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Ein Versuch, die Oper des 20.Jahrhunderts in Buchform zu pressen:

28 Autoren finden (k)ein gemeinsames Thema


Von Stefan Schmöe, Wuppertal
Januar 2000



Rechtzeitig zum Ausklang des Jahrhunderts zieht der Metzler Verlag ein 686 Seiten starkes Resümee der Oper im 20.Jahrhundert. Der Zeitpunkt scheint, nicht nur des markanten Datums wegen, günstig zu sein: Die Gattung Oper befindet sich – soweit man das vom heutigen Standpunkt aus überhaupt beurteilen kann – in einer Art Besinnungsphase. Die großen, dogmatisch untermauerten Schlachten sind längst geschlagen, wirklich neue Entwicklungen nicht zu erahnen.

Herausgegeben ist das Werk, das Beiträge von 28 Autoren umfasst, von Udo Bermbach, und es basiert in weiten Teilen auf Vorträgen, gehalten an der Hamburger Universität. Angesichts der Heterogenität der diversen Entwicklungslinien der Oper ist der Rückgriff auf ein Autorenkollektiv vielleicht ganz sinnvoll: Der Vielfalt der Strömungen entspricht eine Vielzahl der Meinungen. Zu einer Betrachtung von einem einheitlichen Standpunkt aus fehlt wohl auch noch die (zeitliche) Distanz.

Das Buch besteht aus zwei Teilen: Im ersten werden Entwicklungstendenzen dargestellt, im zweiten ausgewählte Komponisten. Der erste Teil zerfällt wiederum in zwei Bereiche: In die Beschreibung einzelner Epochen der deutschen Operngeschichte einerseits, in die Betrachtung ausgewählter Staaten und deren Opernkultur andererseits. Wer nicht wenigstens in einem dieser Siebe hängen bleibt, der wird übergangen. Zu den prominenten Opfern gehört György Ligeti, dessen Grand Macabre, derzeit in Mönchengladbach und Krefeld auf dem Spielplan, zu den meistgespielten Nachkriegsopern gehört; dessen Landsmann Béla Bartok ist mit Herzog Blaubarts Burg (zuletzt in Wuppertal) zwar in den Spielplänen und CD-Regalen, nicht aber in diesem Buch vertreten. Mauricio Kagels freche theatralische Versuche werden leider ebenso übergangen wie Hindemiths ernste Opern (Mathis der Maler, Cardillac). Stockhausen wird oft erwähnt, sein Opernschaffen aber nur am Rande gestreift – das ist dann doch sehr wenig.

Das Verfahren hat aber noch einen entscheidenden Schwachpunkt: Den Kapiteln über "Entwicklungstendenzen" werden die wichtigsten Repräsentanten genommen, denn denen ist ja (weiter hinten) je ein eigenes Kapitel gewidmet. So muss die Betrachtung der italienischen Oper ohne Luigi Nono auskommen; die (west-)deutsche Nachkriegsoper wird unter Aussparung so exponierter Gestalten wie Hans Werner Henze, Bernd Alois Zimmermann und Wolfgang Rihm beschreiben, und ohne Alban Berg ist die Geschichte der Oper zwischen den Kriegen arg verzerrt. Umgekehrt ist diese Sonderstellung einzelner Komponisten bedenklich: Wolf-Dieter Peter freut sich in seinem Aufsatz über Janácek zwar, dass "das langjährige Zweigestirn Dvorak/Smetana am einheimischen Musikhimmel inzwischen um Janácek zum Dreigestirn erweitert" ist, übersieht aber, dass Bücher wie dieses mit ihrer Reduktion auf bestimmte Vorzeigekomponisten solchen einengenden Blickwinkel letztendlich festigen..

Natürlich steht und fällt ein solcher Sammelband mit der Qualität der einzelnen Beiträge, und die ist recht unterschiedlich. Gleich reihenweise erliegen die Autoren einem enzyklopädischen Verlangen nach Vollständigkeit: Das Aufzählen aller irgendwie wichtigen italienischen oder skandinavischen Opernkomponisten oder Abarbeiten des Werkekatalogs eines Komponisten ist mehr ermüdend als informativ. Dem gegenüber stehen allerdings auch sehr lesenswerte Texte, etwa Michael Walters sehr sachliche Analyse von "Oper im Dritten Reich".

Vor allem aber fehlt dem Buch eine verbindende Idee: Zwar gibt Bermbach im einleitenden Essay das politische Moment der Oper als mögliches Leitmotiv für den Band vor (und unterstreicht dies mit einer – reichlich indifferenzierten – Hasstirade gegen den vorgeblich unpolitischen Richard Strauss), doch bezeichnenderweise weicht gerade das Kapitel über Strauss, verfasst von Ulrich Schreiber, diesem Aspekt weitgehend aus. Querverbindungen der Kapitel untereinander sind nur sehr vereinzelt auszumachen. Daher lohnt es kaum, den Band am Stück zu lesen (bestenfalls im ersten Teil ist dies angebracht) – eher kann man bei Bedarf mal einen einzelnen Aufsatz lesen.

Leider ist das Buch mit einer gewissen Sorglosigkeit entstanden. Ulrich Schreiber verwechselt, Thomas Mann zitierend, den Doktor Faustus mit dem Zauberberg (einschließlich Quellenangabe); Janáceks Geburtsjahr ist falsch angegeben; Christoph Blitt zitiert einen längeren Kommentar Bernd Alois Zimmermanns innerhalb weniger Seiten gleich zweimal in voller Länge; Ulrich Schreiber gelingt es, einen Satz zweimal direkt nacheinander identisch niederzuschreiben. Und die Rechtschreibkontrolle gibt sich liberal. Für sich genommen sind das Kleinigkeiten, in der Summe ist es ärgerlich.




Cover



Udo Bermbach (Hrsg.)
Oper im 20. Jahrhundert
Entwicklungstendenzen und Komponisten

Stuttgart und Weimar
Metzler Verlag 2000.
Gebunden, 98.- DM
ISBN 3-476-01733-8


mit Beiträgen von U. Bermbach, J.M. Fischer, J. Schläder, U. Kienzle, N. Grosch, M. Walter, S. Mösch, G.R. Koch, S. Neef, B. Pauls, S. Döhring, D. Redepenning, W. Sandner, A. Kreutziger-Herr, U. Schreiber, H. Krellmann, U. Schweikert, F. Harders-Wuthenow, W.-D. Peter, R. Ermen, E. Kröplin, K. Zehelein, H.-K. Jungheinrich, C. Blitt, K. Angermann, B. Borchard, S. Matthus und G. Schneider



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