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Endlich allein!

Das Oratorium hat jetzt sein eigenes Nachschlagewerk





Cover

Beliebtheit schützt vor Vernachlässigung offenbar nicht. Wird doch das Oratorium regelmäßig und mit Begeisterung von Laienchören ausgeführt, und besonders vor Weihnachten finden diese Konzerte regen Zulauf, da sich bei einer Aufführung mit Chor, Orchester und Solisten in einer Kirche alsbald sehr festliche Stimmung einstellt. Dennoch wird diese Gattung in der Literatur selten eigenständig behandelt. Handbücher zur Chormusik gibt es durchaus, auch sind jüngste Neuauflagen und Neuerscheinungen zu verzeichnen. In diesen Bänden muß das Oratorum aber folgerichtig seinen Platz neben Kantaten, Motetten, und Chorliedern behaupten.

Mit dem Oratorienführer, den der Metzler- und der Bärenreiter-Verlag jetzt gemeinsam herausgebracht haben, liegt erstmalig im deutschsprachigen Raum ein eigenes, umfassendes Nachschlagewerk zum Oratorium vor. Über 450 großbesetzte Chorwerke, Oratorien und Messen werden auf mehr als 800 Seiten besprochen. Als Vorläuferwerk wäre da lediglich das Buch von Kurt Pahlen: Oratorien der Welt von 1985 zu nennen, das aber nur eine sehr eingeschränkte Auswahl an Einzelbesprechungen aufweist.

Die Herausgeber Silke Leopold und Ullrich Scheideler haben sich nach eigenen Angaben bei der Auswahl der Werke nicht ausschließlich an stets auch problematisch bleibende Gattungsdefinitionen gehalten, sondern sie haben sich ebenso an der Aufführungsgeschichte des Oratoriums orientiert. Sie nutzen den Vorteil einer Monographie, mit der sich sehr viel mehr Material erschließen läßt und die so eine größere Offenheit möglich macht. Damit kann der wechselhaften Entwicklung der Gattung Oratorium über Jahrhunderte hinweg zweifellos angemessener entsprochen werden. Auch Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert, die im Grenzbereich zur U-Musik anzusiedeln sind, wurden aufgenommen. Vermieden werden konnten außerdem solche Vorentscheidungen, die nur auf der Beliebtheit bestimmter Werke beim heutigen Publikum beruhen oder andererseits immer noch vorhandenen Abwertungen von alt-chauvinistischer Herkunft entsprechen.

Was diese Vorurteile betrifft, so fällt höchst angenehm auf, daß die Auswahl dieses Bandes nicht nur auf deutsches Repetoire konzentriert ist. Auch französische und italienische Werke, die im deutschen Kulturbetrieb und auch in der Musikwissenschaft bis heute mitunter beiläufig wenn nicht gar geringschätzig behandelt werden, finden hier ausführliche Erwähnung und bekommen ihre differenzierte Besprechung. So ist Saint-Saëns beispielsweise mit sechs einzeln besprochenen Werken gut vertreten. Massenet findet hier im Gegensatz zur älteren Literatur überhaupt erstmals Beachtung als Komponist von zwei Oratorien. Grundsätzlich wird in diesem Band den aufgenommenen Werken in etwa der gleiche Raum für ihre Besprechung gewährt, das ist eine sinnvolle Maßgabe, eine Regel der Gerechtigkeit. Den Herausgebern ist die angestrebte ausgewogene Zusammenstellung gelungen.

Noch etwas fällt auf, schon beim ersten Durchblättern des Buches: Keine einzige Abbildung belebt den Text, auch keine Notenbeispiele werden gegeben. Positiv formuliert läßt sich auch sagen: Keine Ablenkung wird zugelassen. Allein durch Überschriften, Schriftgröße und Kopfzeilen ist das Buch übersichtlich gegliedert. Leopold und Scheideler haben sich bei der Konzeption des Bandes offensichtlich ganz auf den Text konzentriert. Gut gearbeitete, genaue Texte werden geboten mit den entsprechenden Angaben vorweg, wie Textgrundlage, Besetzung, Entstehungszeit, Uraufführung etc. Nützlich sind die Literaturangaben zu jedem Werk. Nicht zum wohligen, anregenden Blättern und Stöbern also, sondern zur konzentrierten Informations- und Textaufnahme ist dieser Band angelegt. Mit seiner Gestaltung werden klare Akzente der Beschränkung gesetzt. Dies ist durchaus auch berechtigt, denn es gibt bereits zahlreiche, zweifellos gut gemachte Handbücher mit umfassenden Bildmaterial zu Komponisten und Interpreten. Es ist tatsächlich nicht nötig, dieses Angebot jedesmal von Neuem zu erstellen. Etwas lustig ist es allerdings schon, daß das einzige Bild, das überhaupt präsentiert wird, das Foto auf dem Cover, nicht gerade besonders ansprechend ist. Im besten Falle könnte man noch sagen: es ist eben mitten aus dem Leben gegriffen, das ist auch eine Art von Qualität, wenn man so will.

Als anschauliches, gewinnendes Buch zur Einführung in die klassische Musik ist der Oratorienführer sicher nicht geeignet. Vielmehr bildet er eine anspruchsvolle, etwas streng anmutende Ergänzung der bereits vorhandenen Sammlung von Nachschlagewerken, sei es für die private Handbibliothek oder die Musikbücherei. Das neue Handbuch füllt da tatsächlich eine Lücke. Es ist für besondere Freunde des Oratoriums sicher beglückend, daß es endlich eine ausführliche Monographie gibt, in der auch weniger beachtete Werke ihren Platz finden. Das Handbuch wird aber auch dem gelegentlichen Leser Gewinn bringen und gezielt Informationen über das bevorstehende Konzert geben können.


Meike Nordmeyer, Wuppertal
Januar 2000




Silke Leopold / Ullrich Scheideler (Hrsg.)
Oratorienführer.
Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler,
Kassel: Bärenreiter-Verlag, 2000.
Gebunden, 842 Seiten, 78 DM.
ISBN 3-476-00977-7 (Metzler)
ISBN 3-7618-2012-7 (Bärenreiter)









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