächst über Kulturpolitik geredet werden. Wobei dieser Terminus zur Täuschung wird, denn eigentlich ist die zum bloßen Anhängsel der Finanzpolitik degeneriert. Natürlich will und muss jeder Finanzminister das ihm anvertraute Geld zusammenhalten. Und wenn es knapp wird, auch kürzen. Die Kunst besteht freilich darin, dennoch zu gestalten. Indem man auf die Stärken setzt, die man hat bzw. mit Aussicht auf Erfolg entwickeln kann. Was im Falle von Sachsen-Anhalt heißt: Wissenschaft und Kultur politisch als harte Standortfaktoren zu betrachten und finanziell auch so zu behandeln. Ganz so, wie es im gleich großen, mit ähnlichen Problemen kämpfenden und ebenfalls schwarz-rot regierten Thüringen von der Politik nicht nur erklärt, sondern auch umgesetzt wird. Im Prinzip jedenfalls.

In Magdeburg gehören solche Bekenntnisse bestenfalls ins Repertoire der Sonntagsreden. Was aber bisher als Vorgabe aus den SPD-geführten Ministerien für Finanzen und Kultur kam, waren Kürzungsankündigungen der Landeszuschüsse für die kommunalen Mehrspartenhäuser in Dessau und Halle und eine besonders fiese, komplette Streichung für Eisleben. Magdeburg trifft es nicht. Dort sind die Zuschüsse pro Einwohner am niedrigsten und soll in einer makabren Verballhornung des Magdeburger Modells das Maß der Dinge für alle anderen sein. Sagt die Magdeburger Regierung. Wozu braucht man in Halle ein teures und großes (weil aus einer Fusion entstandenes und langsam zusammenwachsendes) A-Orchester, wenn es auch gute B-Orchester gibt? Wozu ein Mehrspartenhaus in Dessau? Sollen doch die Dessauer nach Halle oder (sicherheitshalber) nach Berlin fahren (und nicht wie bisher viele Berliner nach Dessau locken), wenn sie unbedingt Oper sehen wollen! Wozu Verzicht, ja Selbstausbeutung der Künstler durch (niedrigere, was sonst?) Haustarife honorieren, wenn es Tarifverträge gibt, durch deren volle Anwendung sich der ganze aufmüpfige und dauernd nur nörgelnde Kulturbereich, bei gedeckelten bzw. sinkenden Zuschüssen, sowieso über kurz oder lang von selbst erledigt?

Diskutiert wird nicht. „Basta!“ ist in Sachsen-Anhalt der Ton der Stunde. Dem 10 10-Milliarden-Landeshaushalt erspart dieser kulturelle Crash-Kurs Ausgaben von ungefähr 7 Millionen Euro. Ganz gleich, was die, genauer betrachtet, letztendlich kosten (z.B. durch Abfindungen für gebrochene Verträge). Für die längst heruntergesparten Theater aber stellt sich damit – zum ersten Mal tatsächlich - die Existenzfrage. Zumindest die der Spartenstruktur. Die Theater und Orchester GmbH in Halle könnte sich aus der durch die Zuschusskürzung zwangsläufig eingeschlagenen Schuldenfalle nur durch die Aufgabe des Musiktheaters wirklich befreien. Eine ebenso absurde Vorstellung wie die, in Dessau eine imponierende Operntradition in der 220.(!) Spielzeit einfach abzubrechen. Erst sparen, koste es was es wolle, und dann: Überleben sichern durch Selbstmord! So ungefähr lautet das kulturpolitische Credo der großen Koalition in Magdeburg. Und nirgends ein Konzept, gar eine Vision oder ein Diskurs über das Wie und Wohin.

Immerhin wird noch gekämpft. Allen voran dabei: Dessau. Dank des Kampfgeistes von Intendant André Bücker, der sich mit Vehemenz und Einfallsreichtum an die Spitze der Bewegung gesetzt und dabei auch schon allerhand offiziellen Ärger eingehandelt hat. Zuletzt, weil er einen Aufkleber mit dem Slogan „Wir sparen uns früher dumm“ unterm Landeswappen zirkulieren ließ. Oder weil er den Landesoberen im Goethetheater Bad Lauchstädt beim Festspiel der Deutschen Sprache den schönen Schein vermasselte, indem er kritische, mit Lutherscher Deutlichkeit verfasste Flugblätter unter die Leute bringen ließ, die zu Hochhuths Lutherstück gekommen waren. Immerhin weiß er sich im Schulterschluss mit seinem Bürgermeister und Stadtrat. Der tagte im Sommer demonstrativ im Theater, als dessen Zukunft auf der Tagesordnung stand.

In Halle ist man sich dagegen nicht so sicher, ob der OB, der beim Hochwasser kurzerhand die Händelfestspiele absagte und sich im Dauerkonflikt mit Stadtrat und jedem, der ihm in die Quere kommt, eingerichtet hat, überhaupt weiß, wo das Theater steht. Jedenfalls will er der Theater und Orchester GmbH die Insolvenz verordnen. Womit er vor allem das Orchester zerschlagen, dessen künstlerisch erfolgreiches Zusammenwachsen abbrechen und, sozusagen als Komplize der Landesregierung, Halle kulturell auf B-Niveau absenken würde. Freilich ohne an die finanziellen Folgekosten und den Imageschaden zu denken, der damit unumkehrbar angerichtet wird. Ein seltsames Amtsverständnis.

(Oktober 2013)



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Protestaktionen in Halle (Fotos: Andrea Syring) ...

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... und Dessau (Fotos: Jan- Pieter Fuhr).



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zur Aktion "5 vor 12" gegen den
Kulturabbau in Sachsen-Anhalt






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