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Hell ist die Nacht über Sankt Petersburg

Das Michailowski-Theater in Sankt Petersburg sucht den Anschluss

Von Roberto Becker

Über so manchen sowjetischen Exportschlager ist die Geschichte mittlerweile hinweggegangen. Aber die russische Kultur und vor allem russische Künstler stehen nach wie vor hoch im Kurs. Anna Netrebko ist der heiß begehrte russische Superstar der Opernwelt, und ihr tatsächlicher Entdecker in Sankt Petersburg, der Dirigent und Chef des Marinski Theaters Valery Gergejew, ist es auch. Der hat sich, seinem Orchester und seinem traditionsreichen Theater (das in den Sowjetjahren auch als Kirov-Theater Weltgeltung hatte) durch ein cleveres und erfolgreiches Engagement in Westeuropa und den USA erst jenen künstlerischen und vor allem ökonomischen Rückhalt verschafft, um im entfesselten Oligarchen-Kapitalismus von Putins Russland (als Ensemble und individuell) zu überleben. In Deutschland etwa gehören er und seine Künstler (in den letzten Jahren sogar mit einem kompletten Ring des Nibelungen!) zu den festen Größen des noblen Festspielhauses in Baden-Baden. Und aus den USA sponserte ihn einst Großmäzen Alberto Vilar, zumindest so lange der das noch konnte.

Heute ist das Marinski-Theater ein Premium-Standortfaktor für Sankt Petersburg wie die Eremitage. Und wenn Gergejew einen neuen Konzertsaal und ein neues Theater haben will, dann kriegt er es auch. (Auch wenn eine der Baustellen derzeit gestoppt wurde.) Doch obwohl er wie ein Großfürst der Kunst in Petersburg herrscht und sich mitunter auch so gebärdet, ist er nicht allein. Mitten im Zentrum der Altstadt, gleich neben der Metrostation Newski Prospekt, gegenüber der Philharmonie und dem als Stadtschloss des Zarenbruders Michail errichteten heutigen Russischen Museum, integriert in das grandiose Ensemble des Platzes der Künste, steht das Michailowski Theater in frisch renoviertem Glanz in den Startlöchern.

Es ist ein Haus mit bedeutender Vergangenheit, gesicherter Gegenwart und vielversprechender Zukunft. Hier brachten nach der Eröffnung 1833 französische und deutsche Theatertruppen den Westen nach Petersburg, hier wurde Schostakowitschs Nase uraufgeführt, und von hier aus trat auch dessen Lady Macbeth von Mzensk ihren Siegeszug an, bis Stalin dem mit dem in der sowjetischen Musikgeschichte berüchtigten Prawda-Artikel "Chaos statt Musik" ein Ende machen ließ. Es ist aber vor allem ein Haus, das gute Chancen hat, sich mit einem eigenständigen Profil national und international ganz vorne zu etablieren.

Dies ist aber weniger das Resultat einer klug auf Ausgleich und Vielfalt bedachten kommunalen Kulturpolitik, sondern eher dem Glücksfall einer typisch russischen Personalie zu verdanken. Es gibt nämlich nicht nur zu Reichtum gekommene Oligarchen, die ihre ökonomische in politische Macht ummünzen wollen. Der Ehrgeiz des russischen Obstimporteurs Nummer eins, Wladimir Kekhman, ist mit Leidenschaft auf die Oper gerichtet. Seit zwei Jahren ist er nicht nur offiziell Intendant dieses Theaters, sondern auch sein eigener Hauptsponsor, der den 14 Millionen Dollar Etat aufstockt, wenn es nötig ist. Und es ist in einem System, in dem kaum ein Pensionär mit seiner Rente vernünftig über die Runden kommt, natürlich nötig. Von der Renovierung bis zum London-Gastspiel des hervorragenden klassisch-russischen Balletts im letzten Jahr.

Ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten versucht er, mit seiner Spielplan- und Personalpolitik das Publikum da abzuholen, wo es steht. Natürlich gibt es hier Schwanensee ziemlich dicht an der Uraufführungsästhetik. Und für Giselle im üppigen Märchendekor wird sogar der amtierende Bolschoi-Star Natalja Osipova eingeladen. Das Spitzenballett steht hier ohnehin an der ersten Stelle der Publikumsgunst. In der Oper ist neben dem gängigen italienischen und natürlich russischen Repertoire (bei dem dann eine Berühmtheit wie Elena Obratzowa die alte Pique Dame-Gräfin ist) Dvoraks Rusalka schon eine bemerkenswerte Novität für die nächste Spielzeit. Doch der eigentliche Coup dürfte Halévys La Juivé (Die Jüdin) werden, für die dann sogar Neil Shicoff als Eléazar engagiert wird. Der derzeit beste Interpret dieses tragischen Juden auf der Opernbühne hat diese Rolle auch in Wien verkörpert. Hauptsächlich von dort hat sich Kekhman, mit dem langjährigen Staatsoperndramaturgen Peter Blaha Beraterkompetenz geholt. Und auch der aus Lettland stammende, derzeitige Chef des berühmten Amsterdamer Concertgebouw Orchester, Mariss Jansons, hält seine fördernde Hand über das vom Slowaken Peter Feranec geleitete über 150 (!) Musiker starke Orchester. Nicht nur für das sommerliche Sankt Peterburg also, sondern auch für das Michailowski Theater sind die Nächte hell. Kekhman ist so engagiert wie vorsichtig: Prokofjews Liebe zu den drei Orangen bei seinem Zweitjob auf den Spielplan zu setzten, das lässt er dann doch lieber. Aber Schostakowitschs Nase und Lady Macbeth von Mzensk, die werden wohl an den Ort ihrer Uraufführung zurückkehren. Das erste Kapitel für ein neues russisches Opernmärchen jedenfalls ist geschrieben

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Michailowski-Theater,
Sankt Petersburg


Cover

Die Fassade - Elegeanz ohne zu protzen (Foto: Michalowski-Theater)



Cover

Blick in den frisch renovierten Saal (Foto: Michalowski-Theater)

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Michailowski-Theater
(Homepage)




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