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Festspiele
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Händel-Festspiele

in Göttingen 1996



31. Mai - 3. Juni

Festspielkritik



Bevor am Nachmittag Nicholas McGegan mit seinem Einführungsvortrag die Festspiele offiziell eröffnete, fand am Vormittag im Alten Rathaus die Ausstellungseröffnung Paul Thiersch und die Bühne statt. Hierbei wurden nicht nur Bühnenbildentwürfe zu Aufführungen der Göttinger Händel-Festspiele aus den Jahren zwischen 1920 bis 1924 gezeigt, sondern das große Spektrum dessen, das die Arbeiten Paul Thierschs generell aufweisen.
Die wohl gegliederte und sehr eindrucksvolle Ausstellung wurde übrigens in Halle von Dr. Katja Schneider konzipiert und war letztes Jahr zu den dortigen Festspielen erstmals zu sehen. Auch die Konzeption und Redaktion des wunderschönen Katalogs lag in den Händen von Frau Dr. Schneider.
Musikalisch umrahmt wurde die Ausstellungseröffnung mit der Suite op. 131c Nr. 2 d-moll für Violoncello von Max Reger (1915), mit der die junge und sehr begabte Cellistin Katharina Troe eine excellente Visitenkarte ihres Könnens abgab.

Im - wieder einmal - völlig überfüllten Studio des Deutschen Theaters gab dann Festspielleiter Nicholas McGegan mit seinem Einführungsvortrag Händel und seine deutschen Freunde erneut eine Kostprobe seines Talentes als Entertainer. Sowohl historisch entscheidende Fakten als auch farbige Darstellungen der Zeitumstände präsentierend begeisterte er mit seinem sympathischen Plauderton - in Deutsch, Englisch und Französisch - die Anwesenden, für die diese Veranstaltung zum obligatorischen, amüsanten Auftakt der Festspiele gehört.

Die am Abend im Deutschen Theater zur Aufführung gelangte Produktion von Händels Oper Riccardo Primo wurde dann allerdings weniger zu einem Vergnügen. Zwar nimmt diese Oper Händels schon gleich durch den beeindruckenden, stürmischen Beginn mit Unwetter, Donner und Blitz, kenterndem Schiff und der Rettung der Schiffbrüchigen den Zuschauer für sich gefangen, aber leider kam weder Sturm noch irgendein anderer dramatischer Impuls aus dem Orchestergraben. Die dieses Jahr erstmals engagierte The Hanover Band aus Brighton enttäuschte auf (fast) ganzer Linie. Einzig einige schöne Flöten-Soli und die eine oder andere lyrische Passage hatten das Niveau, das man seit Jahren von dem erstklassigen Freiburger Barockensemble geboten bekam. In dieser Besetzung jedenfalls ist die Hanover Band - mit unpräzis und völlig blutarm spielenden Streichern und unschön klingenden Oboen - in keinster Weise eines so anspruchsvollen Festivals würdig.
Im Gegenteil dazu konnten aber zumindest die Solisten Penelope Walker (Riccardo Primo), Lynda Russell (Constanza), Lorna Anderson (Pulcheria), David Thomas (Isacio) und George Mosley (Berardo) den musikalischen Eindruck des Abends noch verbessern. Janet Shell als Oronte war allerdings für diese Partie stimmlich nicht durchschlagskräftig genug.
Nicholas McGegan schien sich mit dem orchestralen fast-food abgefunden zu haben, mühte sich aber trotzdem, dem Abend noch ein festivalwürdiges Niveau zu geben.
In den bezaubernden - nach barockern Mustern gearbeiteten - Bühnenbildern von Scott Blake und den aufwendigen Kostümen von Bonnie Krüger (=> Aufführungsfotos) agierten die Sänger in der Inszenierung von Kate Brown - die hier zum ersten Mal Regie führte - recht unterschiedlich. Abgesehen davon, daß die Partien natürlich unterschiedlichen "Charakters" sind, ist keine durchgängige Konzeption in der Personenführung - wie sie z. B. bei Drew Minter vor Jahren zu sehen war - zu erkennen gewesen. Trotzdem waren viele Szenen überzeugend gearbeitet.

Das Open-Air-Konzert am Samstag Morgen auf dem Wilhelmsplatz schien schon fast ins Wasser zu fallen. Die tropischen Temperaturen vom Vortag waren einer Regenfront gewichen und drohten, das St. Petersburg Brass Quintett und das erwartungsvolle Publikum im Regen stehen zu lassen. Glücklicherweise besserte sich das Wetter und auch das Brass Quintett kam mit jedem Stück in größere Spiellaune. Ihre Werkauswahl reichte dabei von Händel, über Verdi bis zu russischen Volksweisen. Wer dabei auf den Geschmack gekommen war, konnte das St. Petersburg Brass Quintett am Abend noch im 1. Nachtkonzert im Alten Rathaus live miterleben.

Im Cembalokonzert in der St. Nikolai-Kirche begeisterte dann Andreas Staier die Zuhörer nicht nur durch technisch anspruchsvollen Läufe und Triller, sondern auch - vielleicht auch vor allem - durch spannungsvoll gestaltete langsame und polyphone Sätze. Neben zwei Suiten von Händel (Nr. 5 und Nr. 8) standen noch das Praeludium VIII mit Chaconne von Johann Caspar Ferdinand Fischer, eine von J. S. Bach bearbeitete Sonata a-moll von Johann Adam Reineken und die von Bach selbst für Cembalo (d-moll BWV 964) bearbeitete Violinsonate a-moll auf dem Programm.

Das Chorkonzert in der Aula am Wilhemsplatz war dem Thema Herkules gewidmet. Hierbei standen sich zwei Werke gegenüber, die sich, sowohl kompositionstechnisch als auch interpretatorisch, als höchst unterschiedlich erwiesen.
So zeigte sich bei J. S. Bachs Herkules auf dem Scheidewege, daß sich Stimmen - auch hervorragender Solisten, wie Ann Archibald* (Sopran), Nathalie Stutzmann* (Alt) und Rufus Müller* (Tenor) - nicht beliebig miteinander kombinieren lassen. Zu unterschielich waren diese timbriert, um miteinander verschmelzen zu können (Duett: Alt-Tenor).
In G. F. Händels The Choice of Hercules waren die stimmlichen Verhältnisse schon besser sortiert. Vor allem gefiel Sally Bruce-Payne durch ihre wunderbar weiche und wohlklingende Mezzosopranstimme.
Das Wilhelmshavener Vokalensemble* (Einstudierung: Ralf Popken*) bewies seine musikalischen Qualitäten durch Flexibilität, Intonationssicherheit und prägnanteTextverständlichkeit.
Nicolas McGegan gab - vor allem in Händels Werk - dem Ganzen seine treibenden Impulse und brachte auch Hanover Band (zum Teil) auf höhere Touren, als noch in der Oper Ricardo primo.

Auch die Aufführung des Oratoriums Belshazzar - als Co-Produktion mit dem RIAS-Kammerchor - in der St Johannis-Kirche wurde nicht zu dem großen Ereignis, das man vielleicht erwartet hatte. Ganz hervorragend waren allerdings der RIAS-Kammerchor* und die Solisten Lynne Dawson (Nitocris) und James Bowman* (Daniel). Adäquat besetzt waren auch Robert Chafin* als Belshazzar und Nathan Berg* als Gobrias, während die Partie des Cyrus mit Eirian James* eindeutig unterbesetzt war (so zumindest der live-Eindruck). Marcus Creed* sorgte, zusammen mit der Akademie für Alte Musik Berlin, für eine zum Teil sehr spannende Aufführung, die aber vor allem von den großen Chorszenen lebte.

Daß es während dieser Festspiele doch noch zu einem uneingeschränkten Höhepunkt kam, ist dem Ensemble Concerto Köln zu verdanken. Was sie in dem Orchesterkonzert in der Aula am Wilhelmsplatz zu Gehör brachten, ließ die Orchesterleistungen des vorher Gehörten in noch kritischerem Licht erscheinen.
Gerald Hambitzer* war dabei der behende Solist in den beiden Orgelkonzerten von Händel (op. 7 Nr. 4 d-moll und op. 13 Nr. 4 F-dur) und Cordula Breuer* und Martin Sandhoff* im Konzert für Blockflöte, Traversflöte und B.c. e-moll von G. Ph. Telemann und dem Adagio und Fuge d-moll für 2 Flöten und Streicher (Falck 65) von Wilhelm Friedemann Bach. Den Abschluß des offiziellen Programms bildete die Sinfonie op. 6 Nr. 6 g-moll von Johann Christian Bach. Das Concerto Köln bedankte sich beim restlos begeisterten Publikum erfreulicherweise noch mit einigen Zugaben.

Einen weiteren Höhepunkt bildete das 2. Nachtkonzert in der St. Marien-Kirche. Hierbei demonstrierte das Wilhelmshavener Vokalensemble unter der umsichtigen Leitung von Ralf Popken auch seine a cappella-Qualitäten. Tonschönheit, saubere Intonation und die musikalisch differenzierte Ausgestaltung prägten die Interpretationen der Werke von Zachow, Kuhnau, Johann Ludwig Bach, Altnickol, und J. S. Bach. Komplettiert wurde das Programm durch Nicolas McGegan, der Cembalowerke von Händel, Kuhnau und Telemann spielte.

Außerdem wurde am Sonntag ein ökomenischer Festgottesdienst in der St Paulus-Kirche gefeiert, in denen von Pfarrer Norbert Hübner und Pastor Dr. Ernst Arfken sowohl kirchliche, als auch musikalische Aspekte als für den Menschen maßgebliche Faktoren angesprochen wurden. Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst durch einzelne - der Liturgie entsprechende -Sätze aus Händels Messias, ausgeführt vom Singkreis St. Paulus und der Akademischen Orchestervereinigung unter der Leitung von Jörg Küchenmeister .

Als theoretischen Beitrag zu den Festspielen hielt Prof. Dr. Klaus Hofmann (Göttingen) in der Aula am Wilhelmsplatz einen wissenschaftlichen Festvortrag über Händel und seine deutschen Zeitgenossen. In einem historischen Teil widmete er sich den vier für Händel bedeutensten deutschen Persönlichkeiten: Reinhard Keiser, Johann Mattheson, Georg Philipp Telemann und Johann Sebastian Bach. Im zweiten, analytischen Teil stellte Hofmann dann die kompositorischen Unterschiede zwischen Bach und Händel anhand von ausgewählter Beispiele dar.

Rechtzeitig zu diesen Festspielen erschien auch der VI. Band der Göttinger Händel-Beiträge (im Auftrag der Göttinger Händel-Gesellschaft herausgegeben von Hans Joachim Marx). Es ist im Übrigen der erste Band, der nicht bei Bärenreiter in Kassel, sondern im ortsansässigen Verlagshaus Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen erscheint (nicht mehr in Orange, sondern jetzt in Blau). An der Konzeption der - in unregelmäßigen Abständen erscheinenden - Reihe wird sich allerdings nichts ändern.
Dieser VI. Band enthält sowohl die Festvorträge aus den Jahren 1993 und 1994, die gehaltenen Referate des Symposions von 1995, als auch acht interessante Aufsätze, die sich in erster Linie mit dem Werk Händels beschäftigen. Ergänzt wird dieser Band durch Rezensionen zu neuerer Händel-Literatur, eine - leider nicht auf dem neuesten Stand befindliche - Diskographie der Opern, Schauspielmusiken, Oratorien, Serenaden und Oden Händels (warum um Himmels Willen sind z.B. die Göttinger Produktionen von Ottone und Ariodante nicht mit aufgeführt?!) und eine Bibliographie der Händel-Literatur, die in den Jahren 1993-1995 erschienen ist.

Programm der Festspiele

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Gerhard Menzel

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