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Zum Kunst-Souper das Personal-Dessert

Dresden verlängert den Vertrag von Christian Thielemann nicht

Von Joachim Lange

So was erlebt man nicht alle Tage: Erst eine Sternstunde in einem der schönsten Opernhäuser Deutschlands. Mit dem Alterswerk von Richard Strauss, seinem Capriccio, das in diesem Haus erstmals zwei Jahre nach seiner Uraufführung 1944 aufgeführt wurde. In der dritten Dresdner Nachkriegsinszenierung (1964,1993) musikalisch von dem Orchester und dem Dirigenten zum Leuchten gebracht, die beide für sich in Anspruch nehmen können, die Statthalter des großen, eigensinnigen Spätromantikers auf Erden zu sein. Dazu eine Besetzung, die man sich live kaum besser vorstellen kann.

Ein Zeichen der Hoffnung auf ein Ende der rigiden Beschränkungen der Kultur in Zeiten der Pandemie. Und als ein lang ersehntes, eigenständig neu produziertes Stream-Angebot der Semperoper, die in der digitalen Behelfsopernwelt, wie sie seit Frühjahr 2020 entstanden ist, im Grunde abgetaucht war. Mit einem sichtlich entspannten Dirigenten und mit einem mit Freude und perfekt musizierenden Luxusklangkörper.

Und dann - wieder daheim - platzt die Nachricht herein, dass die zuständige Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) bekannt gegeben hat, dass der auslaufende Vertrag mit Christian Thielemann (62) nicht und der von Peter Theiler (64) nur um ein Jahr verlängert wird, so dass sich sowohl der Chefdirigent der Staatskapelle als auch der Intendant der Semperoper zum Ende der Spielzeit 2023/24 aus Dresden verabschieden dürfen.

Die erste Reaktion war da - vor allem in Bezug auf den Dirigenten - zugegebenermaßen die Frage, ob sie denn wissen, was sie tun. Thielemann hat nie den Ehrgeiz entwickelt, das Repertoire von A bis Z zu rocken. Seine eindeutigen musikalischen Vorlieben sind unübersehbar und bekannt. Vor allem bei Werken von Richard Strauss und Richard Wagner läuft er mit der Staatskapelle zu der Hochform und Spitzenqualität auf, die sie weltbekannt gemacht haben. Das ist eine Marke, die zieht. Für seinen Wagner hat Thielemann eine zweite Bühne bei den Bayreuther Festspielen. Wenngleich da in den nächsten Jahren keine übergroße Präsenz auf dem Plan steht und auch sein Vertrag als so etwas wie ein künstlerischer spiritus rector an der Seite von Katharina Wagner immer noch nicht unterschrieben ist. Die wirklich historische Übernahme der Position des Hausorchesters der Salzburger Osterfestspiele von den Berliner Philharmonikern hat er allerdings wieder verspielt. Wenn man es in strittigen Personalhakeleien mit der Politik drauf ankommen lässt und ein "mit-mir-nicht" in den Raum stellt, muss man halt damit rechnen, dass die Volksvertreter und Kassenwarte sagen, "dann halt ohne dich". So ähnlich lief das wohl in Salzburg ab, wo Thielemann Nikolaus Bachler als künftigen Osterfestspielintendanten nicht verhindern konnte. In Dresden war das, als Serge Dorny schon seine Planungen machte, noch anders. Der war schon wieder weg, bevor er noch richtig angekommen war. Der begehrte und innovative Opernmanager zog dann allerdings mit München das große Los, was Intendanzen in Deutschland betrifft.

Und damit sind wir schon mitten in der Überlegung, die sich nach der Verblüffung über die offenkundige Brüskierung eines Pultstars (und das ist die Verlautbarung aus dem Ministerium wohl) anschließt. Prinzipiell ist und bleibt es nämlich richtig, immer mal das Spitzenpersonal zu wechseln, um die Kreativität der Künstler mit Neuanfängen herauszufordern. An diese Binsenweisheit des Kulturbetriebes sollte man sich gerade dann erinnern, wenn aktuell eskalierende Befindlichkeitsdebatten letzten Endes (nicht nur im Schauspielhaus Düsseldorf) in der Forderung nach Quasi-Festeinstellungen münden. An der Entscheidung des Ministeriums sind zwei Aspekte jedenfalls nicht zu kritisieren: Sie hat mit Blick auf eine Neubesetzung beider Positionen ab 2024/25 genügend Vorlauf, um nicht in Hektik zu verfallen und in Ruhe nach dem geeigneten Spitzenpersonal zu suchen. Zum anderen ist aber auch die Synchronisierung von Intendanz und Chefdirigent (oder GMD) bei dem außergewöhnlichen Gewicht, das die Sächsische Staatskapelle für das Renommee der Semperoper nun mal hat, nach gemachten Erfahrungen ohne vernünftige Alternative.

Um Oper erfolgreich in die nächsten Jahrzehnte zu führen und im weitesten Sinne für Neues zu öffnen, bedarf es der Erfahrung und des Wagemutes auf beiden Positionen. Da müssen zwei an einem Strang ziehen. Vor allem aber in die gleiche Richtung denken. Sicher ist das zwar nie, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es funktioniert, ist bei einem gemeinsamen Neustart allemal größer. Und zwar in einer anderen Dimension, wie sie mit den Namen Thielemann und Theiler verbunden ist. Die Semperoper wird wohl nie eine Hochburg für experimentelles Regietheater im Hauptprogramm werden. Das Haus wird eine Attraktion für Touristen bleiben. Warum auch nicht. Aber allein das Zögern beim Einstieg in eine wahrnehmbare Onlinepräsenz während des letzten Jahres ist ein Argument für einen Neuanfang. Aber auch, dass sich Musiker der Staatskapelle (erfolglos) an ihre Pulte zurück klagen wollten und sich der Intendant und der meinungsfreudige Dirigent bei der Gelegenheit öffentlich in die Haare kriegten, spricht nicht für einen dauerhaft gut funktionierenden Maschinenraum im Tanker Semperoper. Was den Wagemut im Musiktheater betrifft, sollte sich das Haus mit den Opern in München, Frankfurt oder im Westen Berlins messen und mehr nationalen Ehrgeiz entwickeln. Falls Thielemann sich jetzt nicht beleidigt zurückzieht und sich nur noch die Rosinen herauspickt, die man ihm ohne Zweifel anbieten wird, dann hat die im Raum stehende Idee von einem Opernfestival unter seiner Ägide etwas sehr reizvolles. Richard-Strauss-Festspiele in Dresden: Mit den Opern, die dort uraufgeführt wurden, und dann mit allen anderen … das würde garantiert funktionieren.

(Mai 2021)



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Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden (Foto © Matthias Creutziger)


Christian Thielemann, geboren 1959, ist seit 2012 Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Zuvor war er Chefdirigent in Nürnberg, an der Deutschen Oper Berlin und bei den Münchner Philharmonikern. Bei den Bayreuther Festspielen, wo er 2000 debutierte, wurde er 2015 zum Musikdirektor ernannt.



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