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Tage Alter Musik in Herne

13. - 16. November 1997

Festspielkritik


Von Meike Nordmeyer und Gerhard Menzel





Zistern und Gitarren
und
Eine neue Errungenschaft

Die Stadt Herne ist seit kurzem um einen brandneuen Ausstellungsraum reicher. Er befindet sich schräg gegenüber des Kulturzentrums (Berliner Platz 5) im Hause der Martin-Opitz-Bibliothek und entspricht wohl allen Anforderungen, die man an moderne Ausstellungsräume stellen kann. Ein geräumiger, heller Raum, mit zahlreichen Stell- und Ausleuchtungsmöglichkeiten und sogar drei klimatisierten Vitrinen.

Zur Eröffnung der Musikinstrumentenausstellungen der Stadt Herne, die unter dem Motto Zistern und Gitarren stand, waren die Vitrinen - die rundherum einsehbar sind und die Exponate somit (fast) optimal betrachtet werden können - um die im Zentrum aufgestellten Stuhlreihen herum angeordnet. So konnte man während der Vorträge schon einmal seine Blicke über die angesprochenen Objekte schweifen lassen, bevor in einem Rundgang speziell auf die besonderen Merkmale einzelner Instrumente eingegangen wurde.

Nach den begrüssenden Worten des Oberbürgermeisters Wolfgang Becker gab Prof. Dr. Christian Ahrens (Ruhr-Universität-Bochum) eine kurze Einführung in die Thematik. Konzipiert und zusammengestellt wurde die Ausstellung der historischen Originalinstrumente von Dr. Andreas Michel (Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig), der nach seinen Ausführungen zur Entwicklung volkstümlicher Zupfinstrumente in der schon erwähnten Führung durch die Ausstellung speziell auf die äusserst sehenswerten Exponate einging.

Im Rahmen dieser Eröffnung spielte Hans-Michael Koch auf zwei Nachbauten historischer Instrumente Werke von Francois Corbetta, Ludovico Roncalli, Gaspar Sanz, Fernando Sor und Francois de Fossa, wobei er auch auf die Besonderheiten der unterschiedlichen Stimmungen einging.

Der excellente, anschauliche und wissenschaftlich fundierte Ausstellungskatalog enthält übrigens neben dem Beitrag Gitarre und Zister - Beziehungen und Divergenzen einer Verwandschaft von Andreas Michel auch einen sehr informativen Beitrag von Ingo Negwer: Die Gitarre und ihre Musik in Renaissance und Barock.



gestrichen und gezupft

Unter dem Motto gestrichen und gezupft wurden im Foyer des Kulturzentrums Kopien und Nachschöpfungen in- und ausländischer Werkstätten ausgestellt und zum Kauf angeboten. Violinen und Liren, Harfen, Lauten und Gitarren, Fideln und Violinen in den unterschiedlichsten Grössen und Formen gaben einen eindrucksvollen Überblick über die Kreativität der Instrumentenbauer vom Mittelalter bis zum Barock und ihrer heutigen Kollegen. Von den über 30 Ausstellern kamen dabei 10 aus den Nachbarländern Niederlande, Frankreich, England, Italien und der Schweiz.

Neben den Hauseigenen Schallplatten und CD-Produktionen (der Stadt Herne und des WDR) gab es auch eine riesige Auswahl an weiteren CD's, Noten, Büchern und Accessoires zum Thema (Alte) Musik. Da konnte man schon so manchen Weihnachtseinkauf erledigen oder einfach nur seine eigene Sammlung bereichern.




Musikalische Wanderungen

inventio - variatio - parodia in der Musik von 1200 bis 1800 lautete das Motto der Konzertreihe des WDR, der in seinen 11 Konzerten wieder ein grosses Spektrum zu dem gewählten Leitthema präsentierte. Schwerpunkte dabei waren u.a. die unterschiedlichen "Wege" und Entwicklungen von Melodie- und Satzmodellen in der europäischen Musikgeschichte. An der virtuosen Behandlung von Melodien konnte man hören, wie sich die musikalische Phantasie an Variation und Bearbeitung entzündete und so zu neuen Formen führte. Wanderungen zwischen den musikalischen Gattungen - wie Chanson und Messe, Konzert und Kantate - waren dabei ebenso zu erleben wie Spaziergänge durch die Tonarten des Quintenzirkels und der Chromatik.

Insgesamt gelang es Barbara Schwendowius und Klaus L. Neumann von der Redaktion Alte Musik des WDR auch diesesmal, zu einem gewählten Thema eine interessante, anspruchsvolle und stilistisch breit gefächerte Konzertreihe zu initiieren.

Nach der Erstsendung dieser Konzerte im Radio auf WDR 3 zwischen November 1997 und Februar 1998 werden diese sicherlich im Laufe des Jahres auch wiederholt gesendet.




Alle folgenden Fotos von © WDR/KL Neumann



Zwischen Kirche und Kirmes
Liedvariationen des 17. Jahrhunderts

musica antiqua köln
Leitung: Reinhard Goebel

Instrumentale Variationen und freies fantasieren über bekannte Lieder bildeten den ersten Teil dieses Konzertes. Hierbei fiel besonders der feine Ton des ersten Geigers, Florian Deuter auf. Ansonsten dominierte hauptsächlich der informative Gehalt der verschiedenen Kompositionen über Innsbruck, ich muß dich lassen und O Nachbar Roland.

Im zweiten Teil setzte musica antiqua köln dann - in altgewohnter Form und mit odentlichem Temperament - zu einem furiosen Endspurt an, der in Johann Heinrich Schmelzers Sonate Polnische Sackpfeyffen und einer Sonate von Johann Valentin Meder seinen Höhepunkt fand. Der genaue Titel dieser spektakulären Sonate für zwei Violinen, zwei Violen und Basso continuo lautet übrigens Der polnische Pracher mit seiner aus einem alten Babilonischen Weidenstock zugehauenen, mit verschiedenen ausgedörrten Kalbsheuten geflickten, mit dritthalb Paar verrosteten Eisernen Seiten bezogenen, und mit einem, an einem alten Fingerhut hengenden Federkiel, gespielten Pandur, nebst seinem erbärmlich schön singenden Discantisten Pachole in einem Musicalischen Concentum von 5. Instrumenten (1689). So klang es auch! Sehr unterhaltsam.

Moderiert wurde dieses Konzert, das wieder einmal live im Radio übertragen wurde, von Silke Leopold.



Anchor che col partire
Virtuose Diminutionen

Ruth Holton, Sopran
Fretwork Wendy Gillespie
Richard Campbell
Willian Hunt
Julia Hodgson
Richard Boothby

Am Freitag nachmittag war das bekannte Gambenconsort Fretwork zu hören.Die fünf Musiker boten in wechselnder Besetzung und teilweise gemeinsam mit der Sopranistin Ruth Holton eine Reihe von reizenden Werken, die der im 16. Jahrhundert reich blühenden Diminutionskunst erwachsen sind. Die Streichinstrumente verströmten eine warmen Wohlklang, ihr singender Tonließ eine meditative Ruhe entstehen. Der Zusammenhalt beim Musizieren mußte sicherst noch etwas entwickeln, er wurde aber bald immer intensiver und bewegender. Leichte Schwierigkeiten mit der Intonation gab es nur in einem Werk zu hören, sie konnten jedoch schnell wieder überwunden werden. Bei der Ausführung der kunstvollen Diminution gab es bemerkenswerte Einzelleistungen in den verschiedenen Stimmen, so vor allem in der Diskantviola.

Die Sängerin Ruth Holton paßte mit ihrer sehr klangschönen, eher kleinen Stimme außerordentlich gut zu den warmen alten Instrumenten. Sie intonierte in den anspruchsvollen Stücken absolut sicher, der Stimmausdruck blieb jedoch zurückhaltend, die hohen Töne wurden leider etwas zurückgezogen.
Interessant war es, die verschiedenen Variationen der Diminutionskunst auf den schönen Instrumenten gemeinsam mit dem klangschönen Sopranzu erleben, ein wohltönendes Konzert wurde geboten.

(Meike Nordmeyer)



Hortus melodiarum
Bearbeitungen und Variationen

Andreas Steier, Cembalo

Andreas Steier ließ einen glänzenden Vortrag auf dem Cembalo hören. Im erstenTeil des Konzertes standen zwei Sonaten von Bach auf dem Programm, es sind zwei Bearbeitungen, die Bach zum einem nach Johann Adam Reincken zum anderen von einer eigenen Violinpartita vornahm. Staier trug souverän und in gemessenen Tempi die Bachschen Werke vor. Meisterhaft arbeitete er Bachs hohe Kunst des Kontrapunktes heraus,legte diese mit Klarheit und Präzision an den Tag, und daraus konnte sich leichtdie hohe Dynamik der Bachschen Musik entwickeln.

Im zweiten Teil wurden Werke von Byrd, Frescobaldi und Sweelinck gegeben. Es fiel auf, wie sehr Staier es vermochte, bei jedem einzelnen Werk dessen eigenen Charakter herauszuarbeiten. Gespannt folgte man der instrumentalenErzählkunst des Cembalisten. Ein besonders ausgefallenes Stück im Programm war "The Bells" von Byrd, in dem, wie der Titel bereits verspricht, der Klang der Glocken nachempfunden wird. Die Musik vertieft sich in einemverharrenden Beschreiben - fast sieht man sich an den Gestus der Minimal Music erinnert, das Stück mutet wie ein intelligenter kleinerVorläufer an. Natürlich ist dieser Gedanke völlig übertrieben, er blitzte aber anregend beim intensiven Spiel Steiers auf. Bei dem begeisterten Publikum bedankte sich der Tastenkünstler schließlich noch mit zwei Zugaben, es erklangen zwei heitere kleine Stücke von Byrd.

(Meike Nordmeyer)



Modo Peruscino
Kontrafaktur in der italienischen Ars subtilior 1390-1415

Mala PunicaLeitung und Moderation:Pedro Memelsdorff

Das Nachtkonzert des Ensembles Mala Punica erwies sich als ein wahres Konzentrationstraining. Die Musik des ausgehenden 14. Jahrhunderts bis zum 15. Jahrhundert ist zum einen noch weitgehend unbekannt und zum anderen äusserst anspruchsvoll. So forderten die Werke von Komponisten wie Filipottus da Caserata, Matteo da Perugia, Bartolomeo da Bologna und Francesco Landini sowohl von den Ausführenden wie von den Zuhörern eine gehörige Portion an Konzentration und Durchhaltevermögen. Zumindest den Musikern kann bescheinigt werden, dass sie den hohen Ansprüchen der Musik gerecht wurden.

Neben den Instrumentalisten des Ensembles Mala Punica kam den beiden Vokalisten Jill Feldman und Gianluca Ferrarini eine besondere Bedeutung zu. Die technischen Anforderungen, die wirklich subtilen Intervall- und Artikulationsdifferenzierungen tatsächlich hörbar zu machen, sind in der Tat enorm. Ars nova-Spezialist Pedro Memelsdorf, der die musikalische Leitung hatte und auch auf der Blockflöte brillierte, moderierte das Konzert und liess es trotz der späten Stunde und der dadurch zum Teil nur begrenzten Aufnahmefähigkeit, zu einem interessanten Erlebnis werden.



In nomines & Brownings

Rose Consort of Viols

In Nomine- und Browning-Vertonungen von William Byrd, Christopher Tye,Orlando Gibbons, William Lawes, Henry Purcell u.a. zu drei bis sechs Stimmen liessen den Samstag Vormittag zu einem träumerischen Klanggenuss werden. Die excellent gespielten Violen des Ensembles haben einen ganz besonderen Reiz, dem man sich schwerlich entziehen kann.

Während der Browning eine rein weltliche Form ist, bei der eine volktümliche Melodie in den unterschiedlichsten Bearbeitungen wiederholt wird, stützen sich die In Nomine-Vertonungen auf einen Cantus firmus, der mit anderen Stimmen durch allerlei kontrapunktische Künste umrankt wird. Vom Anfang des 16. Jahrhunderts an bildeten Kompositionen über das In Nomine für ca. 150 Jahre eine Herausforderung für viele Komponisten in England.

Die Bedeutung dieser beiden Gattungen konnten die Musiker des Rose Consort of Viols (mit Sarah Groser) durch ihr ungemein klangschönes Musizieren auf eindringliche Weise unter Beweis stellen. Ein ganz ausserordentliches Konzert.



Musica transalpina
Italienisch-niederländisch-englische Madrigale

Gesualdo Consort Amsterdam
Leitung: Harry van der Kamp

Liebesschmerzenslust oder "Qual und Pein - das sind meine Leckereien"

Das Gesualdo Consort bot in seinem Konzert italienische Madrigale undentsprechende niederländische und englische Werke. Die Madrigalkunst, die im 16. Jahrhundert von Italien ausging, strahlte aus in die Nachbarländer,vor allem in die Niederlande und England. Auch in diesen Ländern suchte man sich der neuen muttersprachlichen Musikform zu nähern, und es entstanden nur allzu folgerichtig englische und niederländische Übertragungen der italienischen Vorlagen. In ihrem Programm bot das Gesualdo Consort eine dichte Zusammenstellung von italienischen Madrigalen und ihren anderssprachigen Versionen.

In Italien gingen die Texte aus vom Petrarcismus, der sich mit dem Madrigal gleichsam seine adäquate Musikform schaffte. Es waren dies Verse von weltlicher, sinnenfreudiger und schmerzberauschter Minne, die der Musik nun zugrundelagen. Das hat einige Komponisten allerdings nicht daran gehindert, bald wiederum den weltlichen Text ins Geistliche zu übertragen. Dies mutet nur auf den ersten Blick überraschend an, es war tatsächlich aber keine fernliegende Verbindung. Leicht konnte die weltliche Liebe zur Jesus-Minne umgedeutet werden, denn diese erstaunliche, im 16. Jahrhundert weitverbreitete Textsorte pflegte entsprechenden Tonfall in den gleichen intensiven Bildern - nur der Angesprochene war ein anderer.

Daß die Grenzen zwischen der weltlichen und geistlichen Liebesdichtung dieser Zeit mitunter fließend sind, konnte im Konzert des Gesualdo Consorts besonders deutlich werden. Dies ist vor allem der Tatsache zu verdanken, daß Harry van der Kamp, der Leiter des Ensembles,vor jedem Madrigal den Text auf deutsch vorstellte.Ins Ohr fiel dadurch die Gemeinsamkeit der Texte: Das Schwelgen in der Beschwörung der Liebe, vor allem die lustvolle Ausmalung der Schmerzen, die dieLiebe bringt. Durch die Textlesung wurden die Zuhörer trefflich vorbereitet auf den musikalischen Vortrag, das genaue Wort-Ton-Verhältnis, die illustrative Affektdarstellungder Musik konnten anschließend besonders aufmerksam verfolgt werden. Zudem verlas Kamp die Texte nicht nur innig, sondern auch mit viel Humor, sodaß der punktuell vertretene subversive Humor der Texte freigesetzt werden konnte.

Glänzend war die musikalische Ausführung der verschieden besetzten Madrigale durch das Gesualdo Consort. Ihre perfekte Intonation ermöglichte ihnen eine noble Gelassenheit, der es nicht im Geringsten an Spannung fehlte. Die Stimmen des Consorts klangen wunderbar, manchmal wie edle Flöten, im Zusammenklang auch wie eine Orgel - ein wahres Klangerlebnis in der Kreuzkirche von Herne. Das umfangreiche Programm, das das Ensemble vorbrachte, verlangte dem Zuhörer zwar durchaus große Ausdauer ab, diese wurde aber allerseits mühelos aufgebracht vom gebannten Publikum.

(Meike Nordmeyer)



Vom Konzert zur Kantate
Johann Sebastian Bach in eigenen Bearbeitungen

Kai Wessel - Altus
Monica Huggett - Violine
Gary Cooper - Cembalo und obligate Orgel
Ensemble Sonnerie

Die Tage alter Musik in Herne zeichnen sich vor allem durch ihre außerordentlich interessanten Themen-Konzerte aus. Am Samstag Abend ging es in einem solchen Konzert um ein bestimmtes Materialcorpus von Johann Sebastian Bach. Den Ursprung dieses Materialsbildet vermutlich ein Bachsches Oboenkonzert, das aber nicht erhalten ist. Von manchen Musikwissenschaftler wird sogar angezweifelt, ob es ein solches Konzert überhaupt gegeben habe. Es liegen dagegen jedoch einige eng miteinander verwandten Werke von Bachvor, die sich als Ausschöpfung des einen Materialstamms deutlich zu erkennen geben. Die gemeinsame Aufführung dieser Werke am Samstag Abend in Herne umkreiste nicht nur das geheimnisvoll zweifelhafte Oboenwerk, sondern erhellte vor allem die schöpferische, vielseitige Arbeit des Komponisten.

Nicht nur aus arbeitsökonomischen Gründen eines vielbeschäftigten Musikers, sondern wohl auch aus Achtung vor der eigenen Arbeit nutzte Bach seine Einfälle mehrfach und pflegte sein Material dadurch; kam es doch andernfalls viel zu häufig vor, daß eine Auftragskomposition nach der Aufführung im kleinen Kreise keine weitere Umsetzung mehr fand. Wieviele wertvolle Stücke sich durch diese Arbeitsweise weiterhin entwickeln konnten, wurde an diesem Abend deutlich. Daß überhaupt so vielerlei Transformation eines Grundmaterialsmöglich war, ist wohl der außergewöhnlichen Einheitlichkeit der Bachschen Musik zuzuschreiben, so das Resümee der informativen Moderation von Dr. Wolfgang Sandberger.

Intensiv und konzentriert spielte das Ensemble Sonnerie unter der aufmerksamen Leitung von Monica Huggett. Es bildet einen schönen Klangkorpus aus alten Instrumenten, wie bereits in der Sinfonia zu hören war. Gary Cooper meisterte den virtuosen Part der obligaten Orgel in diesem Werk. Beim folgenden Cembalo-Konzert spielte er souverän das Soloinstrument. Zwei Kantaten für Alt-Stimme, die Bach aus dem Material erarbeitet hat, wurden anschließend von Kai Wessel vorgetragen. Der Sängerlieferte eine anspruchsvolle stimmliche Gestaltung der Kantate in übrigens ausgezeichneter Diktion.

Huggett hat neben der Arbeit mit dem Ensemble Sonnerie sich auch als Solistin der Barock-Geige einen Namen gemacht. Sie spielte nach der Pause den halsbrecherischen Solopart des Violinkonzertes. Dieses Werk ging ebenfalls aus dem gemeinsamen Bachschen Materialstamm hervor. Die Vorlage des Konzertes ist zwar nicht erhalten, es konnte aber gut rekonstruiert werden. Huggett läßt die Barockgeige bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten im virtuosen Vortrag erklingen. Im schnellen Spiel bleibt leider nicht viel Raum zum Musizieren und zum intensiven Klang. Das wird aber im zweiten Satz geliefert, das Instrument singt im warmen Ton. Das Publikum ist von Huggetts Vortrag begeistert.

Den Abschluß des überaus interessanten, reichen Konzertes bildet eine Kantate in großer Besetzung, wiederum mit Kai Wessel. Das Werk wurde von allen Musikern gemeinsam ausgesprochen abgerundet und reif musiziert.

(Meike Nordmeyer)



Du ausserweltes schöns mein herz
Oswald von Wolkenstein

Augsburger Ensemble für frühe Musik
Sabine Lutzenberger
Hans Ganser
Rainer Herpichböhm
Heinz Schwamm

Am späten Abend: Besonders Altes herzlich frisch gespielet

Wieder bestand das Konzertprogramm aus der Zusammenstellung von Vorlagen und deren Bearbeitungen. Sehr häufig zeigt sich in der alten Musik diese Arbeitsweise, von geschätzten Werken anderer Komponisten auszugehen.Neigen wir heutzutage zu dem Vorurteil, dem Musiker sei wohl nichts Eigenes eingefallen, so war die Anlehnung an fremde Werke zu damaliger Zeitganz und gar nicht als Plagiat verschrien, sondern sie wurde angesehen als ein Zeichen der Hochachtung vor der Vorlage und bildete die eigene künstlerische Aneignung und Auseinandersetzung mit dem bewunderten Werk. Auch Oswald von Wolkenstein zog zahlreiche fremde Vorlagen heran, schuf sie aber entschieden seinem Stil, seiner eigenen Sprache und seinem bestimmtem Aussagewollen an. Die von ihm entwickelten musikalischen Metamorphosenkonnten in dem Konzert des Augsburger Ensemble für frühe Musik bewundert werden. Besonders plastisch wurde die umschaffende Arbeitsweise Oswalds erkennbardurch das Verfahren der Augsburger Musiker, erst die Stücke erklärendanzukündigen, dann die Vorlage und schließlich Oswalds Bearbeitung aufzuführen. So zeigte sich zum Beispiel wie aus einem Lobgesang auf die Ehefrau eine Schimpfrede auf die italienischen Zustände werden kann, darauf wies das Ensemble gewitzt hin.

Mit Temperament und sehr humorvoll tragen die engagiertenMusiker ihr Programm vor. Alle beherrschen eine Vielzahl von alten Instrumentenund sind wohl bei Stimme. Sehr eindrucksvoll ist auch das spaßige szenische Spiel, das geboten wird: so wie es damals eben gang und gäbe war. Ein lebhafter Eindruck von der Musikpraxis zur Zeit Oswalds konnte das Augsburger Ensemble vermitteln - ein wertvoller, beschwingter Abschluß des langen Konzerttages.

(Meike Nordmeyer)



Inventio
Wanderungen im Quintenzirkel

Camerata Köln

Das Programm aus unterschiedlichen stilistischen Bereichen der Barockmusik mit Werken von Françoise-André Danican Philidor, Giovanni Paolo Cima, Johann Erasmus Kindermann, Michelangelo Rossi, Angelo Berardi und Jean-Marie Leclair liess einige schöne Beispiele erklingen, wie im Rahmen der Inventio Chromatik und Modulationen sowohl zur farbigen Gestaltung, als auch zu absichtlichen Schockwirkungen verwendet wurden. Das bekannteste Stück dieses Konzertes war übrigens J.S. Bachs Chromatische Fantasie und Fuge d-moll BWV 903, die von der Cembalistin Sabine Bauer in den schillerndsten Farben interpretiert wurde.

Obwohl der Geiger Daniel Deuter (s. Konzert von musica antiqua köln) kurzfristig einspringen musste - und auch das Programm dadurch etwas abgeändert wurde - musizierte das Ensemble Camerata Köln, mit Michael Schneider (Block- und Traversflöte), Karl Kaiser (Traversflöte), Inge Schneider (Violine), Annette Schneider (Violoncello), Marita Schaar-Faust (Fagott) und Sabine Bauer (Cembalo), engagiert und musikantisch beschwingt.



Parodia
Chanson und Messe

Taverner Choir
Leitung: Andrew Parrott

Ein ganz besonderes Erlebnis bescherte Andrew Parrott mit seinem Ensemble den Besuchern der Kreuzkirche; und das in doppelter Hinsicht.

Zum einen das Programm: mit Clément Janequins Missa super La Bataille und Cristóbal de Morales' Missa Mille regretz kamen zwei sogenannte Parodiemessen zur Aufführung. Die weltlichen Vorlagen dieser Messen sind bei Janequin sein eigenes Chanson Escoutez tous gentilz mit dem Untertitel La bataille de Marignan oder La guerre und bei Morales das weltliche Lied Mille regretz, von Josquin Desprez. Bei diesen Parodiemessen wurden aber nicht nur die Melodiestimmen übernommen, sondern auch ganze Satzstrukturen. Im Falle der der Missa super La Bataille adaptierte Janequin sogar die komplette Vorlage mitsamt der lautmalerischen Schlachtschilderung. Zum Vergleich und zur akustischen Nachprüfbarkeit wurden diese Vorlagen jeweils zwischen Gloria und Credo eingefügt und instrumental von Bruce Dickey (Zink) und Andrew Parrott (Orgel) vorgetragen.

Zum anderen die Ausführung: der Taverner Choir präsentierte sich bei diesem Konzert in reiner Männerbesetzung, und zwar mit 6 Kontratenören, 6 Tenören und 3 Bässen. Der daraus resultierende Klang trifft zwar nich jedermanns Geschmack, überzeugt aber durch seinen sehr intensiven und energiegeladenen Ausdruck. Es war jedenfalls ein eindrucksvolles und selten zu erlebendes Hörerlebnis.



Variatio
Divisions, Grounds, Sonaten & La Follia

Trio SonnerieMonica Huggett, Violine
Sarah Cunningham, Viola da gamba
Gary Cooper, Cembalo

Im letzten Konzert stellte sich Monica Huggett nach ihrem Bach-Konzert in grosser Besetzung auch noch mit ihrem Trio Sonnerie vor. Hierzu gehören die ausdrucksstarke Sarah Cunningham (Viola da gamba) und der versierte Gary Cooper (Cembalo). In ihrem reichhaltigen Programm erklangen u.a. Werke von Thomas Baltzar, William Lawes, William Byrd, Dietrich Buxtehude, Marin Marais und Heinrich Ignatz Franz Biber.

Während das seit 15 Jahren zusammen musizierende Trio in den Triosonaten ihr musikalisches Zusammenspiel unter Beweis stellte, konnten sie jeweils in den solistischen Werken auch noch ihre individuelle Virtuosität demonstrierten. Dieses ging zwar oft an die Grenzen des überhaupt spielbaren, begeisterte aber das Publikum durch Temperament und Ausdruckskraft.




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