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Tage Alter Musik in Herne

10. - 14. November 1999

Festspielbericht


Von Meike Nordmeyer, Markus Bruderreck und Gerhard Menzel





Die 24. TAGE ALTER MUSIK IN HERNE standen unter dem Motto "Das deutsche Cembalo". Neben der Ausstellung von Neu- und Nachbauten in- und ausländischer Werkstätten im Foyer des Kulturzentrums fand dieses Jahr im Vorfeld der TAGE ALTER MUSIK zu eben diesem Thema erstmals auch ein eigenständiges Symposium im Haus der Martin-Opitz-Bibliothek statt. Es begann schon am Mittwochnachmittag und wurde bis zur eigentlichen Eröffnung der TAGE ALTER MUSIK am Donnerstagnachmittag fortgeführt.

Das Symposium

Den großen Zuspruch, den dieses Symposium verzeichnen konnte, bestätigt den Entschluss der Veranstalter, die seit 1980 jeweils zum Thema der TAGE ALTER MUSIK ausgerichteten Ausstellungen historischer Instrumente, die anscheinend in den letzten Jahren immer weniger Publikumsresonanz aufweisen konnten, die Ausleih- und Transportbedingungen hingegen immer aufwendiger und kostspieliger wurden, durch ein themenbezogenes Symposium zu ersetzen und somit das Konzept der TAGE ALTER MUSIK nachhaltig zu modifizieren. Die letzte Ausstellung historischer Instrumente im vergangenen Jahr war der Orgel gewidmet.

Unter dem Titel "Das deutsche Cembalo" hat sich das Symposium in diesem Jahr zum Ziel gesetzt, die Auseinandersetzung mit der deutschen Cembalobautradition zu fördern. So fanden sich - unter der Leitung von Professor Dr. Christian Ahrens (Ruhr-Universität Bochum) - zahlreiche Musikwissenschaftler und Instrumentenbauer zusammen, um über deutsche Klangideale und Vorlieben im Cembalobau zu diskutieren.

Zur Halbzeit des Symposiums, am Mittwochabend, dem 10. November, gab es dann Gelegenheit, der Theorie auch etwas Praxis gegenüberzustellen: In der Martin-Opitz-Bibliothek gab Siegbert Rampe ein Werkstattkonzert, in dem er insgesamt acht Cembali zum Erklingen brachte.

Siegbert Rampe dürfte den Kennern und Liebhabern alter Musik ein Begriff sein: Er ist einer der bekanntesten Cembalisten Deutschlands und hat sowohl zahlreiche CDs eingespielt als auch in seinen zahlreichen Veröffentlichungen theoretisch eine Annäherung an die "Alte Musik" versucht.

Für den Abend in Herne hat er ein Programm mit Deutscher Cembalomusik des 18. Jahrhunderts zusammengestellt, das einen chronologischen Gang durch das Jahrhundert bietet. Rampe beginnt mit einer "Giacona" von Johann Krieger aus dem Jahr 1699, gefolgt von der Partita "Uranie" von Johann Caspar Ferdinand Fischer, FWV 81 (ca. 1736). Dieses Werk teilt er sozusagen: Die ersten vier Sätze spielt er auf einem Nachbau eines Gräbner-Instrumentes von John Phillips, die letzten drei Sätze auf einem Nachbau eines Instrumentes von Gräbner Jun. Die Unterschiede im Klang sind auffällig.

Auch bei den übrigen Werken haben die Zuhörer Gelegenheit, den Klang der verschiedenen Cembali miteinander zu vergleichen, gegeneinander abzuwägen. Die äußerst eigenwillige, charaktervolle "Württembergische Sonate" 3 e-moll (1743) von Carl Philipp Emanuel Bach beschließt den ersten Teil des Konzerts. Rampe spielt sie, wie auch die Werke zuvor, mit dem geforderten feinen agogischen Feinschliff.

Der zweite Teil des Konzertes bringt drei Beispiele der Gattung Sonate, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Georg Bendas "Sonatina c-moll" erinnert an Werke von Scarlatti, stilistisch ähnlich ist die "Sonata 6 a-moll" von Johann Wilhelm Hässler, beides kurze Werke von eher leichterem Gewicht. Auf welche Weise dann aber die bekannte Sonate A-Dur KV 331 (mit dem allseits bekannten "Alla Turca"-Satz) von Mozart hier heraussticht, ist doch bemerkenswert: sie erscheint genial-verspielt und äußerst gewagt. Rampe spielt dieses Werk auf einem Cembalo, dessen Originalbau Gottfried Silbermann zugesprochen wird. Leider überzeugt Rampes Interpretation hier weniger, er leistet sich neben Unsauberkeiten sogar einige derbe Schnitzer. Vielleicht aber sind diese Fehler verzeihlich, denn Rampe hatte keine Zeit, sich auf jedes Instrument individuell einzustellen, da diese erst kurz zuvor ausgewählt wurden. Ahrens hatte ihn zudem gebeten, doch ein Werk von Mozart zu spielen, aber bitte keinen Bach. Letzteres tat Rampe dann dennoch: in einer kleinen Zugabe.
(Markus Bruderreck)


Die Instrumentenausstellung im Kulturzentrum

Der Ausstellungskatalog Die Musikinstrumentenausstellung von Kopien historischer Instrumente und Neuschöpfungen in- und ausländischer Werkstätten im Foyer des Kulturzentrums war dieses Jahr wieder einmal den Kielinstrumenten gewidmet. Von den 31 Instrumentenbauern kamen dabei 18 aus Deutschland, 5 aus den Niederlanden, je zwei aus England und Frankreich und je einer aus Italien, Belgien, Österreich und der Schweiz.

Im Gegensatz zu den letzten Jahren ist auch bei den Instrumentenbauern inzwischen eine zunehmende Tendenz festzustellen, sich zeitgemäß mit eigenen Seiten im Internet zu präsentieren. Von den anwesenden Werkstätten waren das Il Laboratorio di Guido Bizzi, William Jurgenson, Sassmann GmbH, Martin-Christian Schmidt, Michael Walker und Marc Ducornet. The Paris Workshop bietet sogar Cembali zum Selberbauen an.

Viele andere Instrumentenbauer, die noch keine eigenen Seiten im Internet aufweisen können, sind zumindest schon einmal per email erreichbar.

Einige Instrumente der Ausstellung im Foyer des Kulturzentrums.


Neben der Instrumentenausstellung im Kulturzentrum gab es noch weitere interessante Angebote: die "hauseigenen" Schallplatten und CD-Produktionen (der Stadt Herne und des WDR), eine riesige Auswahl von weiteren CDs, Noten, Büchern und allerlei Accessoires zum Thema (Alte) Musik. Es ist immer ein hervorragender Zeitpunkt, wo man schon so manchen Weihnachtseinkauf erledigen oder einfach nur seine eigene Sammlung bereichern kann.

Die offizielle Eröffnung der 24. TAGE ALTER MUSIK IN HERNE im städtischen Kulturzentrum schlug dann eine Brücke vom Symposium Das deutsche Cembalo zur Konzertreihe des Westdeutschen Rundfunks, die unter dem Motto Musikalische Begegnungen in Europa stand.

Nach der Begrüßung durch den Oberbürgermeister der Stadt Herne spielte Mitzi Meyerson Deutsche Cembalomusik von Georg Böhm, Dietrich Buxtehude, J.C.F. Fischer, Johann J. Fux und Joh. Seb. Bach.



Die Konzerte des WDR

Musikalische Begegnungen in Europa
Stil und Geschmack - Länder und Nationen

Nachdem die Konzertreihe des WDR im letzten Jahr die Musik zwischen Ostsee und Adria im östlichen Europa ins Zentrum der Öffentlichkeit rückte, konzentrierte sie sich in diesem Jahr auf das Aufeinandertreffen verschiedener Musikstile bzw. Geschmäcker. So standen im 18. Jahrhundert vor allem der italienische und der französische im Mittelpunkt des musikalischen Interesses. Vor allem in den betroffenen Ländern gab es einen schier unüberwindbaren Streit, während es in den Nachbarländern - vor allem in Deutschland - zu durchaus produktiven Kompromissen kam. Besonders engagierte und erfolgreiche Kompositionen im sogenannten "vermischten" Stil stammen u.a. von Georg Philipp Telemann, dem auch ein ganzes (Kantaten-) Konzert mit gewidmet war.


Klingende Geographie
Orchestersuiten und Concerti aus Frankreich, Italien und Deutschland

Neue Düsseldorfer Hofmusik
Konzertmeisterin: Mary Utiger

Neue Düsseldorfer Hofmusik Die "Völker-Ouverture" (Ouverture B-dur, TWV 55:B5) von Georg Philipp Telemann eröffnete dann auch wirkungsvoll den Reigen der acht Konzerte. Zusammen mit Johann Sebastian Bachs Ouverture h-moll (BWV 1067) - mit dem versierten Solisten Michael Schmidt-Casdorff (Traversflöte) - bildeten diese zwei Werke Beispiele für den deutschen "vermischten Geschmack", der den Dualismus zwischen italienischem und französischem Stil erfolgreich auflöste. Beispielhaft für die dreisätzige, italienische Concerto-Form war Giovanni Plattis Concerto g-moll für Oboe (Solist: Hans-Peter Westermann), Streicher und Basso continuo, während die ausgedehnte Suite aus dem Opéra-ballet Les Indes galantes von Jean-Philippe Rameau den "reinen" französischen Geschmack mit zahlreichen "internationalen Färbungen" (Le Turc Généreux, Ritournelle pour la fête Persane etc.) repräsentierte.

Das seit 1995 bestehende Orchester Neue Düsseldorfer Hofmusik - in dem auch zahlreiche "Bekannte" anderer Spezialensembles mitwirken - wurde von der auf einem Stehsitz thronenden Konzertmeisterin Mary Utiger geleitet und ließ die fantasievoll "dahinsprudelnde" Musik in allen seine Facetten leuchten.

Sendung: Donnerstag, 18. November 1999, 21.00 Uhr, WDR 3


Der Streit im Salon
Französischer Geschmack und italienischer Stil

Ricercar Consort

Die Auseinandersetzung zwischen den Verfechtern des eigenen französischen und des fremden italienischen Stils war in Frankreich besonders heftig und ausdauernd. Die Streitschrift "Défense de la Basse de viole contre les Entréprises du Violon et les Prétentions du Violoncel par Monsieur Hubert le Blanc" aus dem Jahr 1740 versucht, die typisch französische Gambe und ihre Musik gegen die aus Italien vordringende Musik für Violine und Violoncello zu verteidigen. Einzelne Abschnitte dieses Wort-Streits zwischen dem "hohen Herrn Violino" und der "Dame Viola da gamba", von Bernt Hahn pathetisch deklamiert, bildeten den Leitfaden durch ein abwechslungsreiches, musikalisch hochkarätiges Programm.

Das Ricercar Consort mit den Solisten François Fernandez (Violine) und Philippe Pierlot (Viola da gamba) sowie Sophie Watillon (Viola da gamba) und Christophe Rousset (Cembalo) als Continuobegleitung spielten zwischen den rezitierten Texten Werke von Marin Marais, Michele Mascitti, Arcangelo Corelli, Jean-Marie Leclair, Jean-Philippe Rameau, Jean-Ferry Rebel und Françoise Couperin. Dessen Troisième Concert für Violine, Viola da gamba und Basso continuo aus den Concerts royaux von 1722 führte diesen lehrreichen Beitrag der Tage Alter Musik in Herne zu einem versönlichen Ende

Sendung: Donnerstag, 25. November 1999, 21.00 Uhr, WDR 3


Wie Pfeffer und Champagnerwein
Kantaten von Georg Philipp Telemann im "Italienischen" und "Französischen" Stil

Solisten, Rheinische Kantorei
Das Kleine Konzert
Leitung: Hermann Max

Georg Philipp Telemann war zweifellos einer der fruchtbarsten Komponisten, die je gelebt haben. Wenn mit dem Wort "Vielschreiber" nicht negative Konnotationen verbunden wären, träfe diese Bezeichnung ins Zentrum. Allein an kirchenmusikalischen Werken entstanden zeit seines Lebens an die 1600. Kein Wunder also, dass seine monströse Hinterlassenschaft bis heute nur mangelhaft erschlossen ist, und ebenfalls kein Wunder, dass man hier auf allerhand Fundstücke gespannt sein darf. Unter dem Titel "Wie Pfeffer und Champagnerwein" fand nun in der Kreuzkirche am 12. November in Herne im Rahmen der "Tage alter Musik" ein Konzert statt, dass unter anderem vier Kantaten Telemanns präsentierte, neben der sogenannten "Grand Motet" TWV 7:7 und der "Ouverture des Nations anciens et modernes" TWV 55:G4.

In Telemanns Kantaten "Wer sich rächet, an dem wird sich der Herr wieder rächen" TWV 1:1600, "Unschuld und ein gut Gewissen" TWV 1:1440, "Ich hatte viel Bekümmernisse" TWV 1:843 und "Es wird ein unbarmherzig Gericht" TWV 1:542 mischen sich französischer und italienischer Stil in einer Weise, die nur mit dem nötigen Fachwissen nachzuvollziehen ist. Nur wer auf diesem Terrain Erfahrung hat, wird hier die Feinheiten und Gewichtungen der Stile in den einzelnen Werken erkennen. Allenfalls in der "Grand Motet" "Deus judicium tuum regi da" TWV 7:7 ist das Französische deutlich an der Einfärbung des lateinischen Textes zu erkennen. Telemann hat die verschiedenen Nationalstile seiner Musiksprache angeeignet und soweit umgeformt, dass sie schwer zu sezieren sind. Gleichwohl macht das Zuhören Spaß, insbesondere aufgrund der reichen Textausdeutung, der leicht zu folgen ist und auch dem unbedarften Hörer sofort einleuchtet.

In der "Ouverture des Nations anciens et modernes" ist zudem noch Platz für Komik. Hermann Max und "Das kleine Konzert" teilen sie und stellen sie jedem Konzertteil als Auftakt voran. Der letzte Satz, "Les vielles femmes" (Die alten Frauen), beschreibt in heiterster Weise und in weinerlicher Chromatik Greinen und Gejammer und zwingt so zu einem Lächeln. Zudem scheint sich die Zeit auch schon damals stets beschleunigt zu haben: "Les Allemands anciens" sind wesentlich behäbiger als "Les Allemands modernes", die eher hastig daherkommen. Anderen Nationen geht es in dieser Ouverture nicht anders.

Hermann Max, "Das kleine Konzert" und die "Rheinische Kantorei": Das ist eine enge Verbindung, und sie ist, man muß es betonen, musikalisch erstrangig. Alles ist auf Schlankheit und Präzision ausgerichtet, die Kantorei besteht aus durchweg hervorragenden Solisten, und das Orchester musiziert mit unangestrengter Frische. Hermann Max ist es um größtmögliche Authentizität zu tun, allerdings ohne hier in die Falle modischer Aufpeppung zu tappen, die zwanghaft versucht, alter Musik gleichsam ein falsches Makeup aufzutragen, damit sie konsumierbarer wird. Die Geschlossenheit des Gesamtensembles ist schlichtweg atemberaubend. Die Solisten fügen sich glücklicherweise nahtlos in diese Einheit ein: Sei es nun Veronika Winters Sopran oder Patrick van Goethens sicherer und virtuoser Altus. Markus Schäfers lyrisch-prägnanter Tenor und Ekkehard Abeles Bass, der so gar nicht düster und schwer, sondern baritonal, hell und beweglich ist, runden das exzellente Solistenquartett ab. Die Zuhörer in der ausverkauften Kreuzkirche belohnten solch hohe Qualität mit anhaltendem Beifall. Zu einer Zugabe allerdings waren Hermann Max und sein Ensemble nicht bereit.
(Markus Bruderreck)

Sendung: Donnerstag, 9. Dezember 1999, 21.00 Uhr, WDR 3


Chanson und Canzone
Wege zwischen Frankreich und Italien im 16. Jahrhundert

Geigenbande
Leitung: Andreas Pilger Flautando Köln
Roland Götz, Orgel und Spinett

Geigenbande/Flautando Köln In diesem interessanten und sehr abwechslungsreichen Konzert wurde demonstriert, wie die populären, mehrstimmigen Chansons aus dem Frankreich des 16. Jahrhunderts zu neuen Ehren gelangten. Besonders in Italien bedienten sich die Musiker ihrer, und entwickelten daraus eine neue Instrumental-Gattung, die Canzone. Diese wiederum verbreitete sich dann ihrerseits in kürzester Zeit wieder in ganz Europa.

So erklangen neben den französischenVorbildern auch ihre italienischen Bearbeitungen (Canzonen), gespielt von einem Geigen-Consort, einem Blockflöten-Quartett, auf der Orgel und dem Spinett. Die Geigenbande unter der Leitung von Andreas Pilger und das Ensemble Flautando Köln gelang es durch ihr engagiertes und lebendiges musizieren hervorragend, den Erfolg dieser neuen instrumentalen Gattung nachvollziehbar zu machen.

Zu den Komponisten, deren Werke als "Vorlagen" benutzt wurden, gehörten zum Beispiel Josquin Desprez, Clemens non Papa und Pierre Sandrin. Die daraus gefertigten Bearbeitungen stammten unter anderem von Andrea und Giovanni Gabrieli, Luzzasco Luzzaschi und Girolamo Frescobaldi.

Roland Götz (Orgel und Spinett) moderierte dieses Konzert zwar, aber wegen der nicht genutzten technischen Verstärkung über Lautsprecher, bekam nur ein kleiner Teil des Publikums die Möglichkeit, seine Ausführungen deutlich zu verstehen.

Sendung: Donnerstag, 2. Dezember 1999, 21.30 Uhr, WDR 3


Synagoge und Ecclesia in Italien
Musik über Psalmen von Salomone Rossi und Benedetto Marcello

Cantus Cölln
Leitung: Konrad Junghänel

Cantus Cölln Wie schon in den letzten Jahren präsentierte Cantus Cölln und Konrad Junghänel (Laute und Leitung) ein anspruchsvolles und einem speziellen Thema gewidmetes Programm. Dieses mal ging es um Psalmvertonungen von Salomone Rossi und Benedetto Marcello, mit der Besonderheit, dass dabei hebräischer Gesang und italienische Musik zusammentrafen und sich miteinander verbanden.

So verwendete Salomone Rossi, der Musiker am Fürstenhof und Mitglied der jüdischen Gemeinde in Mantua war, hebräische Psalmtexte für seine vierstimmigen Vertonungen, während Benedetto Marcello, venezianischer Bürger aus vornehmer Familie und ein international angesehener Musiker, sich zwar durch hebräische Gesänge inspirieren ließ, seine 50 Psalmen aber dann in modernen italienischen Nachdichtungen in der Musiksprache seiner Zeit (1724) vertonte. Trotz unterschiedlicher Vorgehensweise wollten beide Komponisten durch ihre Kompositionen Anregungen zu einer Reform ihrer Kirchenmusik liefern.

Die insgesamt zehn in diesem Konzert zur Aufführung gebrachten Psalmvertonungen beider Komponisten waren (glücklicherweise) für verschiedene Vokalbesetzungen geschrieben, so dass zumindest in dieser Beziehung für eine gewisse Abwechslung gesorgt war.

Besonders in Erinnerung geblieben ist davon die Vertonung des 3. Psalms O Dio perché cotanto è mai für Sopran, Alt und Basso continuo (aus: Estro poetico-armonico I, Venedig 1724) von Benedetto Marcello. Die Homogenität der beiden Stimmen von Johanna Koslowsky (Sopran) und Elisabeth Popien (Alt) liess einen wirklich in andere Spären gleiten.

Sendung: Donnerstag, 16. Dezember 1999, 21.00 Uhr, WDR 3


Les Nations
Inter-Nationales im Spiegel der Grande Nation
Mitzi Meyerson, Cembalo

Mitzi Meyerson Mit sehr temperamentvollem, pointiertem Spiel eröffnete die Cembalistin Mitzi Meyerson den Konzerttag am Sonntagmorgen. Die Solistin bot farbenreiche Gestaltung, die sich durch starke Agogik geprägt zeigte. Ihr großes Engagement für die vorgetragenen Stücke ist ihr auch äußerlich stark anzusehen, fast erkennt man an ihrer Mimik vorweg, welche Stimmung sie nun erzählerisch austönen wird. Ihr Instrument unterstützt das facettenreiche Spiel aufs Beste, das Cembalo erklingt kernig, sehr gehaltvoll, mitunter fast gesanglich.

Auf dem Programm von Meyerson standen Französische Komponisten und ihr in Noten umgesetzter Blick auf die anderen Nationen, in der Regel die Nachbarländer wie England, Deutschland, Italien, Spanien, aber auch ein L'Egyptienne von Rameau ließ sich hören.

Der erste Teil des Programms konnte mit Werken der Couperin-Familie ausgefüllt werden, denn Vater, Neffe und wiederum Neffe, Louis Couperin, Francois Couperin und Armand-Louis Couperin, widmeten sich solchen Charakter-Suiten ausgiebig. Den Stücken war eine gewisse Verbundenheit anzuhören. Armand-Louis Couperin bezog sich durch die Betitelung seiner Komposition auch ganz ausdrücklich auf seinen großen Vorfahr Francois Couperin. Nicht nur die Komponisten auch die Kompositionen zeigen sich daher verwandt, und so gab ihr gemeinsamer dichter Vortrag den abgerundeten ersten Teil des Konzertes.

Der zweite Teil des Programms präsentierte Werke von Rameau und Forqueray. Auch hier zeigte sich die zu jener Zeit nur sehr gemessen zugelassene Schilderung von Nationen und ihrem angenommenen Charakter. Der Ägyptische Satz von Rameau klingt keinesfalls fremd und exotisch für heutige Hörer, lediglich interessante Nuancen von leicht fremden Klang lassen sich ausmachen, freilich kunstvoll eingearbeitetet in die Stilprinzipien der Epoche. Beim abschließenden Vortrag von Forqueray ertönen Klangschichtungen in der Tiefe, die intensiv gespielt wurden von Meyerson. Ein interessantes Konzert gab es also zu hören - technisch brillant und mit viel Engagement vorgebracht.
(Meike Nordmeyer)

Sendung: Donnerstag, 23. Dezember 1999, 21.00 Uhr, WDR 3


La contenance angloise
Wechselwirkungen zwischen England, Frankreich und Italien

Ferrara-Ensemble
Leitung: Crawford Young

Ein überaus lehrreiches, sorgsam zusammengestelltes Programm gab es am Nachmittag in der Kreuzkirche zu hören, ausgeführt von dem bekannten Ferrara-Ensemble. Die Musiker haben es sich zur Aufgabe gemacht, die musikgeschichtlichen Beziehungen zwischen England, Frankreich und Italien im 15. Jahrhundert herauszuarbeiten. Auf diese interessante Übergangszeit im 15. Jahrhundert hat das Ferrara Ensemble seine besondere Aufmerksamkeit gerichtet.

Bekannt ist die Vorherrschaft der englischen Musik zu dieser Zeit, für sie steht der Komponist John Dunstable. Die englische Musik soll süßer geklungen haben, so darf man Berichten von Ohrenzeugen entnehmen. Heute ist es vielleicht nicht mehr ganz auszumachen, worin dieser von Zeitgenossen so besonders empfundene Vorzug der englischen Musik bestand. Hingewiesen wurde vielmehr in dem begleitenden, von Ensemble-Mitglied Stephen Grant vorgetragenen Kommentar des Konzertes auf die Schwierigkeit, den englischen Stil abzugrenzen gegen den französischen und auch den italienischen, da die Beziehung doch eine dichte wechselseitige Befruchtung war, die in der Nachahmung und Weiterführung der Texte, der Themen und musikalischen Wendungen bestand. Die enge Verbundenheit der Kompositionen dieser Zeit konnte durch das Konzert deutlich gemacht werden. Genaue Angaben dazu wurden von der Moderation gegeben, die den Vortrag der verschiedenen Stücke stets einleitete. So forderte das Konzert mit seinem reichhaltigem Programm bewußt zu einer differenzierteren Sichtweise auf.

Gerade dieses Ziel aber, die Verwandtschaft der Werke, die feinen Nuancen und Verästelungen der Weiterentwicklung bei Nachahmung und Übernahme aufzuzeigen, stellte höchste Ansprüche an das Publikum. Es hatte zufolge, daß die Stücke in der Tat sehr ähnlich klangen. Beim ersten Hören dieser Gegenüberstellungen konnten die Details, denen Musikwissenschaftler nachspüren, nicht immer vollauf erfaßt werden. Gewinnen konnte das Konzert aber trotz dieser anspruchsvollen Zumutung, die immer wieder durch den lehrreichen Kommentar entlastet und gefluchtet wurde, durch die ausgezeichnete Qualität der musikalischen Ausführung.

Das Ferrara Ensemble entwickelte vortrefflich klar die kunstvolle Stimmführung der Kompositionen. Die Stimmen erklangen rein und makellos. Es entfaltete sich sogleich ein festlicher Glanz bei diesem exzellentem Vortrag in der Kirche. Ein konzentriertes Publikum nahm begeistert das Konzert auf.
(Meike Nordmeyer)

Sendung: live, Sonntag, 14. November 1999, 16:00 Uhr, WDR 3


Turcaria 1683
Die Türken vor Wien

Armonico Tributo Austria
Leitung: Lorenz Duftschmid

Armonico Tributo Austria Im Abschlußkonzert im Kulturzentrum ging es um Janitscharen-Musik. Das Thema ist bekannt, im Musikunterricht allenthalben aufgrund seiner Anschaulichkeit gerne behandelt. Man denkt da sogleich an Mozarts Entführung und Glucks Pilger von Mekka. Diese Werke bilden aber durchaus erst spätere Reflexe der Zeit der Türkenbelagerung Wiens. Nach Jahrzehnten wurde hier der musikalische Effekt bewußt zu dramatischen Zwecken eingesetzt. Unbekannter sind dagegen erstaunlicherweise eine Reihe von Werken, die ganz unmittelbar auf die Kriegsereignisse reagierten, die kurze Zeit später die schrecklichen Schlachten zu schildern versuchten. Diese Instrumentalstücke waren nun kennenzulernen auf den Tagen Alter Musik in Herne. Damit wurde wieder einmal in Herne die Gelegenheit geboten, Kompositionen kennenzulernen, die man sonst nicht zu hören bekommt.

Ein nicht ganz überraschendes aber dennoch in seiner Art verblüffendes Hörerlebnis stellte sich ein: Trotz der Schilderung von Mord und Totschlag, angesichts der schlimmsten Kriegsgreuel, weisen die Stücke ihren zeittypischen harmonischen, feierlichen Klang auf. Deutlich wurde damit die Gebundenheit von Programm-Musik an stilistische Vorgaben, die auch dann aufrecht erhalten wird, wenn sie ein solches erschütterndes Thema behandelt. Die Musik der Janitscharen -Truppen findet sich in den Werken prägnant eingesetzt, die typische Instrumentierung drängt sie von selbst in den Vordergrund. An der plakativen Machart dieses zentralen Elementes der Kompositionen konnte leicht die Bewertung der türkischen Musik, der türkischen Kultur insgesamt, abgelesen werden. Eine Annäherung, eine echte Auseinandersetzung der österreichischen Komponisten mit der türkischen Musik im Sinne einer Anregung und Befruchtung hat es nicht gegeben, bestimmend war vielmehr die bewußte Abgrenzung der eigenen Musik von der fremden. Die Türken bleiben der Kriegsfeind und sicher auch die ungläubigen Barbaren, ihre Musik wird lediglich eingesetzt als Kennzeichnung, zur Markierung der Vorgänge auf dem Schlachtfeld.

Das Ensemble Armonico Tributo Austria entwickelte die vorgetragenen Stücke höchst engagiert. Es ließ guten Zusammenhalt hören, genaues gemeinsames Musizieren bei sicherer Intonation auf den alten Instrumenten. Ein warmer, gehaltvoller Klang konnte sich entfalten. Mit Freude wurden auch die humorvollen Effekte der Kompositionen in Szene gesetzt, wie echte Pistolenschüsse a tempo und die Ausmalung einer Geistererscheinung: authentisches Kettenrasseln wurde geliefert und die Streicher kratzten und schabten dazu schauerlich auf ihren Instrumenten.

Ergänzt wurde das Konzertprogramm durch die Rezitation von Thos Renneberg. Der Sprecher trug eine interessante Zusammenstellung einiger Texte der Zeit vor, auch wenn leider nicht immer genau angegeben wurde, was zu hören war. Texte der Dichter Gryphius und Fleming über den Krieg, über die vergängliche Zeit, das bekannte Vanitas-Motiv des Barocks, waren besonders eindrücklich anzuhören in diesem Zusammenhang. Aber auch Berichte der Komponisten über das grausame Kriegsgeschehen wurden vorgetragen. Von aufgespießten Köpfen war da die Rede und verblüffend harmonisch und gemessen erklingt dazu die Musik. Von großer Wirkung waren die Momente, in denen das Ensemble nach und nach während der Rezitation langsam mit Spielen einsetzte. Der Vortrag von Renneberg war nicht immer fehlerfrei, aber bewegend allemal. So entstand ein höchst vielseitiger, überaus gelungener Konzertabend vor vollbesetztem Haus, mit dem die Tage Alter Musik in Herne 1999 abgeschlossen wurden.
(Meike Nordmeyer)

Sendung: live, Sonntag, 14. November 1999, 20:00 Uhr, WDR 3




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